zum Hauptinhalt
CSU und Grüne finden auch Gemeinsamkeiten - wenn sie sie suchen. Horst Seehofer (CSU) und Winfried Kretschmann (Grüne) begrüßen sich zur verlängerung der Sondierungsverhandlungen am Freitagmittag.

© Silas Stein/dpa

Jamaika-Koalition wird weiter sondiert: Parteien haben kein Monopol auf Wahrheit

Schöpfung, Klima, Integration, Finanzen sind gemeinsame Aufgaben. Weil weder CDU, CSU, FDP noch Grüne ein Monopol auf die Wahrheit haben, müssen sie eine Koalition versuchen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

In jeder Kanzlerschaft kommt der Punkt, in dem sich alles bündelt. In dem die Dominanz nicht mehr in der Beliebigkeit liegen kann, die einem erlaubt, je nach Lage der Dinge auch einmal nicht zu entscheiden, wenn es der eigenen Sache nutzt. Das trägt eine Weile, vielleicht auch eine lange Weile, aber nicht über alle Zeiten. Das hat sehr schnell Gerhard Schröder lernen müssen, der zu einer prinzipienfesten Politik durch die Ereignisse geradezu gezwungen wurde, und das erfährt gerade Angela Merkel nach zwölf Jahren.

Im Herbst ihrer Kanzlerschaft ist sie herausgefordert wie nie, eine Koalition zu schaffen, die es in Deutschland im Bund so auch noch nie gegeben hat. Mit Parteien, die im Wesen und ihrem Kern kaum unterschiedlicher sein könnten, CDU, CSU, FDP, Grüne. Die auf den ersten Blick und nach allen Tönen im Wahlkampf unvereinbar wirken, müssen jetzt zusammenkommen, wohlgemerkt: müssen. Der Wählerauftrag ist – trotz allem – eine stabile Regierung, und diese vier müssen sie bilden. Andere Konstellationen gibt es nicht; nicht wenn Stabilität verlangt ist.

Und Neuwahlen sind nur insofern eine Option, als sie dem Verlangen Rechnung tragen würden, dieser vermaledeiten Jamaika-Sondiererei nach 55 Tagen ein Ende zu bereiten. Bloß welches? Das Ergebnis könnte das gleiche sein, nur mit einer noch stärkeren rechtspopulistischen Opposition. Das kann keiner wollen, der die vielzitierte staatsbürgerliche Verantwortung übernehmen will.

Bei genauem Hinsehen ist es doch so: Alle demokratischen Parteien sollten grundsätzlich in der Lage sein, miteinander Bündnisse zum Wohl des Ganzen einzugehen. Keine Partei wird je ihre Forderungen zu hundert Prozent durchsetzen können, immer wird es nur Annäherungswerte geben, übrigens dem Prozentanteil angemessen, den die Partei vom Souverän erhalten hat. Keine Partei darf darum Politik fürs Ganze blockieren, sie zur Geisel für fragwürdige Einzelinteressen nehmen. Denn die Macht ist von den Wählern nur geliehen.

Wer will, der kann - gemeinsam

Also geht es um die Suche nach Gemeinsamkeit. Und wer will, der kann. Die Union in ihren Ausprägungen CDU und CSU kann auf Liberale und Grüne zugehen, eben weil sie als Union auch diese beiden politischen Richtungen vereint. Der Vorsatz, die Schöpfung zu bewahren, trägt logischerweise das Thema Klima in sich, und ist so grün, dass ihn diese Koalition zusammen gut erfüllen könnte. Zumal die Freidemokraten dafür stehen, die Gesellschaft nicht zu nivellieren, sondern dem Einzelnen Verantwortung zuzutrauen. Das heißt: Sein Leben zu leben und es doch so einzurichten, dass es dem Gemeinwohl nicht schadet. In Summe ist solche Politik moderat, ist bewahrend, im Inneren liberal und reformerisch zugleich.

Kurz: Klima, Integration, Finanzen – jetzt gilt es. Spielraum ist da, auch finanzieller. Nur müssen ihn diejenigen, die da jetzt zusammensitzen, auch in Anspruch nehmen. Und sie sollten sich neues Denken gestatten. Dazu gehört, dem jeweils anderen zuzugestehen, dass auch seine Forderungen Berechtigung haben. Der Lehrsatz für dieses Dreier-Bündnis lautet: Keiner hat ein Monopol auf die Wahrheit. Mit dem im Sinn, ließe sich in der Tat das historische Projekt schaffen, von dem FDP-Chef Christian Lindner spricht.

Nicht einmal der Papst besteht noch auf dem Dogma der Unfehlbarkeit. Das aber nur an die Adresse der CSU.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false