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Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner Ansprache zum Tag der Deutschen Einheit in der Alten Oper in Frankfurt am Main.

© Ralph Orlowski/AFP

Update

Rede zum Tag der Deutschen Einheit: Joachim Gauck: Flüchtlingskrise noch größere Aufgabe als Einheit

"Nun soll zusammenwachsen, was bisher nicht zusammengehörte": Beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Frankfurt am Main schlägt Joachim Gauck eine Brücke zwischen 1990 und 2015.

Aus der Sicht von Bundespräsident Joachim Gauck stellt die Integration Hunderttausender von Flüchtlingen das Land vor eine noch größere Aufgabe als die deutsche Wiedervereinigung. „Wie 1990 erwartet uns eine Herausforderung, die Generationen beschäftigen wird“, sagte Gauck beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Frankfurt am Main. „Doch anders als damals soll nun zusammenwachsen, was bisher nicht zusammengehörte.“

Gauck würdigte die Leistungen der Bürgerrechtsbewegung in der DDR auf dem Weg zur deutschen Wiedervereinigung. Mit ihrem Aufbegehren von 1989 hätten die Ostdeutschen den Westdeutschen ein großes Geschenk gemacht. „Die friedliche Revolution zeigt: Wir Deutschen können Freiheit.“ Umgekehrt hätten die Westdeutschen auch den Ostdeutschen ein Geschenk gemacht: das Grundgesetz, eine funktionierende Demokratie, eine unabhängige Justiz und das Sozialsystem. Auch damals habe es Ängste und Fragen gegeben - wie heute angesichts der hohen Flüchtlingszahlen. Allerdings: Ost- und Westdeutsche sprächen dieselbe Sprache und blickten auf dieselbe Kultur und Geschichte zurück. „Wie viel größere Distanzen dagegen sind zu überwinden in einem Land, das zum Einwanderungsland geworden ist.“ Die Debatte über die neue Aufgabe sei auch mit Kontroversen verbunden. „Lassen Sie aus Kontroversen keine Feindschaften entstehen“, mahnte Gauck unter großem Beifall der Gäste.

Ost- und Westdeutsche sprächen dieselbe Sprache und blickten auf dieselbe Kultur und Geschichte zurück, sagte Gauck. „Wie viel größere Distanzen dagegen sind zu überwinden in einem Land, das zum Einwanderungsland geworden ist.“ Der Empfang der Flüchtlinge im Sommer dieses Jahres sei „ein starkes Signal gegen Fremdenfeindlichkeit, Ressentiments, Hassreden und Gewalt“ gewesen.

Allerdings spüre „wohl fast jeder, wie sich in diese Freude Sorge schleicht, wie das menschliche Bedürfnis, Bedrängten zu helfen, von der Angst vor der Größe der Aufgabe begleitet“ werde. „Unser Herz ist weit“, sagte der Präsident. „Aber unsere Möglichkeiten sind endlich.“

Merkel: „Das müssen wir gemeinsam schaffen, Deutschland, Europa und die Welt.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte Verständnis dafür, dass Fragen nach der Aufnahmefähigkeit Deutschlands gestellt würden. Schließlich befinde man sich in einer Lage, wie man sie bisher nicht gekannt habe, sagte sie in ihrer wöchentlichen Videobotschaft. Wer einen Schutzgrund habe, solle Schutz bekommen, stellte sie klar. Flüchtlinge dagegen, die aus rein wirtschaftlichen Gründen kämen, hätten das Land wieder zu verlassen. „Da müssen wir auch noch konsequenter sein und das deutlich machen.“ Merkel reagierte damit auf Forderungen aus Union und SPD, sie müsse deutlich machen, dass Deutschland derart viele Flüchtlinge nicht verkraften könne. Auch rief die Bundeskanzlerin rief zur internationalen Zusammenarbeit auf. Es müsse eine faire Aufgabenteilung geben, sagte Merkel vor dem offiziellen Festakt. Noch nie habe es so viele Flüchtlinge gegeben. „Das müssen wir gemeinsam schaffen, Deutschland, Europa und die Welt.“

Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) stellte sogar das Grundrecht auf Asyl infrage. Darüber werde man reden, kündigte er in der „Passauer Neuen Presse“ an. Nötig sei „eine massive Begrenzung der Zuwanderung“. Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann forderte die Kanzlerin auf, „Führungskraft“ zu zeigen und „deutlich zu sagen, dass mit einer Million Flüchtlinge in diesem Jahr unsere Möglichkeiten bei der Aufnahme nahezu erschöpft sind“. Änderungen am Asylrecht lehnte er jedoch ab.

Gauck mahnte, die Verständigung über Ziel und Ausmaß der neuen Integrationsaufgabe sei verbunden mit Kontroversen – aber er bitte alle: „Lassen Sie aus Kontroversen keine Feindschaft entstehen.“ Deutschland möge sich aus den positiven Erfahrungen der Wiedervereinigung den „Geist der Zuversicht“ bewahren. „Innere Einheit entsteht, wenn wir uns auf das Machbare konzentrieren, statt uns Zweifeln oder Phantastereien hinzugeben.“

Allerdings könne die Flüchtlingsfrage nur europäisch gelöst werden. Dazu gehörte auch eine bessere Sicherung der europäischen Außengrenzen. Gleichzeitig verlangte Gauck ein selbstbewusstes Eintreten für die Grundwerte dieser Gesellschaft. „Toleranz für Intoleranz wird es bei uns nicht geben“. Die Gleichberechtigung von Frauen oder Homosexuellen werde ebenso wenig infrage gestellt wie „unsere entschiedene Absage gegen jede Form von Antisemitismus und unser Bekenntnis zum Existenzrecht von Israel“.

Festakt war der Höhepunkt der Einheitsfeiern in Frankfurt

Zum Festakt in der Alten Oper begrüßte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), als amtierender Bundesratspräsident Gastgeber der zentralen Einheitsfeier, unter anderem den früheren Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und den letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière. An Helmut Kohl, der aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen konnte, sandte Bouffier Dank für dessen historische Leistung als „Kanzler der Einheit“.

Den DDR-Bürgerrechtlern, die bei der Feier in der ersten Reihe saßen, sprach er Anerkennung für ihren Mut aus: „Dieser Tag ist besonders auch Ihr Tag.“ Auch eine Gruppe Flüchtlinge nahm auf Einladung der hessischen Landesregierung am Festakt teil. An sie appellierte Bouffier, auf der Grundlage der klaren Werte der Verfassung eine gemeinsame Zukunft aufzubauen.

Der Festakt war der Höhepunkt der Einheitsfeiern in Frankfurt. Zu einem dreitägigen Bürgerfest unter dem Motto „Grenzen überwinden“, das schon am Freitag begann, werden eine Million Menschen erwartet. Bei einer Demonstration gegen die Einheitsfeier zogen am Freitagabend laut Polizei rund 1000 Menschen durch die Stadt. Zwischenfälle gab es nicht.

Auch in Berlin feierten Tausende den 25. Jahrestag der Deutschen Einheit. Zur Festmeile am Brandenburger Tor strömten seit dem Samstagvormittag viele Berliner und Touristen. Beim „Festival der Einheit“ sollten am Abend auch die Rockband Revolverheld und die Sängerin Lena auftreten. Am Reichstag waren am Abend eine Rede von Lammert sowie ein Feuerwerk geplant. (mit dpa)

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