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Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender der Jusos.

© Michael Kappeler/dpa

Update

Komplette Abschaffung?: Juso-Chef Kühnert will SPD über Hartz-IV-Sanktionen abstimmen lassen

Das Bundesverfassungsgericht hat Sanktionen beim Arbeitslosengeld Grenzen gesetzt. Die Grünen wollen eine grundlegende Reform, die Jusos „die Angst vertreiben“.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz-IV-Sanktionen mehreren sich die Forderungen nach einer grundlegenden Reform. Juso-Chef Kevin Kühnert will den SPD-Parteitag im Dezember sogar über eine Abschaffung aller Sanktionen abstimmen lassen. "Wir Jusos werden dann beantragen, dass die SPD künftig komplett auf Sanktionen verzichtet und stattdessen Förderung, Ermutigung und den Rechtsanspruch auf Qualifizierung und Weiterbildung in den Mittelpunkt stellt", sagte Kühnert der Düsseldorfer "Rheinischen Post". Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck plädiert für eine "Garantiesicherung" mit "Leistungsprämien", die Linke für ein "Arbeitslosengeld Plus". Die Union mahnt hingegen zur Vorsicht.

"Wie wir mit den verbleibenden Sanktionen umgehen, das entscheidet der SPD-Bundesparteitag im Dezember", sagte Kühnert. Das Bundesverfassungsgericht habe mit seinem Urteil einen wichtigen Beitrag geleistet, um die allgegenwärtige Angst aus den Fluren der Jobcenter zu vertreiben. Die SPD habe sich bereits mit ihrem neuen Sozialstaatskonzept deutlich vom bisherigen Sanktionsregime verabschiedet und sei nun in ihrem Weg bestätigt worden. Er freue sich über die "prompte Ankündigung" von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), die Vorgaben zügig umsetzen zu wollen.

Kühnert warnte jedoch davor, es dabei zu belassen. Das Hartz-System atme "den ideologischen Geist einer längst vergangenen Zeit". Auch wenn seine grundlegende Überwindung mit der Union nicht möglich sein werde, so gehörten offensichtliche Ungerechtigkeiten auf den Tisch, sagte der Juso-Chef.

"Reparaturen von Haushaltsgeräten, Rückforderungen von Kleinstbeträgen, aberwitzige Abzüge bei Zuverdiensten - insbesondere die kleinen Ungerechtigkeiten des Hartz-Alltags drangsalieren die Leistungsempfänger und untergraben das Vertrauen in einen gerechten Sozialstaat", sagte Kühnert. "Hier sind Änderungen unmittelbar geboten, bevor wieder Gerichte tätig werden müssen."

Auf ihrem Parteitag im Dezember will die SPD auch eine neue Doppelspitze für den Vorsitz wählen. Die Kandidatin Saskia Esken, die sich zusammen mit Norbert Walter-Borjans bewirbt, hatte sich am Dienstag in ähnlicher Weise wie Kühnert geäußert, wenn auch knapper. „Das Urteil bestätigt mich in meiner Auffassung, dass Sanktionen falsch sind“, schrieb sie bei Twitter. „Ich will einen Sozialstaat, der motiviert und befähigt.“

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Das Bundesverfassungsgericht hatte am Dienstag die Hartz-IV-Sanktionsregelungen teilweise für verfassungswidrig erklärt. Wenn Pflichten verletzt werden, dürfen die Leistungen höchstens um 30 Prozent gekürzt werden, entschieden die Richter. Grundsätzlich sind Sanktionen zwar weiterhin möglich, bislang mögliche Kürzungen von 60 Prozent oder der komplette Wegfall der Leistungen sind aber mit dem Grundgesetz unvereinbar. Die Richter sahen einen Konflikt mit der Menschenwürde.

Linke will „Arbeitslosengeld Plus“, Habeck eine „Garantiesicherung“

Die Linke im Bundestag will mit einem neuen „Arbeitslosengeld Plus“ umfassende Verbesserungen für Arbeitslose erreichen. Die neue Leistung soll nach dem Bezug des Arbeitslosengelds fließen, wie aus einem Antrag der Linken hervorgeht, der der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt. „So schaffen wir soziale Sicherheit und ziehen dem Disziplinierungsinstrument Hartz IV die Zähne“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Susanne Ferschl der dpa.

Das "System vom Kopf auf die Füße zu stellen", fordert Grünen-Chef Robert Habeck. "Wir sollten eine Garantiesicherung einführen, die auf Anreiz, Ermutigung und individuelle Unterstützung setzt", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Wer sich weiterbilde oder qualifiziere solle "Leistungsprämien" bekommen.

Auch müssten die Zuverdienstregeln geändert werden, sagte Habeck. Bisher dürfen Hartz-IV-Bezieher etwa mit einem Minijob oberhalb eines Freibetrags von 100 Euro maximal 20 Prozent des Lohns behalten, ohne dass dieser auf die Sozialleistung angerechnet wird. "Während Spitzenverdiener in Deutschland höchstens 45 Prozent ihres Einkommens versteuern müssen, müssen die Menschen, die am wenigsten verdienen, 80 Prozent und mehr ihres hartverdienten Einkommens abgeben", kritisierte Habeck.

Union lehnt komplette Abschaffung der Sanktionen ab

Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, plädierte zunächst nur für eine zusätzliche Aufhebung der Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher unter 25 Jahren. „Auch wenn das gestrige Urteil nur die über 25-Jährigen betroffen hat, ist doch jedem klar, dass Respekt und Menschenwürde auch für den Umgang mit jungen Menschen gelten muss“, sagte die Grünen-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. Der Staat dürfe diese Menschen nicht in Existenznöte stürzen. „Union und SPD sollten nicht darauf warten, bis ihnen erneut ein Gericht vorschreibt zu handeln und die sozialen Grundrechte zu respektieren.“

Die Union lehnt derweil die komplette Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen ab. „Es ist gut, dass das Bundesverfassungsgericht die Sanktionen im Bereich des Arbeitslosengelds II insgesamt nicht in Frage stellt“, sagte Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe der „Rheinischen Post“. Die Koalition werde genau prüfen müssen, welcher gesetzgeberische Handlungsbedarf durch das Urteil ausgelöst werde. Im Vordergrund müssten aber weitere Anreize zur Arbeitsaufnahme stehen. (AFP, dpa)

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