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Jutta Limbach.

© promo

Jutta Limbach: ''Wir Deutsche haben unsere Lektion gelernt''

Im Jahr 2007 sprach die damalige Präsidentin des Goethe-Instituts und frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts im Interview über Kultur, Terrorismus – und junge Frauen.

Jutta Limbach hat immer wieder Stellung bezogen: zur Wertschätzung der Grundrechte, zum Konflikt zwischen Sicherheitspolitik und Rechtsstaat in Zeiten des Terrors - und der Rolle der Frau in der Gesellschaft.

Im kommenden Jahr geben Sie Ihr Amt als Präsidentin des Goethe-Instituts ab. Feiern Sie Weihnachten etwas wehmütig?

Überhaupt nicht. Ich komme gar nicht dazu, Trauer zu entwickeln, weil ich dauernd in Sachen des Goethe-Instituts beschäftigt bin. Und dass ich künftig nicht mehr so oft zwischen der Institutszentrale in München und meinem Hauptwohnsitz in Berlin pendeln werde, freut mich sogar.

Wenn Sie Ihre fünf Jahre im Amt Revue passieren lassen, denken Sie da an ein Ereignis besonders gerne zurück?

Ein Ereignis, das mich sehr bewegt hat, war die Eröffnung des Lesesaals in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang. Das Goethe-Institut ist dort als erster Kulturmittler überhaupt mit einer großen Anzahl von Romanen, wissenschaftlichen Büchern, Zeitungen und Zeitschriften in die letzte sich total abschottende kommunistische Diktatur gezogen. Das ging alles sehr langsam und vorsichtig vonstatten, und ohne die Hilfe vieler Mitarbeiter auch in Südkorea und einer sehr engagierten deutschen Botschafterin in Pjöngjang hätten wir das nicht geschafft. Neben diesem singulären Ereignis ist mir außerdem eine bestimmte Aufgabe in den vergangenen Jahren besonders wichtig gewesen: das Werben für die deutsche Sprache. Das würde ich gerne als Vermächtnis an meinen Nachfolger Klaus-Dieter Lehmann weitergeben, dass er dieser Aufgabe des Instituts neben dem Kulturaustausch und der Information über Deutschland möglichst die gleiche Aufmerksamkeit widmet.

Die Sprache ist essenzielles Element der Kultur eines Landes – was für ein Bild hat Deutschland im Ausland?

Deutschland wird heute im Ausland nicht mehr nur als Autohersteller und Produzent von Hightech wahrgenommen, sondern vor allem als Kulturnation. Jedoch herrscht gerade bei unseren nächsten Nachbarn ein anderes, problembeladeneres Deutschlandbild vor. Der große Zivilisationsbruch des Zweiten Weltkriegs wirkt da nach. Das merken wir sehr deutlich, egal, ob wir in Frankreich, England oder Schweden sind. Außerdem sind gerade in Osteuropa, besonders in Polen, mit dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs wieder Ängste vor diesem größeren, erstarkten Deutschland aufgelebt. Eine tschechische Germanistin sagte mir kürzlich: Ihr müsst begreifen, dass viele Menschen in Osteuropa sich noch heute vor deutschem Vormachtstreben fürchten.

Zu Recht?

Nein, wir Deutsche haben unsere Lektion gelernt. Aber Ängste können irrational sein – und für Einrichtungen wie das Goethe-Institut ist das eine Herausforderung. Je mehr Sie unseren engeren Umkreis verlassen und nach New York, Südamerika oder nach China blicken, gilt: Deutschland wird als moderne Kulturnation wahrgenommen, mit einer beneidenswerten Infrastruktur an Orchestern, Museen und Theatern. Das ist jetzt kein Lokalpatriotismus, wenn ich besonders auf Berlin verweise. Diese Stadt erfährt gegenwärtig von künstlerisch interessierten Menschen größte Aufmerksamkeit. Laut unserem Programmdirektor des Goethe-Instituts New York wird demjenigen, der Englisch mit deutschem Akzent spricht, in New York automatisch ein Sinn für Kunst und Kultur unterstellt.

Sie haben ein großes Interesse an deutschem Theater und Film festgestellt. „Das Leben der anderen“ hat 2007 einen Oscar bekommen. Was fasziniert die Menschen im Ausland an der DDR-Vergangenheit?

Vorne an ist es der Wandel von der Diktatur zur Demokratie, der viele Menschen packt. Dieser Prozess hatte ja nicht nur politische Folgen, sondern hat sich auch gesellschaftlich und psychologisch auf die aus der DDR stammenden Menschen ausgewirkt. Filme wie „Das Leben der anderen“ oder „Good Bye, Lenin“ waren echte Renner für das Goethe-Institut. Der Identitätswechsel, die Entwertung ihrer Biografie, die die Menschen erfahren und erleiden, fordert die Neugier heraus, aber auch die Art und Weise, wie sie mit der erlebten Unfreiheit und dem verabschiedeten Regime nachträglich ins Gericht gehen.

Wenn Sie auf die Kulturarbeit anderer Länder in Deutschland blicken: Passiert da genug? Die arabischen Staaten könnten sich sicher Kulturinstitute leisten, mit deren Hilfe auch Missverständnisse über die islamisch-arabische Welt besprochen werden könnten. Warum machen die so wenig?

Vielleicht befürchten sie, auf Vorbehalte zu stoßen oder sich dem Verdacht auszusetzen, Propaganda zu betreiben. Aber es stimmt: Wir haben in Deutschland zwar viele arabische Künstler und Schriftsteller, die gute Aufklärungsarbeit leisten. Auch sieht es das Goethe-Institut als seine Aufgabe an, im eigenen Lande aufklärend zu wirken und die Erfahrungen aus unserem wechselseitigen Kulturaustausch zurückzuvermitteln. Wenn jedoch ein Land wie Ägypten beispielsweise ein Kulturinstitut eröffnen würde, wäre das authentischer. Es könnte sich ein wertvoller Diskussionsprozess entfalten, etwa über Vorurteile, die in Deutschland wuchern. Auch wir sind lernbedürftig, was das Verständnis der arabischen Welt und der islamischen Religion angeht. Ein Thema wären die universalen Grundwerte wie die Menschenwürde, das Recht auf Leben wie die psychische und physische Unversehrtheit der Person. Wenn diese Grundprinzipien von allen Menschen geteilt werden sollen, müssen wir gerade mit jenen diskutieren, denen unsere Auffassung von den Menschenrechten zu einseitig individualistisch erscheint und die kollektive Werte hochhalten.

Als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts haben Sie die Sicherheitsgesetze, die als Reaktion auf den RAF- Terror erlassen wurden, als unverhältnismäßig kritisiert. Heute werden Sicherheitsgesetze mit islamistischem Terror begründet. Was unterscheidet den Terror von damals vom Terror von heute?

Der Kampf gegen den Terror der RAF wurde damals als eine Überlebensfrage der Bundesrepublik angesehen. Es war ein Terror innerhalb der Grenzen unseres Landes. Wir waren uns seinerzeit nicht so sicher, ob Deutschland schon über eine stabile Demokratie verfügte. Dass dieses Problem gemeistert wurde, war schließlich der Beweis dafür, dass sich in der Bundesrepublik eine Zufriedenheit mit dem politischen System entwickelt und dieses erheblich an Stabilität gewonnen hatte.

Der islamistische Terror dagegen agiert weltweit. Das macht die Situation ungleich schwieriger, unübersichtlicher und gefährlicher. Gleichwohl dürfen wir die Prinzipien des Rechtsstaats auch in Zeiten der Krise nicht preisgeben. Wir haben seit dem 11.9.2001 im Zeitraffertempo gelernt, dass man den Terrorismus nicht dadurch erfolgreich bekämpfen kann, dass man – dessen Absichten vorwegnehmend – die Menschen- und insbesondere die Justizgrundrechte einschränkt.

Wie meinen Sie das?

Die Terroristen wollen uns durch Angst und Schrecken zur Preisgabe von Menschenrechten bewegen, die zu den Grundfesten unserer Demokratie gehören. Guantánamo ist eine Chiffre für eine durch Angst und Schrecken ausgelöste Preisgabe von Grundrechten. Das sage ich ohne jeden Anflug von deutscher Selbstgerechtigkeit. Denn wer weiß, was in Deutschland geschehen wäre, wenn der am 11.9. bewusst in Szene gesetzte tausendfache Mord in unserem Lande stattgefunden hätte? Gewiss, der Staat hat sowohl die Freiheit als auch die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren. Das Bestreben der Innenpolitiker, die Sicherheitsarchitektur auszubauen, verdient daher grundsätzlich Respekt. Doch schießen die Sicherheitsbehörden in Zeiten terroristischer Bedrohung leicht über das Ziel hinaus und sind in ihrem Streben nach immer neuen Instrumenten und Zuständigkeiten unersättlich.

Dieser aus der Aufgabe resultierende Eifer kann nur durch Gegenkräfte im Zaum gehalten werden. Im Rechtsstaat sind Richter, Rechtsanwältinnen und Justizministerinnen die natürlichen Widersacher einer ausufernden Sicherheitspolitik. Sie müssen immer wieder deutlich machen, dass ein Rechtsstaat dann seine größte Bewährungsprobe zu bestehen hat, wenn seine Feinde sich anschicken, diesen zu unterminieren. Wenn die zivilisierte Welt in ihrer Gegenwehr obsiegen will, darf sie sich im Respekt ihrer Grundwerte nicht irremachen lassen.

Werden die Fehler von damals aus Zeiten der RAF heute wiederholt?

Ja, auch heute reagiert die Politik häufig mit Maßnahmen kurzfristigen Denkens, die vor allem Aktivität signalisieren, aber kaum das Übel bei der Wurzel fassen.

Woher kommt Ihr starkes Engagement für die Grundrechte?

Ich war bei Kriegsende elf Jahre alt. Meine Altersgenossen und ich haben mit der Holzhammermethode von dem Holocaust erfahren. Das hat Folgen gezeitigt. Ich bewahre noch heute die erste Ausgabe des Exemplars der Erklärung der Menschenrechte auf, die am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der UN verabschiedet worden ist. Damals habe ich für mich erkannt, dass es nur den in der Präambel aufgezeigten Weg geben kann, nämlich dass sich jeder Einzelne und alle Organe der Gesellschaft diese Erklärung stets gegenwärtig halten und sich bemühen, durch Unterricht und Erziehung die Achtung dieser Rechte und Freiheiten zu fördern und auf ihre weltweite Anerkennung und Verwirklichung hinzuwirken. Zudem hat meine Familie einiges dafür getan, meinen Sinn für die Menschenrechte zu entwickeln.

Ihre Familie vermittelte Ihnen nicht nur die Wertschätzung der Bürgerrechte. Auch die Frauen in Ihrer Familie waren schon immer emanzipiert. Sie sagten einmal, die Frauen dürfen sich nicht auf den Erfolgen ausruhen. Sind Sie von den jungen Frauen heute ermutigt oder enttäuscht?

Ermutigt bin ich, was das Selbstbewusstsein junger Frauen angeht – wenn ich Bücher wie das von Thea Dorn über die „neue F-Klasse“ lese, oder sehe, wie sich junge Frauen heute die Öffentlichkeit erobern. Unsere erste Bundeskanzlerin ist ein erfreuliches Vorbild. Anders als viele meiner Altersgenossinnen schert es mich wenig, ob sie uns Veteraninnen der Emanzipation dankbar sind. Doch die Lebenssituation von jungen Müttern ist heute nicht weniger schwierig als zu meiner Zeit. Meine Kinder haben ihrerseits Kinder. Weil sie auskömmlich verdienen, können sie ihre Kinder betreuen lassen. Aber viele junge Frauen haben diese Möglichkeiten nicht und deshalb auch nicht die gleichen Chancen im Berufsleben. Zum Lobe von Sachsen-Anhalt sei gesagt, dass dort mehr für die Betreuung von Schulkindern getan wird als anderswo.

Hatten Sie eine Tagesmutter?

Wir hatten immer eine Kinderfrau. Mein Mann und ich, wir waren beide berufstätig. Anfangs ging eines der beiden Assessorengehälter für die Kinderbetreuung drauf. Je mehr wir später verdienten, umso leichter konnten wir uns Hilfen leisten.

Ist der Gegensatz Mutter versus berufstätige Frau das größte Problem, was die Gleichberechtigung betrifft?

Der Muttermythos spielt in Deutschland eine so große Rolle wie in keinem anderen Land. Es wird so getan, als ob einzig die Mutter die richtige Zuwendungsperson für ein Kind sein könnte. Dieses zählebige Verständnis der Mutterrolle ist aber nicht das eigentliche Problem. Nach wie vor lassen sich Familie und Beruf schwer vereinbaren. Hinzu kommt die geringe Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der Berufsperspektiven. Heiner Geißler hat treffend gesagt: Wenn junge Leute ein Berufsleben vor sich sehen, das nur aus Minijobs und befristeten Arbeitsverträgen besteht, dann verlieren sie zwar nicht die Lust am Sex, aber die Lust aufs Kinderkriegen. Man mutet unserer jungen Generation eine Unsicherheit zu, die wir nicht kennengelernt haben.

Sie leben nach der Maxime, Langeweile ist der Feind des gesunden Alterns. Was machen Sie nach dem Ende Ihrer Goethe-Präsidentschaft?

Nun, ich habe noch eine Reihe von Ehrenämtern: Unter anderem bin ich Mitglied der beratenden Kommission, die sich mit der Raubkunst beschäftigt, und gehöre drei Hochschul- und Stiftungsräten von Universitäten an. Außerdem haben mir bereits freundliche Kollegen die Mitarbeit an ihren Projekten angeboten, schließlich wüssten sie, wie krankheitsfördernd der Ruhestand sonst sein könne. Auch steht noch eine Biografie über Louise Schröder (erste und bisher einzige Oberbürgermeisterin von Berlin, die Red.) auf meinem Plan. Ich fürchte nicht, dass ich Langeweile bekommen werde.

Das Gespräch führten Ruth Ciesinger und Martin Gehlen.

ZUR PERSON

BERLINERIN

Jutta Limbach wurde am 27. März 1934 in Berlin geboren. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Freien Universität und wurde dort 1972 zur Professorin ernannt.

POLITIKERIN

Die SPD-Politikerin war unter Walter Momper von 1989 bis 1994 Justizministerin in Berlin. 1994 wechselte sie dann ans Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, wo sie noch im selben Jahr zur Nachfolgerin von Roman Herzog als Präsidentin bestimmt wurde.

EHRENAMT

Von 2002 bis 2008 war Jutta Limbach Präsidentin des Goethe-Instituts.

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