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Abschieds-Vorstellung: Am Montag um Punkt zwölf öffnet sich die Seitentür. Ein kleinerer, älterer Herr in schwarzem Anzug stiefelt zügig auf das Pult zu. „Guten Tag“, sagt Joachim Gauck ...

© Hannibal Hanschke/REUTERS

Bundespräsident: Joachim Gauck geht - kein Staatsnotstand in Sicht

Gebeten, ja gedrängt zu bleiben, haben sie ihn fast alle. Doch Joachim Gauck will nicht noch einmal Bundespräsident sein – und geht in aufgewühlten Zeiten.

Von Robert Birnbaum

Der Große Saal im Schloss Bellevue hat auch schon einiges gesehen. Empfänge und Galadiners finden in dem lichten, hohen Raum mit den beiden riesigen abstrakten Gemälden in Gelb und Lila an den Längsseiten statt. Kabinette werden hier vereidigt. Aber wenn auf einmal ein einsames Rednerpult akkurat mittig vor der Längswand steht, daneben die Bundesflagge und davor auf einem Podest sehr viele Fernsehkameras, dann ist wohl wieder mal ein Abschied angesagt.

Am Montag um Punkt zwölf öffnet sich die Seitentür. Ein kleinerer, älterer Herr in schwarzem Anzug stiefelt zügig auf das Pult zu. „Guten Tag“, sagt Joachim Gauck, noch bevor er angekommen ist. Und dann erklärt der Bundespräsident, weshalb es demnächst genug gewesen sein wird mit seinem Dienst am Land.

Eine Überraschung ist das nicht. Seit ein paar Wochen setzt praktisch jeder an der inoffiziellen Berliner Polit-Wettbörse darauf, dass Gauck sich nächstes Jahr nicht noch mal zur Wahl stellt. Seit ein paar Tagen traf man Leute, die es so gut wie zu wissen glaubten.

Trotzdem zuckt mancher leicht zusammen im Saal, als Gauck daran erinnert, wie ihn die Bundesversammlung vor vier Jahren zum Staatsoberhaupt gewählt hat: „Seitdem übe ich das Amt mit Respekt und auch mit Freude aus, und ich werde es weiter ausüben...“ Ganz, ganz kurze Pause. Ist es Einbildung, oder blitzt bei Gaucks Sprecherin vorn im Journalistenpulk die Andeutung eines Lächelns auf? Vielleicht ist die Schrecksekunde Absicht, kleine Strafe für den oder die Unbekannte, die der „Bild“-Zeitung Gaucks Entscheidung vorab gesteckt hatte?

Aber es geht dann doch so weiter wie erwartet: „…bis zum 17. März 2017.“ Fünf Jahre, eine Amtsperiode, dann soll es genug sein.

„Ich werde es weiter ausüben... - …bis zum 17. März 2017.“

„Diese Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen“, sagt er. Aber er wird bei seinem Ausscheiden 77 Jahre alt sein. Im Moment, sagt er, geht es ihm gut. Aber „ich möchte für eine erneute Zeitspanne von fünf Jahren nicht eine Energie und Vitalität voraussetzen, für die ich nicht garantieren kann“. Wie man mit dem eigenen Alter umgehe, sei eine sehr persönliche Sache; dies also sei jetzt seine persönliche Antwort.

Nun ist das mit dem Alter allerdings nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte findet sich ein wenig versteckt im Rest seiner kurzen Erklärung. Aber um den richtig zu verstehen, muss man zurückblenden auf die anderen Ereignisse am gleichen Ort mit Pult, Bundesadler und Kameras.

Denn Johannes Raus elegant-beiläufige Abdankung beim Gartenfest war ja der letzte Abschied, der kein Drama bot. Danach stand als Erster fast auf den Tag genau vor sechs Jahren Horst Köhler neben dieser Bundesflagge und trat „mit sofortiger Wirkung“ zurück. Das war wirklich mal eine Überraschung – Angela Merkel bedauerte den Rücktritt „auf das Härteste“, was sprachlich Unfug war, aber dafür verriet, wie sehr sie der Schritt aus der Fassung brachte, den sie als Fahnenflucht empfand. Bloß weil der Grüne Jürgen Trittin dem Staatsoberhaupt nach einem missverständlichen Interview vorgeworfen hatte, es wolle Auslandseinsätze ohne Rücksicht auf das Grundgesetz!

In Wahrheit war Köhler sauer, weil ihn niemand verteidigte, die Kanzlerin inklusive. In einer noch tieferen Wahrheitsschicht passte der Mann, den Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle als Herold ihrer Radikalreformpläne durchgesetzt hatten, nicht mehr ins Konsensklima der großen Koalition.

Eine solche tiefere Wahrheit ließ auch den nächsten Mann am Pult abdanken: Christian Wulff musste gehen, weil er sich im Umgang mit einer Affäre angreifbar gemacht hatte, die für sich genommen den Skandal kaum wert gewesen wäre.

Gauck hat beide Fälle sozusagen als Betroffener erlebt. Er war 2010 Kandidat der rot-grünen Opposition gegen Wulff. Zwei Jahre später brachten ihn Grüne und Sozialdemokraten wieder ins Spiel. Der neue FDP-Chef Philipp Rösler setzte ihn durch, ein taktisches Manöver, zu dem Merkel zähneknirschend nur noch Ja und Amen sagen konnte.

Der rot-grüne Kandidat Gauck war ein Glücksfall für die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Merkel

Ihre Niederlage erwies sich als Glücksfall. Gauck tat sich erst ein bisschen schwer, das neue Amt zu verstehen, hat sich anfangs zu allzu vielem geäußert und zu wenigem so nachdrücklich, dass es Spuren hinterließ. Aber die Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz 2014, in der er das große, starke, vereinte Deutschland auf eine neue Verantwortung als Führungsnation verpflichtete, wurde seine Positionsbestimmung. Bei den Grünen und den Roten fragte sich danach mancher, ob das wirklich ihr Kandidat war.

Aber das Wichtigste war doch: Der Pastor, Ex-Bürgerrechtler, Ex-Volkskammerabgeordnete, Ex-Wächter über die dunkelste Seite der DDR im Stasi-Aktenarchiv – dieser Mann, der Geschichte erlebt und selbst ein wenig mitgestaltet hat, war bald ein so selbstverständlicher „unser aller Mann im Schloss“, dass keiner mehr die sorgenvolle Frage stellte, ob das höchste Staatsamt nach zwei Gescheiterten nicht selbst gescheitert war.

Womit wir beim etwas versteckten Teil von Gaucks Ansprache angekommen wären. Den Passagen nämlich, in denen der Präsident nicht sagt, warum er aufhört, sondern deutlich macht, warum er nicht weitermacht. Gebeten, ja gedrängt haben sie ihn fast alle, von der Kanzlerin abwärts, die Linke mal ausgenommen. Gauck bedankt sich herzlich für alle „Zeichen der Ermutigung und der Unterstützung“.

Er weiß aber natürlich, dass das Drängen des politischen Spitzenpersonals nicht ihm als Person galt – oder jedenfalls nur insoweit, als keiner etwas gegen ihn hat. Was wiederum nur bedingt schmeichelhaft ist für ein Staatsoberhaupt, das sich als erster Bürger sieht, als „Citoyen“ im Sinne der Aufklärung, wenn er von Regierenden wie Opponierenden so wenig als Störfaktor wahrgenommen wird.

Diesmal entscheiden wohl die Grünen, wer Bundespräsident wird

Aber das genau machte seine Qualität in den Augen derer aus, die überhaupt keine Lust hatten, zu Beginn des Wahljahrs 2017 jetzt auch noch einen Präsidenten neu wählen zu müssen. Die CDU hat darauf keine Lust, die CSU nicht, die SPD nicht, die Grünen auch nicht. Präsidentenwahlen sind seit Gustav Heinemann selig Koalitionssignalwahlen. Die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung fügen es, dass diesmal wohl die Grünen entscheiden, wer Gaucks Nachfolger wird. Merkels Kandidat wäre ein Symbol für Schwarz-Grün, Sigmar Gabriels Kandidat eins für Rot-Rot-Grün. Die Grünen können sich also aussuchen, welche Hälfte ihrer Klientel hinterher sauer ist und ob sie lieber Merkel düpieren oder Gabriel.

Gauck hätte also weitermachen können. Er hätte auch gerne wollen. Bundespräsident ist ein ideales Amt für einen intelligenten Menschen mit pastoralem Sendungsbewusstsein. Zuletzt auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise hat er seiner Gemeinde ins Gewissen geredet – der Kanzlerin mit der Mahnung, dass jede Gesellschaft Grenzen der Aufnahmefähigkeit hat, deren Gegnern mit der Mahnung zu Offenheit gegenüber Not.

Wer ihn in der Zeit erlebt hat, traf einen Mann, der sich selbst – nicht mal ungern – die Frage stellte, ob er in derart aufgewühlten Zeiten von Bord gehen kann. Der Gesellschaft das Schauspiel einer Kandidatenkür ersparen und den staatstragenden Parteien den Verdruss des Publikums – wäre das nicht ehrenwertes Motiv genug?

Aber mit dieser Begründung bleiben, ob ausgesprochen oder nur vermutet, das hätte diesem Montag genau das gleiche dramatische Gepräge gegeben wie den letzten Tagen, an denen einer im schwarzen Anzug hier ans Pult trat. Und so zählt Gauck das Argument auf, das ihn anders hat entscheiden lassen: „Unser Land hat engagierte Bürger, und es hat funktionierende Institutionen. Der Wechsel im Amt des Bundespräsidenten ist in diesem Deutschland daher kein Grund zur Sorge, er ist vielmehr demokratische Normalität – auch in fordernden, schwierigen Zeiten.“

Kein Staatsnotstand in Sicht, so wie ihn der Vorgänger Köhler ausmalte, als er dem Kanzler Gerhard Schröder den Weg zur Neuwahl ebnete – auch das gehört zur Vorgeschichte dieses Montags. Und übrigens wohl Daniela Schadt. Die Lebensgefährtin des Präsidenten, gelernte und geachtete Journalistin, hat in einem Interview einmal daran erinnert, was die Republik schon erlebt hat von der Berlin-Blockade bis zur „bleiernen Zeit“ des RAF-Terrors. Das waren echte Krisen, fand Schadt – anders als heute ein „leidenschaftlicher Diskurs“ über Flüchtlingspolitik und das bisschen AfD.

Und somit kann er also gehen, weil er nicht bleiben muss. Etwas bleibt er ja noch. Zu mehr Zuversicht will er seine Deutschen in der Zeit noch ermuntern. „Wir haben gute Gründe, uns Zukunft zuzutrauen.“ Im Stillen mag er hinzufügen: Obwohl’s schade ist – auch ohne mich.

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