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Die Krankenhäuser in Tschechien sind seit Wochen an der Leistungsgrenze.

© Radek Petrasek/dpa

Corona-Hotspot Tschechien: In der Dauerschleife

Ignoranz und Inkonsequenz machen Tschechien zum Corona-Hotspot. Ein früherer Staatspräsident verstärkt die Sorglosigkeit.

Er kam noch einmal glimpflich davon, dieser Patient, der zum Sinnbild für das tschechische Corona-Desaster taugt. Vaclav Klaus, der frühere Staatspräsident, erkrankte unlängst an Covid-19. Der 79-Jährige war in den Monaten zuvor auf Demonstrationen von Corona-Leugnern aufgetreten. Er musste Bußgelder bezahlen, weil er sich geweigert hatte, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Schließlich kam außerdem heraus, Klaus soll sich direkt vor seiner Erkrankung im winterlichen Riesengebirge aufgehalten haben – in einem Gebiet, das wegen besonders hoher Inzidenzzahlen eigentlich abgeriegelt ist.

Der frühere Staatspräsident hatte Glück, er ist nach Angaben aus seinem Umfeld wieder genesen. Aber fast 23500 Tschechen sind inzwischen an oder in Verbindung mit Covid-19 gestorben. An Werktagen wurden zuletzt mehr als 15000 Neuinfektionen täglich festgestellt. Für das Zehn-Millionen-Einwohner-Land sind das gewaltige Zahlen, die Tschechien weltweit zu einem der Corona-Hotspots machen. Überall im Land arbeiten die Krankenhäuser seit Monaten an ihrer Kapazitätsgrenze, Intensivmediziner in besonders betroffenen Regionen geben freimütig zu, dass die Triage bei ihnen alltägliche Praxis sei – also die Bevorzugung von Patienten, bei denen die Überlebenschance größer ist als bei anderen.

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Der Fall des Expräsidenten Vaclav Klaus zeigt, wo die Probleme des Landes liegen. Es gibt zwar einen Lockdown, aber viele Tschechen halten sich trotzdem nicht an die Regeln. Zweitens, fallen Verschwörungstheorien auf einen fruchtbaren Boden, beflügelt unter anderem von Auftritten wie jenen von Vaclav Klaus. „Das Virus macht sowieso, was es will“, behauptete er unter anderem und forderte die Lockerung der Einschränkungen.

Die Regierung handelt konsequent inkonsequent

Ein wesentlicher Faktor für die tschechische Misere ist aber auch die Politik. Die Regierung von Ministerpräsident Andrej Babis handelt seit Beginn der Krise inkonsequent. Experten sprechen gar von einem „Versagen“ und machen das an drei Schritten fest: Der erste war die extreme Lockerung im Sommer, wo selbst für Innenräume und den öffentlichen Nahverkehr die Maskenpflicht aufgehoben wurde. Sie wurde im Herbst wieder eingeführt, allerdings ließ die Regierung die Geschäfte auch dann noch geöffnet, als die Infektionszahlen besorgniserregende Ausmaße annahmen.

Einreisebeschränkungen an der deutsch-tschechischen Grenze.

© Armin Weigel, dpa

„Die Lockerungen, die die Regierung vor Weihnachten umgesetzt hatte, waren unsinnig, das war ein katastrophaler Fehler“, urteilt etwa Milan Kubek, der Präsident der tschechischen Ärztekammer. Um das Weihnachtsgeschäft zu retten und Familientreffen über die Feiertage zu ermöglichen, griff die Regierung erst am 27. Dezember zu weitergehenden Einschränkungen. „Experten hatten rechtzeitig gewarnt, dass für jeden Tag, den wir in Kneipen gehen, zum Friseur und zum Einkaufen, Tausende Leute sterben. Und es war die Wahrheit“, sagte Kubek. Als dritten Fehler betrachten Experten die langsame Reaktion auf die Virus-Mutationen, die ab dem Januar auftraten und sich in Tschechien rapide verbreiteten.

Wer in Quarantäne musste, bekam kein Geld

Die ansteckenderen Varianten sind nach bisherigen Erkenntnissen dafür verantwortlich, dass die Zahlen so dramatisch anstiegen und auch jetzt, in der Schlussphase eines strengeren dreiwöchigen Lockdowns, nicht in den Griff zu bekommen sind. „Die Leute sind müde, sie treffen sich privat und veranstalten Feiern, fahren in die Berge und irgnorieren die Polizei, die nichts dagegen machen kann“, stellte resigniert Rastislav Madar in einem Gespräch mit tschechischen Journalisten fest. Er ist einer der renommiertesten Epidemiologen des Landes.

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Als eine weitere Ursache für die hohen Fallzahlen gilt auch die Finanzpolitik der Regierung. Wer in Quarantäne musste, bekam dafür lange Zeit keinen Lohnausgleich. Deshalb gaben viele Patienten keine Kontaktpersonen an, um ihre Freunde und Kollegen nicht in ernsthafte wirtschaftliche Probleme zu bringen, die oft die Folge einer zweiwöchigen Quarantäne war.

Blick auf Deutschland

Dem Premierminister Andrej Babis wird jetzt vor allem eine Aussage aus dem Frühjahr 2020 vorgehalten. Damals reagierte seine Regierung mit am schnellsten auf die ersten Corona-Fälle, ordnete einen weitgehenden Lockdown an und verordnete noch vor anderen europäischen Ländern eine Maskenpflicht. Das Ergebnis waren mit die niedrigsten Fallzahlen in ganz Europa. „Ich bin Geschäftsmann, Krisenmanager und jetzt Premierminister“, lobte sich daraufhin der Premierminister und fügt hinzu: „Wir sind Best in Covid.“ Inzwischen ist das Gegenteil richtig. Seit dem Herbst hat Tschechien mehrfach den Gesundheitsminister gewechselt. Einer von ihnen wurde entlassen, nachdem ihn Paparazzi fotografierten, wie er um Mitternacht aus einer Kneipe kam, die eigentlich geschlossen sein musste.

Bei der Suche nach besseren Lösungen für die Pandemie richten viele tschechische Experten ihren Blick auf das Nachbarland Deutschland. „Es zeigt sich, dass in Tschechien wissenschaftliche Einrichtungen vom Typ eines Robert-Koch-Instituts fehlen, als eine unanfechtbare nationale Autorität im Gebiet der Virologie und Infektiologie“, sagt etwa Eva Zazimalova, die Vorsitzende der tschechischen Akademie der Wissenschaften.

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