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Bundesinnenminister Thomas de Maizière in Kabul

© dpa/EPA/Hedayatullah Amid

Innenminister de Maizière in Kabul: Schluss mit dem Schwindel um Flüchtlinge aus Afghanistan

Die Welt redet sich die Lage in Afghanistan besser, als sie ist. Flüchtlingspolitik aber darf nicht unredlich oder zynisch sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ingrid Müller

Hauptsache nicht bei uns: Das ist inzwischen offenbar die Losung der Bundesregierung, wenn es um die Flüchtenden geht. Schaut man auf einige aktuelle Aktionen, schleicht sich das ungute Gefühl ein, dass bei alledem ein hohes Maß an Unredlichkeit herrscht.

Zum Beispiel Afghanistan. Plakativer hätte die Situation am Montag kaum sein können. Innenminister Thomas de Maizière aß in der deutschen Botschaft in Kabul zu Mittag, als einige Kilometer weiter ein Selbstmordattentäter ein Dutzend Zivilisten in den Tod riss.

Es könne nicht sein, dass junge Afghanen ihr Land verließen, nur um in Deutschland ein besseres Leben zu suchen, hatte der Minister vorher gesagt. Es gebe durchaus sichere Gegenden in Afghanistan. Dorthin könnten sie (zurück)gehen. Zynisch klang sein Kommentar aus der hoch gesicherten Botschaft nach der Attacke: „Wir haben auch Anschläge anderswo in der Welt. Der internationale Terrorismus bedroht nicht nur Afghanistan, sondern uns alle.“ Danach könne man seine Politik nicht ausrichten.

Geld gegen Rücknahme

Der Minister hat Geldversprechen im Gepäck – auch für die unglücklich agierende Regierung Ghani, damit sich nicht weiter derart viele Afghanen zu uns auf den Weg machen. Deren Zahl ist von 9700 im Jahr 2014 auf 150.000 im vergangenen Jahr gestiegen, die zweitgrößte Gruppe Asylsuchender nach den Syrern.

Thomas de Maizière mit seinem afghanischen Verhandlungspartner Nur-ul-Haq Ulomi während einer Pressekonferenz am 1. Februar 2016.
Thomas de Maizière mit seinem afghanischen Verhandlungspartner Nur-ul-Haq Ulomi während einer Pressekonferenz am 1. Februar 2016.

© dpa

Maizière unterstellt, das habe allein mit Schleusern zu tun, die Deutschland den Menschen wahrheitswidrig als Paradies anpreisen. Auch die gibt es, ja.

Vor allem aber gibt es viele verzweifelte Afghanen. Rund eine Million Menschen sind im eigenen Land auf der Flucht, auch nach Kabul, eins der wenigen als relativ sicher geltenden Gebiete. Dort sind die Slums heute schon schier unermesslich. Weite Regionen des Landes kontrollieren die Taliban, Deutsche trauen sich dort längst nicht mehr hin, auch keine Entwicklungshelfer, die Ausbildung oder Jobs bieten könnten – Voraussetzung für den Aufbau einer Existenz, und sei es in nahen Golfstaaten. Die Regierung dürfte die beunruhigenden Landkarten kennen.

Die Welt redet sich Afghanistan schön

Die Welt hat sich die Lage in Afghanistan bereits mehrfach besser geredet, als sie war. Vor allem aus innenpolitischen Gründen, in den USA wie Deutschland, sind die internationalen Truppen Ende 2014 abgezogen. Kritiker hatten gewarnt, die Afghanen könnten die Sicherheit noch nicht selbst gewährleisten, Menschen würden fliehen. Kandahar, Kundus, Kabul – die Zahl der Anschläge steigt massiv.

Inzwischen fürchten engagierte junge, gut ausgebildete Afghanen, die jahrelang den Willen hatten, ihr Land aufzubauen, wegen Sicherheitslage und Erstarken Erzkonservativer um ihr Leben. Einige verdienen gut. Ein paar Euros werden sie nicht halten. Andere, die bleiben wollen und es sich leisten können, drängen in die wenigen sicheren Gebiete. Dort steigen Preise wie Nachfrage seit Jahr und Tag.

Vor allem: Rund 50 Prozent der Afghanen erhalten in Deutschland Asyl, weitere 30 Prozent eine Duldung. Demnach geht es also nicht um die übergroße Mehrheit fliehender Afghanen. Wäre die Regierung redlich, gehörte auch das dazu. Schwindelnd werden wir es nicht schaffen.

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