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Autos stehen während beim ersten Feinstaubalarm im Jahr 2019 in Stuttgart hintereinander.

© Sebastian Gollnow/dpa

Feinstaub: Kippen EU-Grenzwerte für Schadstoffe in der Luft?

Nach Zweifeln von Medizinern flammt Debatte über Fahrverbote wieder auf.

Die Zweifel von renommierten Lungenärzten an den Grenzwerten für Schadstoffe in der Luft stoßen die Debatte um Fahrverbote neu an. Die Gruppe von 111 renommierten Ärzten um Dieter Köhler hatte in ihrer Stellungnahme kritisiert, es gebe derzeit „keine wissenschaftliche Begründung für die aktuellen Grenzwerte“ für Feinstaub und Stickoxide. Sie forderte eine Neubewertung der Studien. Die Daten zur Gefährdung durch Luftverschmutzung seien „extrem einseitig“ interpretiert worden.

Wie reagieren Brüssel und Berlin?

Umweltkommissar Karmenu Vella verteidigt die Grenzwerte: Sie seien von allen Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament verabschiedet worden und „basieren auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der weltweit führenden Autorität in Gesundheitsfragen.“ Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) wies die Kritik zurück. Die Werte dienten dem Schutz aller Menschen. Die große Mehrheit der Städte schaffe es auch, die Grenzwerte einzuhalten. „Wir haben also kein Grenzwertproblem, sondern ein Diesel- und Verkehrsproblem.“ Dagegen bezeichnet der Europa-Abgeordnete Norbert Lins (CDU) die Fahrverbote in Deutschland als „unverhältnismäßig“:  „Deutschland befindet sich in einer Schieflage. Kein anderes europäisches Land hat Fahrverbote von Euro-4-Fahrzeugen. Nur Stuttgart hat die komplette Innenstadt gesperrt“, so Linz im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Debatte um Grenzwerte und Messstandorte zeige, dass hier dringend eine ergebnisoffene und wissenschaftliche Diskussion geführt werden muss. Er hält eine Veränderung der Grenzwerte für möglich: „Sobald wir die Ergebnisse der Studie zu Messstellen als auch neue Erkenntnisse zu den Grenzwerten haben, müssen die richtigen Schlüsse für die Zukunft der europäischen Luftreinhaltungsrichtlinie getroffen werden.“

Wie realistisch ist eine Änderung der Grenzwerte?

Klar ist: Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Wenn überhaupt. Zumal der politische Wille der Kommission derzeit nicht vorhanden ist. Auch im Parlament gäbe es große Widerstände. Dennoch gibt es Versuche in Brüssel und Berlin, die Grenzwerte zu revidieren und so Fahrverbote wieder außer Kraft zu setzen. Eine Änderung der EU-Luftreinhaltungsrichtlinie wäre technisch frühestens 2020 denkbar. In vielen Städten sinkt aber die Schadstoffbelastung. Das heißt: Eine Änderung würde vermutlich zu einem Zeitpunkt greifen, wo in den meisten Städten die Grenzwerte ohnehin wieder eingehalten werden.

Was versucht Berlin, um Fahrverbote zu vermeiden?

Die Bundesregierung hält Fahrverbote für unverhältnismäßig, wenn der Grenzwerte bei Stickoxid von 40 Mikrogramm nur geringfügig überschritten wird. Daher will sie ein Gesetz beschließen lassen, das bis zu Konzentrationen von 50 Mikrogramm keine Fahrverbote vorsieht. Das Gesetz liegt aber zur Begutachtung in Brüssel. Bis Mitte Februar können die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten ihre Kommentare dazu abgeben. Erst danach kann es im Bundestag beschlossen werden. Sollte die Kommission Einwände haben, kann sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten.

Überprüft die Kommission die Grenzwerte?

Ja, es läuft turnusgemäß eine Überprüfung der Luftreinhaltungsrichtlinie. Ende des Jahres soll das Ergebnis des Fitnesschecks vorliegen. Die neue Kommission, die Ende des Jahres ins Amt kommt, könnte dann einen neuen Vorschlag machen. Die Kommission hat bereits eingeräumt, dass es Änderungsbedarf gibt: Die Kommission erkenne an, hieß es, „dass die Kriterien in einigen Fällen im Hinblick auf eindeutigere Messungen verbessert werden könnten.“ Es werde auch geprüft, „ob die Luftqualitätsrichtlinien einschließlich der Kriterien für die Standorte der Probenahmestellen ihren Zweck erfüllen“.

Was läuft im Parlament?

Aus Initiative von Norbert Lins (CDU) hat das Europaparlament eine Studie zu den Messstellen in Auftrag gegeben. Die Studie soll prüfen, ob die Behörden in den Mitgliedstaaten jeweils die gleichen Kriterien bei der Auswahl der Messstellen für die Luftqualität anlegen. Die Auswahl der fixen Messstellen in jeweils zehn Kommunen in mehreren Mitgliedsländern der EU sollen von den Experten kritisch unter die Lupe genommen werden. Die Ergebnisse der Studie sollen Mitte März vorliegen.

Was läuft bei der WHO?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte 1999 den Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxiden empfohlen. Er wurde von der EU 2008, als die Luftreinhaltungsrichtlinie von den Mitgliedstaaten und EU-Parlament beschlossen wurde, übernommen. Es heißt, derzeit laufe bei der WHO eine Überprüfung der wissenschaftlichen Grundlagen für die Empfehlung von 40 Mikrogramm.

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