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Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sieht keine militärische Rolle Deutschlands im Irak.

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Update

Kampf gegen Isis-Islamisten: Steinmeier schließt Einsatz deutscher Soldaten im Irak aus

Angesichts der nahenden Isis-Kämpfer herrscht in Bagdad Alarmbereitschaft. Tausende Iraker melden sich freiwillig zum Armee-Dienst. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier schließt währenddessen eine militärische Beteiligung Deutschlands aus.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat die Nachbarländer des Iraks zu stärkeren Bemühungen um eine Stabilisierung der Lage aufgerufen. "Wir müssen verhindern, dass jetzt auch noch auf irakischem Boden ein Stellvertreterkrieg der regionalen Mächte ausbricht", sagte Steinmeier der Zeitung "Welt am Sonntag" aus Berlin. Alle Nachbarn, auch der Iran, könnten "kein Interesse daran haben, dass sich jenseits Syriens in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein riesiger herrschaftsloser Raum entwickelt, der zum Tummelplatz für Söldnergruppen, Islamisten jedweder Couleur und Terroristen wird".

Einem militärischen Engagement Deutschlands erteilte der SPD-Politiker eine Absage. "Ich kann mir keine Konstellation vorstellen, in der deutsche Soldaten dort zum Einsatz kommen", sagte er der Zeitung. Der mögliche deutsche Beitrag solle nicht überschätzt werden.

Gemeinsamer Kampf gegen den Terror

Nach dem rasanten Vormarsch der Islamistengruppe Isil im Irak haben sich Tausende Freiwillige zum Widerstand gegen die sunnitische Terrororganisation bereit erklärt. Allein in Nadschaf würden 100 000 Rekruten für die Aufnahme in die irakische Armee erwartet, berichtete „Al-Sumaria News“ am Samstag. Zuletzt hieß es in Bagdad, einige von Isil eingenommene Städte seien zurückerobert worden. Experten warnten vor einem religiös motivierten Krieg in dem zerrissenen Land.

Männer, die sich in Bagdad freiwillig der irakischen Armee angeschlossen haben, skandieren Slogans gegen die Dschihadisten.
Männer, die sich in Bagdad freiwillig der irakischen Armee angeschlossen haben, skandieren Slogans gegen die Dschihadisten.

© Reuters

Ministerpräsident Nuri al-Maliki rief Sunniten und Schiiten zum gemeinsamen Kampf gegen den Terror auf. „Wir gehören zu einem Land und einer Religion“, appellierte er am Samstag in einer Fernsehansprache an seine Landsleute. „Hört nicht auf die, die über Sunniten und Schiiten reden“, sagte Al-Maliki in der zentralirakischen Stadt Samarra, die offensichtlich aus der Gewalt von Isis-Kämpfern zurückerobert wurde. „Von Samarra aus beginnen wir die Schlacht, um den Terrorismus zu besiegen.“ Die sunnitische Terrorgruppe „Islamische Staat im Irak und der Levante“ (Isil) kämpft gegen Schiiten, die sie als „Abweichler“ von der wahren Lehre des Islams ansehen.

Iran bietet USA Militär-Kooperation im Irak an

Der Siegeszug der sunnitischen Gotteskrieger rückt nun sogar eine militärische Kooperation zwischen dem Iran und den USA in den Bereich des Möglichen. Während die extremistischen Milizen ihren Sturm auf Bagdad vorbereiteten, erklärte Irans Präsident Hassan Rowhani in Teheran, er schließe eine militärische Zusammenarbeit mit der US-Armee auf irakischem Boden nicht aus. „Wenn wir sehen, dass die Vereinigten Staaten etwas gegen die Terrorgruppen unternehmen, dann könnten wir darüber nachdenken“, sagte er und fügte hinzu, wenn nötig, könne man auch Kontakt mit der US-Führung aufnehmen.

Rowhani bestritt, dass die Islamische Republik bereits Elitetruppen über die Grenze geschickt habe. Dagegen berichtete der britische „Guardian“ unter Berufung auf einen hohen irakischen Offizier, 2000 Soldaten der Revolutionären Garden seien bereits eingetroffen. Der Chef der Al-Quds-Elitetruppe, General Qassem Suleimani, reiste nach Bagdad, um die Militäraktionen zusammen mit der irakischen Armeespitze zu koordinieren. Tags zuvor hatte das geistliche Oberhaupt der irakischen Schiiten, Ayatollah Ali al Sistani, die Bevölkerung aufgerufen, sich zu bewaffnen, um „ihr Land, ihr Volk und ihre heiligen Stätten“ gegen die sunnitischen Extremisten zu verteidigen. Zehntausende strömten im Süden des Landes, wo überwiegend Schiiten leben, zu den Registrierungsbüros, wo die Regierung Waffen ausgeben ließ. Nach Angaben von „Ärzte ohne Grenzen“ ist inzwischen eine Million Iraker auf der Flucht, die meisten haben sich im kurdischen Norden in Sicherheit gebracht.

US-Präsident Obama hält sich mehrere Möglichkeiten offen

In Washington erklärte Barack Obama, er halte sich verschiedene militärische Optionen offen, schloss aber einen Einsatz von Bodentruppen kategorisch aus. Der US-Präsident machte in seiner Erklärung ein Eingreifen ausdrücklich davon abhängig, dass sich die irakische Regierung künftig der sunnitischen Minderheit gegenüber kompromissbereiter und weniger diskriminierend verhält. Das autoritäre und willkürliche Vorgehen des schiitischen Regierungschefs Nuri al Maliki gegenüber den Sunniten hat wesentlich zu dem spektakulären Kollaps der irakischen Armee vor den anrennenden Gotteskämpfern beigetragen.

In den Rekrutierungszentren vor allem im Süden des Iraks haben sich viele schiitische Männer registrieren und mit Waffen versorgen lassen. Sie wollen nun auch in den Kampf gegen die Isis-Extremisten ziehen.
In den Rekrutierungszentren vor allem im Süden des Iraks haben sich viele schiitische Männer registrieren und mit Waffen versorgen lassen. Sie wollen nun auch in den Kampf gegen die Isis-Extremisten ziehen.

© Reuters

Nach amerikanischen Medienberichten hatte Maliki das Pentagon bereits seit Monaten ohne Erfolg bedrängt, die Wüstenlager der Gotteskrieger in der Region von Mosul durch Drohnen oder Kampfflugzeuge zu bombardieren, solange der Irak noch keine voll einsatzfähige Luftwaffe habe. Bagdad operiert bisher nur mit Kampfhubschraubern und kleinen Turboprop-Maschinen, die auch Raketen abfeuern können. F-16 Kampfjets wurden zwar bestellt, jedoch noch nicht geliefert. Der irakischen Luftaufklärung fehlt zudem die Kapazität, die hoch beweglichen Konvois der Gotteskrieger rasch auszumachen und die Piloten an die entsprechenden Orte zu dirigieren.

Bagdad bereitet sich auf einen Angriff vor

Maliki stärkte derweil in der 110 Kilometer von Bagdad entfernten Stadt Samarra den Armeeeinheiten den Rücken. Die Extremisten hatten in den vergangenen zehn Tagen bereits zwei Mal versucht, die Goldene Moschee zu erobern und zu zerstören. Das Al-Askari-Mausoleum hat für den Irak eine hohe symbolische Bedeutung. Ein Al-Qaida-Bombenattentat auf das schiitische Gotteshaus löste im Februar 2006 einen zweijährigen Bürgerkrieg mit fast 60 000 Toten aus.

Am Wochenende zogen die schwarz gekleideten Angreifer erneut zahllose Fahrzeuge und Kämpfer um Samarra zusammen, um eine dritte Attacke zu versuchen. Auch Bagdad bereitete sich auf Angriffe vor. Bewohner stapelten Lebensmittel in ihren Wohnungen. Polizei und Militär patrouillierten in den Vierteln, an allen Ausfallstraßen wurden nach Angaben von Augenzeugen die Kontrollposten erheblich verstärkt. In Sadr-City, der schiitischen Teilstadt mit zwei Millionen Einwohnern, bildeten die Bewohner Bürgerwehren und legten Waffendepots an. Vor den Rekrutierungsbüros diverser Schiitenmilizen warteten lange Schlangen junger Männer.

Isil soll schwere Menschenrechtsverbrechen begangen haben

Unterdessen mehren sich die Berichte über Gräueltaten der Isil-Kämpfer. Fotos aus der Provinz Kirkuk dokumentieren gefangene irakische Soldaten in Zivil, die mit Kopfschüssen getötet wurden. Ein Video zeigt Gotteskämpfer, die mehr als 4000 Soldaten und Polizisten nahe Tikrit in einem langen Zug in Gefangenschaft führen. Das Schicksal der Männer ist unklar, nach Angaben eines irakischen Geheimdienstoffiziers sollen viele inzwischen umgebracht worden sein.

In Mosul verteilten die blutrünstigen Dschihadisten erste Flugblätter mit ihren strikten Scharia-Regeln. Rauchen und Trinken seien verboten, Frauen sollten „im Haus bleiben und nicht auf die Straße gehen, es sei denn, es ist unbedingt notwendig“. Allen Staatsbeamten droht das Flugblatt die Hinrichtung an, wenn sie ihr Tun nicht bereuten. Nach Angaben von Augenzeugen durchkämmen die Kämpfer mittlerweile die Wohnblocks mit Namenslisten von Polizisten und Beamten. Manche, die sie antrafen, wurden sofort erschossen, andere geschont, wenn sie einen öffentlichen Reueschwur ablegten. Auch die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay erhob schwere Vorwürfe gegen die Steinzeit-Islamisten und sprach von einer alarmierenden Zunahme von Exekutionen und willkürlichen Morden. „Ich bin besonders besorgt über die gefährliche Lage von Minderheiten, Frauen und Kindern“, sagte Pillay. In Mosul zum Beispiel hätten vier Frauen Selbstmord begangen, nachdem sie von Isis-Kämpfern vergewaltigt und zwangsverheiratet worden seien.

Erste militärische Erfolge gegen Isil

Kurdische und irakische Truppen melden derweil Erfolge im Kampf gegen die Terrorgruppe Isis, die bei ihrem Vormarsch vor allem im Norden und im Westen des Iraks Gebiete erobert hatte. Mehrere Städte seien aus der Gewalt der Extremisten befreit worden, berichtete die Nachrichtenseite „Al-Sumaria News“ am Samstag. So habe die irakische Armee die Städte Samarra und Tikrit unter Kontrolle und fliege Luftangriffe gegen Isis-Stellungen in Mossul. Kurdische Peschmerga-Truppen hätten die Stadt Dschalula im Ostirak sowie den Grenzübergang zu Syrien, Al-Dscharubija, gesichert, meldete die kurdische Nachrichtenseite „Rudaw“.

Isis war Anfang Anfang der Woche von Nordsyrien aus in den Irak eingedrungen und hatte die nordirakische Stadt Mossul erobert. Entlang des Tigris bewegten sich die Dschihadisten mit hoher Geschwindigkeit Richtung Bagdad. Seit Donnerstag versuchten die Isil-Truppen, die irakische Hauptstadt einzukesseln: Im Westen war Falludscha erobert worden, im Norden und Osten rückten die Isil-Kämpfer bis nach Bakuba und Dschalula vor. Bakuba liegt rund 60 Kilometer nördlich von Bagdad, Dschalula kurz vor der iranischen Grenze östlich der Hauptstadt.

Die kurdischen Truppen rücken seit Donnerstagnachmittag aus dem Nordirak nach Süden vor. Sie sicherten die zwischen der kurdischen Autonomieregion und dem Irak gelegene Stadt Kirkuk und bewegten sich bis zum Samstag weiter in Richtung Bagdad. (mit dpa, AFP)

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