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Das Licht des Glaubens lässt nach. Rosenblüten, die zu Pfingsten durch das römische Pantheon regnen.

© Donatella Giagnori / picture alliance / dpa

Katholzismus: Italien fällt vom Glauben ab

Die Frömmigkeit geht zurück, auch wenn die Rechte mit religiösen Symbolen flirtet. Ein Gastbeitrag.

Der Autor hat eine Professur für Religionssoziologie an der Universität Münster.

In Italien, sagt man, sind die religiösen Bindungen so intensiv wie kaum irgendwo anders in Europa. Fast alle Italienerinnen und Italiener bekennen sich zu Gott, die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche ist eine Selbstverständlichkeit und nachdem der wöchentliche Gottesdienstbesuch von Mitte der 1950er bis Mitte der 1970er Jahre von etwa 70 Prozent auf die Hälfte zurückgegangen war, blieb er in der Folge fast stabil.

Dieses hohe Religiositätsniveau hat einmal damit zu tun, dass politisch und sozialethisch engagierte katholische Bewegungen wie die Focolarini, Comunione e Liberazione oder Cammino Neocatecumenale zur Verlebendigung des kirchlichen Lebens beitragen. Wichtig ist aber auch, dass die Frömmigkeit mit volksreligiösen und teilweise sogar magischen Praktiken verbunden ist.

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Darüber hinaus dürfte auch die Klerikerdichte eine Rolle spielen. Nirgendwo sonst in Europa kommen so wenige Gläubige auf einen Priester oder Ordensmann wie in Italien, auch nicht in Irland oder Polen. Und schließlich ist Rom der Sitz des Papstes.

Sinkende Gebetsfrequenz

Doch in den vergangenen 15 bis 20 Jahren ist der Bestand der Kirchenmitglieder von knapp 90 Prozent im ausgehenden 20. Jahrhundert auf 74 Prozent im Jahr 2017 gesunken. Gaben 2008 noch 39 Prozent der Italienerinnen und Italiener an, täglich zu beten, so sind es heute nur 27 Prozent.

Auch der Glaube an Gott, an Himmel und Hölle sowie ein Leben nach dem Tod verringerte sich. Dabei vollziehen sich die religiösen Abbrüche weniger innerhalb einzelner Lebensläufe als von einer Generation zur nächsten. Sie sind vor allem darauf zurückzuführen, dass beachtliche Teile der Elterngeneration ihre Religiosität nicht mehr an ihre Kinder weitergeben. Bieten veränderte Familienstrukturen also einen Schlüssel zur Erklärung der Säkularisierungsprozesse?

Der Familie kommt in Italien traditionell eine zentrale Funktion für den Zusammenhalt der Gesellschaft zu. Dabei werden die Care-Tätigkeiten vor allem von Frauen getragen. Deren Erwerbstätigenquote gehört zu den niedrigsten in Westeuropa, während die der Männer nur leicht unter dem Durchschnitt liegt. Zugleich hat sich die weibliche Erwerbsquote in den letzten Jahren stark erhöht. Heute sind mehr als die Hälfte der Italienerinnen erwerbstätig.

Während die Erwerbstätigenquote bei den Frauen mit der Zahl der Kinder sinkt, bleibt sie bei den Vätern nahezu gleich. Die Last der Hausarbeit liegt in Italien also weitgehend bei den Frauen. Mit bedenkenswerten Folgen. In keinem anderen Land der Europäischen Union ist die Geburtenrate so niedrig. Zugleich liegt der Anteil der Frauen unter den Studierenden über dem Durchschnitt.

Steigende Scheidungsrate

Insbesondere unter den Frauen in Süditalien ist das Bildungsniveau deutlich angestiegen. Viele von ihnen sind in den Norden gewandert, wo der Arbeitsmarkt mehr Hochqualifizierte aufzunehmen vermag. Es verwundert kaum, dass auch die Scheidungsrate vergleichsweise hoch ist und mit einem Prozentsatz von fast 50 Prozent höher ausfällt als in Deutschland oder Großbritannien.

Das heißt, die Großfamilie, über die religiöse Werte von einer zur nächsten Generation weitergegeben werden, wird in Italien immer mehr zu einem Minderheitsphänomen. Daher können immer weniger Frauen ihre angestammte Rolle als Vermittlerinnen religiöser Werte erfüllen.

Aber auch Veränderungen in der politischen Kultur Italiens sind von Bedeutung. Bis in die 1980er und teilweise sogar in die 1990er Jahre hinein war die Öffentlichkeit Italiens durch den in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinreichenden Einfluss der Partei Democrazia Cristiana (DC) und ihre Allianz mit weiten Teilen des politischen Katholizismus geprägt. Nach dem Niedergang der DC Anfang der 1990er Jahre franste der politische Katholizismus mehr und mehr aus. Im Schatten der untergegangenen Macht der Democrazia Cristiana formierten sich in den 1990er Jahren unterschiedliche katholische Lager, die noch immer beachtlichen Einfluss auf das Parteiensystem ausüben konnten.

Unter ihnen muss vor allem die konservative Allianz zwischen der populistischen Forza Italia Berlusconis und großen Teilen des italienischen Klerus unter Kardinal Ruini, dem langjährigen Präsidenten der italienischen Bischofskonferenz, genannt werden. Sie setzte sich für die Stärkung von Familienwerten, die Verschärfung des Abtreibungsrechts und gegen künstliche Befruchtung ein.

Wer versöhnt die Strömungen?

Daneben muss aber auch auf die Allianz einer sozialdemokratischen Mitte-links-Koalition mit dem sozialen Katholizismus hingewiesen werden, der unter dem Einfluss des Zweiten Vatikanischen Konzils für eine politisch und sozial engagierte Kirche eintrat und sich in Abgrenzung von den Rechtspopulisten um Berlusconi definierte.

Hinzu kommt, dass Johannes Paul II. mit seinem Einsatz für ein christliches Europa, seinem Antikommunismus und seiner charismatischen Ausstrahlung in den 1990er Jahren in der Lage war, die unterschiedlichen Strömungen immer wieder zusammenzubringen.

Mit der Fünf-Sterne-Bewegung und dem Aufstieg der Lega Nord in den Jahren nach der Jahrtausendwende polarisierte sich das politische Feld immer mehr, sodass die Bedeutung katholischer Stimmen zurückging. Die Kritik der Fünf-Sterne-Bewegung richtete sich gegen die etablierten Parteien, überhaupt gegen das Establishment und damit auch gegen die Kirche der Kardinäle, die von einem Vertreter der Fünf-Sterne-Bewegung wie Beppe Grillo ebenso provozierend angegriffen wurde wie korrupte Politiker, geldgierige Banken oder umweltgefährdende Unternehmen.

Die Rechtspopulisten unter Matteo Salvini hingegen stehen der kirchlichen Hierarchie nicht kritisch gegenüber; sie bedienen sich vielmehr der religiösen Symbolik und vermischen sie mit nationalistischer Rhetorik. Mit dem Rosenkranz in der Hand erklärte Salvini am 18. Mai 2019 vor dem Mailänder Dom, er vertraue Italien dem unbefleckten Herz der Jungfrau Maria an.

Salvini instrumentalsiert die Religion

Salvini polarisiert. Seine elitenkritische und antipluralistische Position, die auf die Begrenzung von Zuwanderung drängt, und seine Politisierung der Religion zieht viele Menschen an und stößt viele zugleich ab.

Dabei kommt die Kritik nicht nur aus der größer werdenden Gruppe der Konfessionslosen, sondern auch von den Gläubigen selbst. Vor allem die, denen der Glaube etwas bedeutet, stoßen sich an der fremdenfeindlichen Haltung Salvinis, an seinem Mangel an Empathie und an seiner Instrumentalisierung der Religion. Auch die Kirchenführer um Papst Franziskus, die die Staaten der Welt, unter ihnen auch Italien, seit Jahren dazu auffordern, ihre Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, gehen zu ihm auf Distanz.

Der Katholizismus in Italien ist heute so zersplittert, dass er auf die Öffentlichkeit nur noch einen relativ geringen Einfluss ausüben kann. Außerdem modernisieren sich die dominanten Formen der Religiosität in Italien immer mehr. Der allgemeine Prozess der Distanzierung von den großen Institutionen der Gesellschaft wirkt sich auch auf die religiösen Praktiken und Überzeugungen aus, die sich mehr und mehr individualisieren.

Es ist kein Zufall, dass die religiösen Bindungen überproportional im Süden Italiens zurückgehen, wo die Frömmigkeit traditionell einen stark volksreligiösen Charakter trug.

Die Tendenzen des religiösen Wandels, wie wir sie in Italien beobachten können, relativieren die verbreitete Kritik an der Säkularisierungstheorie. Diese schon oft totgesagte Theorie scheint erstaunlicherweise zur Erfassung des religiösen Wandels immer noch recht brauchbar zu sein.

Detlef Pollack

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