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Haareraufen mit Filterfunktion. Junge Frau auf einer Treppe in Berlin.

© imago/photothek

Krisengerede: Jammern kann jeder

Die Deutschen haben großes Talent, sich die Welt schlecht zu reden - weit über die Pandemie hinaus. Ein Zwischenruf.

Orientierungslos. Treffenderes fällt mir nicht ein, wenn ich an die vorherrschende Geisteshaltung denke, die viele in Deutschland lebende Menschen ergriffen hat. Fast alle Lebensbereiche werden als krisenhaft wahrgenommen: Klimakrise, Mobilitätskrise, Wohnungskrise, Schuldenkrise, Rassismuskrise, Finanzkrise, Armutskrise, Migrationskrise. Längst nicht nur die Pandemie. Das geht soweit, das gesamte System mit seinen zahlreichen vermeintlichen Krisenherden als völlig untauglich abzuqualifizieren.

Mit der aktuellen Mode, Fehler und Unterlassungen in Institutionen mit ihrer Unbrauchbarkeit gleichzusetzen, schütten wir das Kind mit dem Bade aus. Niemand käme wohl auf den Gedanken, Krankenhäuser grundsätzlich als Krisenherde zu betrachten, weil das Management nicht verhindern kann, dass Tausende von Patienten durch Krankenhauskeime (RKI 2019) sterben, oder weil das Krankenhaus in seltenen Fällen selbst Tatort für Serienmorde wird. So geschehen vor wenigen Jahren, als der Pfleger Niels Högel wegen zigfachen Mords verurteilt wurde.

Eine Haltung des So-überhaupt-nicht

Nichts schwächt eine Gesellschaft mehr als breite Orientierungslosigkeit. Anstatt Handlungsfähigkeit und Verantwortung zu aktivieren, machen sich So-überhaupt-nicht-Haltungen und Verbote breit, nicht nur in der Politik, auch in der Zivilgesellschaft. Der gerade vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig abgelehnte Mietendeckel der Rot-Rot-Grünen Berliner Landesregierung ist ein aktuelles Beispiel, eine Krise durch einen Systemwechsel noch zu verschärfen. Mit dem Urteil kann die Suche nach konstruktiven Lösungen nun beginnen, und zwar im Rahmen des existierenden Systems. Das Verfassungsgericht hat den Anfang gemacht.

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Auffällig ist, dass unter den bekannten Krisenherden der Nahrungsmittelsektor fehlt. Es läuft, nach anfänglichen Hamsterkäufen und leeren Regalen, nach außen reibungslos: Produktions- und Lieferketten, Angebotsbreite, und -fülle, Öffnungszeiten, qualifizierte Personalpräsenz scheinen gesichert zu sein. Wir Verbraucher können uns freuen und danken. Wie lässt sich das erklären trotz der Komplexität des Geschäftsmodells?

Hat es damit zu tun, dass die Kernbereiche privatwirtschaftlich oder genossenschaftlich (Beispiel EDEKA) organisiert und geführt sind? Eine staatsnahe Dienstleistung ist es jedenfalls nicht. Ernährung ist ein Grundbedürfnis. Industrie und Handel mögen eher Gewinner als Verlierer der Pandemie sein. In jedem Fall sind sie nicht orientierungslos und wissen um ihre existenzielle Aufgabe.

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