zum Hauptinhalt
Schule verboten: Die 17-jährige Sarah will Ingenieurin werden, aber höhere Bildung ist für Mädchen in Afghanistan nicht mehr möglich - außer, wie hier, zu Hause.

© Zohra Bensemra/Reuters

Aufnahme afghanischer Flüchtlinge: Integrationschancen neuer Flüchtlinge steigen

Die Zahl neuer Flüchtlinge aus Afghanistan wird klein bleiben, prognostizieren Forscher. Aber sie werden mehr Chancen in Deutschland haben.

Künftige Flüchtlinge aus Afghanistan werden in Deutschland wahrscheinlich öfter Arbeit haben und sich einfinden können als Landsleute, die in den vergangenen Jahren hier ankamen. Das sagen Forscher:innen und Forscher des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) voraus, die aktuelle Daten zur afghanischen Community in Deutschland und jenen ausgewertet haben, die demnächst kommen dürften.

Das Institut gehört zur Bundesagentur für Arbeit. Das Team um den Leiter seiner  Migrationsabteilung, den Ökonomen Herbert Brücker, prognostiziert in seiner Bestandsaufnahme (Titel) die Folgen des Abzugs der Nato-Verbündeten aus Afghanistan und die Machtübernahme der Taliban für Fluchtbewegung aus dem Land und Richtung Europa und Deutschland.

Deutschland war schon bisher wichtigstes EU-Zielland für flüchtende Afghan:innen. Insgesamt 216.000 von ihnen fanden hier bis Ende des letzten Jahres Schutz. Der Prozentsatz derer, die einer Arbeit nachgingen, lag im April bei 40 Prozent. Damit liegt die afghanische Beschäftigungsquote um drei Prozentpunkte höher als der Schnitt der acht wichtigsten Herkunftsländer von Geflüchteten in Deutschland.

 Wenige Zehntausend könnten kommen - wenn sie den Weg schaffen

Dabei waren ihre Ausgangsbedingungen schwieriger als die anderer Schutzsuchender – das sind Asylbewerberinnen und -bewerber einschließlich derer, die abgelehnt wurden, Kriegsflüchtlinge und Menschen, die durch Aufnahmeprogramme etwa der UN ins Land kamen. Das Bildungsniveau von Afghan:innen – Schule, Studium und Berufsausbildung – ist bisher deutlich niedriger als das anderer Geflüchteter.

So hat knapp ein Viertel (24 Prozent) derer, die schon in Deutschland sind, wegen der Lage in ihrem Land zuvor nie eine Schule besucht. Eine zusätzliche Schwierigkeit war für sie, dass sie lange keinen oder kaum Zugang zu Integrationskursen hatten. Trotz der Gefahr, der sie in ihrer Heimat ausgesetzt waren durch jahrzehntelangen Krieg, Verfolgung und Mord auch durch Warlords - Frauen schlicht weil sie Frauen waren – galt ihre “Bleibeperspektive” dem deutschen Staat als gering.

Folglich waren sie, obwohl 70 Prozent von ihnen inzwischen irgendeine Form von Schutz und Bleibemöglichkeit haben, lange von staatlichen Maßnahmen ausgeschlossen, die ihr Bleiben und Arbeiten befördert hätten. Abgeschoben wurde weiter nach Afghanistan – erst wenige Tage, bevor auch die Hauptstadt Kabul in die Hände der Taliban fiel, setzte Bundesinnenminister Horst Seehofer die Abschiebeflüge aus.

Jetzt ist die Lage gleich aus mehreren Gründen eine andere, urteilt das Team des IAB: Deutschland holt seit dem Nato-Abzug – wie etliche Verbündete - nun seinerseits besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan. Etwa 4000 sind bereits eingetroffen, die verbliebenen “Ortskräfte”, also Mitarbeiter:innen für westliche Organisationen oder das Militär schätzt das Auswärtige Amt aufs Zehnfache dieser Zahl.

Hinzu kämen bis zu 10.000 weitere, die besonderen Risiken ausgesetzt sind, weil sie sich politisch engagiert haben, als Frauen exponiert berufstätig waren oder Minderheiten angehören. Es sei allerdings “eine offene Frage”, prognostiziert das IAB, “ob und in welchem Umfang es diesen Menschen gelingt, nach Abschluss der Evakuierung der alliierten Truppen über die Nachbarländer aus Afghanistan zu fliehen und eine Aufnahme in den USA, der EU und anderen Hocheinkommensländern zu erreichen”.

Nachbarländer nicht mehr bereit zur Aufnahme

Für diese neue und vergleichsweise kleine Gruppe rechnet das IAB-Team mit viel besseren Chancen der Integration in Deutschland. Ihr Bildungsniveau dürfte höher sein. Damit verbunden haben sie auch mehr Mittel, eine Flucht selbst zu finanzieren, wenn sie es nicht über ihre ehemaligen Arbeitgeber:innen schaffen. Aus Afghanistan zu fliehen, kostete bereits zwischen 2013 und 2016 im Schnitt 8.900 Euro. Weil inzwischen viele Wege versperrt sind, ist das heute noch deutlich teurer.

Mit steigenden Kosten für Flucht und andere Formen der Migration steige aber üblicherweise “der Anteil der Bevölkerung an den Geflüchteten, der über ausreichende Ressourcen verfügt”, stellt das IAB fest. “Auch dies werden im Durchschnitt Personen sein, die über ein höheres Bildungsniveau als der Durchschnitt der Bevölkerung in den Heimatländern verfügen.”

Fazit des Forschungsteams: “Insgesamt ist zu erwarten, dass die Voraussetzungen für Integration in den Arbeitsmarkt, das Bildungssystem und andere gesellschaftliche Bereiche gegenwärtig besser als 2015 sind und sie folglich kürzere Zeiträume und geringere Kosten in Anspruch nehmen wird.”

Ihre Möglichkeiten, das Land zu verlassen, werden, obwohl sie noch mehr Gründe dazu hätten, drastisch geringer sein. Inzwischen sind nämlich, ähnlich wie die reichen Länder, auch die ärmeren Nachbarn Afghanistans nicht mehr bereit, Geflüchtete aufzunehmen, darunter die bisherigen Hauptaufnahmeländer Pakistan, der Iran und auch für die Türkei.

In den sechs Nachbarländern lebten Ende 2020 84 Prozent der Geflüchteten und Vertriebenen aus Afghanistan, nur 15 Prozent in Ländern mit hohem Lebensstandard – nur Tadschikistan hat sich bereiterklärt, dies forzusetzen und bis zu 100.000 afghanische Flüchtlinge zu beherbergen.

 Mahnung der OECD

Dabei haben die reichen Länder ein hohes Interesse an Einwanderung. Erst letzte Woche mahnte die OECD, die Organisation der 34 führenden Industrieländer, Deutschland dazu, mehr für die Anwerbung und Ausbildung von Fachkräften zu tun. Deutsche Firmen legten dabei in erster Linie wert darauf, dass die Neue ausreichend Deutsch könnten, nicht auf Diplome und passgenaue Qualifikation.

Im Zuge der Covid-Pandemie ist die Einwanderung in den globalen Norden um ein Drittel zurückgegangen und auf den Stand von 2003 gefallen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false