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Der frühere Außenminister Joschka Fischer.

© Soeren Stache/dpa

Hängepartie in Italien: Joschka Fischer sieht EU in "existenzbedrohender Krise"

Ex-Außenminister Fischer hält die instabile Lage in Italien für brandgefährlich. Sogar ein Ausscheiden Italiens aus der EU sei nicht auszuschließen, sagte er im Bundestag.

Joschka Fischer hat schon seine Erfahrungen mit dem Kubus des Anhörungssaals 3.101 im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, wo er am Mittwoch eingeladen war. 2005 hatte der damalige Außenminister „das Vergnügen“, in jenem Saal des Bundestages „auf der Zeugenbank Platz zu nehmen“, erzählte der Ober-Grüne launig. Damals ging es um eine missbräuchliche Visa-Vergabe in deutschen Botschaften, die der Bundestag in einem Untersuchungsausschuss unter die Lupe nahm. Am Mittwoch trat Fischer gewissermaßen auch als Zeuge auf – als Kronzeuge des europäischen Zukunftsprojekts.

„Scheitert Europa?“ – so lautete der Titel von Fischers Vortrag. Denselben Titel trägt auch ein Buch, das er 2014 vorgelegt hat. Schon damals war die Europäische Union während der Euro-Krise einer Zerreißprobe ausgesetzt. Allerdings konnte seinerzeit niemand vorhersehen, dass ein Populist wie Donald Trump ins Weiße Haus einziehen und die Europäer vor die Frage stellen würde: Sie sind zwar wirtschaftlich eine Großmacht, aber trauen sie sich auch eine außenpolitische Führungsrolle in der Welt zu?

Fischer brauchte im Bundestag nicht lange, um zum Thema zu kommen. Die amerikanische Schicksalswahl vom November 2016 fasste er in ein eindrückliches Bild: „Man kann auch sagen, ein Komet hat eingeschlagen in die internationale Ordnung, ein Komet namens Donald Trump.“ Aus der Tatsache, dass „der große Bruder auf der anderen Seite des Atlantiks“ den europäischen Verbündeten sicherheitspolitisch nicht mehr unumstößlich beistehe, zog Fischer den Schluss: „Europa muss jetzt auf eigenen Beinen stehen und gehen, muss agieren.“

Fischer hält Schweigen der Bundesregierung zu Macron für "skandalös"

Allerdings war es kein hoffnungsfrohes Szenario, das der 70-Jährige für die Zukunft der EU beschrieb. Zwar hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron weitreichende Vorschläge gemacht, die von der europäischen Verteidigungspolitik bis zu einer Stärkung der Euro-Zone reichen. Ende Juni soll es beim EU-Gipfel eine deutsch-französische Verständigung zur Reform der Euro-Zone geben, allerdings hält sich Berlin bislang in den Details bedeckt. Das Schweigen der Bundesregierung zu den Vorschlägen Macrons sei „skandalös“, wetterte Fischer. Gleichzeitig forderte er die Bundesregierung auf, mehr in die Europäische Union zu investieren: „Mit der Denkblockade ,Die wollen nur unser Geld‘ wird es nichts werden.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Fischer die seit gut zwei Monaten erneut regierende große Koalition zu mehr Mut in der Europapolitik ermahnt. Zwar hat er sich längst aus der aktiven Politik zurückgezogen, aber an guten Ratschlägen lässt er es nach wie vor nicht mangeln. So erklärte Fischer Ende April im „Stern“, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) „eigentlich ein Glück für das Land“ sei. Allerdings schränkte er sein Lob dabei dahingehend ein, die Bundeskanzlerin komme „nicht in den Modus, den Menschen ihre Politik zu erklären“.

Fischer selbst hat stets mit Verve für seine politischen Vorstellungen geworben. Fünf Jahre bevor Merkel ins Kanzleramt einzog, entwarf Deutschlands damaliger Chefdiplomat „als Privatmann“ in einer Rede in der Humboldt-Universität große Visionen für den Aufbau eines Zwei-Kammer-Systems auf europäischer Ebene.

Auf dieses Modell kam Fischer am Mittwoch im Bundestag zwar nicht mehr zurück. Stattdessen warnte er: „Europa steht vor einer existenzbedrohenden Krise.“ Vor allem die politische Krise in dem europäischen Gründungsstaat Italien könnte zum Scheitern der EU führen, warnte er. Die politische Hängepartie in der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone ist nach Ansicht des Ex-Außenministers viel ernster als seinerzeit die Griechenland-Krise. Zwar könne er sich die EU ohne Italien nur schwer vorstellen, sagte Fischer nachdenklich. Aber er fügte hinzu: „In diesen Zeiten, in denen politische Kometen einschlagen und das Oberste nach unten gekehrt wird, muss man auch beginnen, das Undenkbare zu denken.“

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