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Dem deutschen Volke: Tareq Alaows, der aus Syrien flüchten musste, wurde nicht nur Deutscher, er kandidierte sieben Jahre nach der Flucht auch für die Grünen im Bundestag. Nach Morddrohungen zog er die Kandidatur zurück.

© Markus Schreiber/pa-AP

„Jahrzehnt der Einbürgerung“: Viele Geflüchtete aus Syrien wollen Deutsche werden

Immer mehr syrische Geflüchtete haben Anspruch darauf, eingebürgert zu werden. Und viele wollen dies auch. Die Ämter sind für den Ansturm schlecht gerüstet.

Die Zahl deutscher Bürgerinnen und Bürger dürfte in den nächsten Jahren erheblich wachsen – und viele werden syrische Wurzeln haben. Wie aus einer Untersuchung des Sachverständigenrats Integration und Migration (SVR) über aktuelle und mögliche künftige Einbürgerungen hervorgeht, haben sich allein im Jahr 2020 6.700 syrische Staatsangehörige einbürgern lassen, 73,6 Prozent mehr als noch im Vorjahr.

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Grund dafür ist, dass immer mehr von ihnen die Voraussetzungen für den deutschen Pass erfüllen und damit ein Recht darauf haben, eingebürgert zu werden. Das haben alle, die seit acht Jahren – in Ausnahmen seit sechs – rechtmäßig in Deutschland leben, sich zur Demokratie bekennen, ausreichend Deutsch sprechen und sich in der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung auskennen.

Außerdem dürfen sie nicht von Transferleistungen abhängig sein, es sei denn, sie haben das nicht selbst zu verantworten. Auch wer straffällig wurde, wird nicht eingebürgert.

Da ein Großteil der syrischen Geflüchteten erst in den nächsten beiden Jahren die nötige Zeit in Deutschland verbracht haben wird, „kann mit weiter steigenden Einbürgerungszahlen gerechnet werden“, heißt es in der Studie des SVR, der in Migrationsfragen für die Bundesregierung die Rolle erfüllt, die die Fünf Weisen als Beratergremium in Wirtschaftsfragen haben.

Zudem sei die „Arbeitsmarktaspiration“ der Menschen aus Syrien hoch und ihre Chancen, bezahlte Arbeit zu finden, gewachsen – und damit die Möglichkeit, sich, wie für die Einbürgerung gefordert, selbst zu ernähren. Nach fünf Jahren waren mehr als die Hälfte (55 Prozent) in Arbeit. Selbst die Corona-Pandemie habe anfangs zwar einen Rückschlag gerade für die oft prekär beschäftigten Flüchtlinge gebracht, dies aber nur für kurze Zeit.

Zu den Voraussetzungen einer Einbürgerung kommt die Motivation, Deutscher oder Deutsche zu werden. Die sei unter Menschen aus Syrien aktuell besonders hoch – wie laut internationalem Forschungsstand allgemein bei Geflüchteten. Für Flüchtlinge sei nämlich „der Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit mit geringeren identifikatorischen Hürden behaftet als für Menschen, die ihre ursprüngliche Nationalität nach wie vor als identitätsstiftend erleben und ihr gegenüber Loyalität empfinden“.

Aber selbst wenn der Wunsch, Deutsche zu werden, nachlassen sollte – auch das hat das SVR-Forschungsteam durchgerechnet – „würden sich ab 2024 jedes Jahr mindestens 22.000 Syrerinnen und Syrer einbürgern lassen“. Im vergangenen Jahr waren es laut Statistischem Bundesamt knapp 20.000, beinahe dreimal so viele wie im Jahr zuvor.

Insgesamt leben nicht ganz 800.000 Menschen aus Syrien in Deutschland (Stand Ende 2020); vor Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011 waren es nur 30 000.

Bewältigen die Behörden die vielen Anträge?

Das Forschungsteam des SVR prognostiziert den Höhepunkt der Einbürgerungen für syrische Staatsangehörige in zwei Jahren, wenn auch die, die etwas später kamen, 2016, die Mindestaufenthaltsdauer für einen Anspruch auf Einbürgerung geschafft haben. Aber auch danach blieben die Zahlen auf hohem Niveau, prophezeit der SVR.

Die zuständigen Behörden sieht er dafür allerdings noch nicht gerüstet. Die litten unter zu wenig Personal; die geplante weitere Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts – die Ampel will die Wartezeit von acht auf fünf Jahre herabsetzen, für besonders integrierte Menschen auf drei Jahre – könnte zusammen mit der bereits hohen Zahl berechtiger Syrerinnen und Syrer die Einbürgerungsämter der Länder vollends ins Aus schicken.

Sollten sie für das prognostizierte „Jahrzehnt der Einbürgerung“ nicht vorsorgen, könne das unangenehme Folgen auch für Deutschland haben: Es werde die Chance verpassen, junge und motivierte Menschen auf Dauer ans Land zu binden.

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