zum Hauptinhalt
Frieden schaffen, auch mit schweren Waffen.

© Swen Pförtner/dpa

Intellektuelle fordern Waffenstillstand in der Ukraine: Offene Briefe gehören zu einer offenen Gesellschaft

In Russland darf über den Krieg in der Ukraine nicht diskutiert werden. Für Demokratien ist der Streit, auch über Grundsatzfragen, konstitutiv. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Oops, sie haben es wieder getan. Mehrere deutsche Intellektuelle – von Juli Zeh über Richard David Precht bis zu Harald Welzer – haben einen Appell unterzeichnet, den Krieg in der Ukraine durch Verhandlungen zu beenden.

Die Rückeroberung aller von Russland besetzten Gebiete sei unrealistisch. Eine Fortsetzung des Krieges würde „massive humanitäre, ökonomische und ökologische Notlagen auf der ganzen Welt“ zur Folge haben.

Es sind dieselben Intellektuellen, die vor zwei Monaten in einem Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz vor der Lieferung schwerer Waffen warnten und einen „Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können“, forderten.

[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]

Auf diesen Brief reagierten 57 andere Intellektuelle – von Ralf Fücks über Marianne Birthler bis zu Hedwig Richter – und riefen die Bundesregierung zu einer zügigen Lieferung schwerer Waffen auf. Ein Erfolg des russischen Angriffskrieges müsse verhindert werden.

Was die Grenzen des Diskutierbaren sprengt

Beide offenen Briefe waren argumentativ unterfüttert und lösten eine breite, öffentlich ausgetragene Kontroverse aus. Es gab Talkshow-Einladungen und Interviews. Warum auch nicht? Für Demokratien ist der Streit, gerade auch über Grundsatzfragen, konstitutiv. Freilich gibt es Grenzen. Nicht alles, was von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, muss in einem Gemeinwesen diskutiert werden.

Mehr zum Ukraine-Krieg bei Tagesspiegel Plus:

Ein Pro-und-Contra über die Fragen, ob antisemitische Bilder gezeigt werden dürfen, Frauen ein Wahlrecht haben sollten oder die Todesstrafe wieder eingeführt werden soll, ist zum Glück verpönt. Zugleich sollte die Menge an Tabuthemen möglichst klein sein.

Im Flüchtlings-Herbst 2015 fühlten sich viele Gegner der offenen Grenzen marginalisiert. Im Corona- Frühling, ab 2020, fühlten sich viele Kritiker der staatlichen Maßnahmen an den Rand gedrängt. Soll es beim Großthema Krieg und Frieden nicht zwei entgegengesetzte Meinungen geben?

Ein paar späte, aber erstaunliche Einsichten

Immerhin ist der zweite Appell von zwar späten, aber erstaunlichen Einsichten geprägt. So heißt es darin: „Einen Diktatfrieden Putins darf es nicht geben.“ – „Die Ukraine hat sich dank massiver Wirtschaftssanktionen und militärischer Unterstützungsleistungen aus Europa und den USA bislang gegen den brutalen russischen Angriffskrieg verteidigen können.“ Daran lässt sich anknüpfen.

Die globale Auseinandersetzung, so ist jetzt oft zu hören, findet zwischen offenen, freiheitlichen, demokratischen Systemen und geschlossenen, autokratischen und diktatorischen Systemen statt. In Russland darf über den Krieg in der Ukraine nicht diskutiert werden. Wer es tut, wird eingesperrt.

Wenn es dem Westen gelingt, solche Debatten auszuhalten, ohne vor Wladimir Putin & Co. einzuknicken, hat er gewonnen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false