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60 Bürger nehmen am Dienstag an der Veranstaltung in Duisburg teil.

© REUTERS

Liveblog zum Bürgerdialog: "Immer mehr Menschen hassen, das macht mir Angst, Frau Merkel"

Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte im Rahmen des "Bürgerdialog Gut Leben" den Duisburger Stadtteil Marxloh. Zusammen mit Anwohnern sprach die Kanzlerin über Probleme wie überbordende Bürokratie, wachsende Unsicherheit und Integration. In unserem Liveblog zeichnen wir die Diskussion nach.

Der Duisburger Stadtteil Marxloh gilt als sozialer Brennpunkt, spätestens seit die Duisburger Polizei von einer akuten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und No-Go-Areas spricht. Am Dienstag Mittag hat sich Bundeskanzlerin Merkel ein Bild von der Situation gemacht, 60 ausgewählte Bürger konnten mit ihr über die Probleme des Stadtteils diskutieren. Den Verlauf der Entwicklungen lesen Sie hier in unserem Liveblog.

Um 14:45 hat sich die Kanzlerin von den Bürgern verabschiedet

Nach beinahe zwei Stunden Dialog hat sich Angela Merkel von den Bürgern verabschiedet. Besonders wichtig schien den Marxlohern vor allem Hilfen des Staates unbürokratischer zu bekommen. Es zeigte sich, dass viele Gruppen bereits in dem Stadtteil aktiv sind, der Weg zu Zuschüssen sich aber oft unverständlich und umständlich darstellt. Viele Bürger zeigten sich besorgt über die hohen Kriminalitätsraten und das fehlende Eingreifen der Polizei, auch Merkel betonte, dass diese Probleme klar benannt werden müssen. Klar äußerte sich Merkel zum Thema Integration: Nicht nur die aus dem Ausland kommenden müssten sich um Integration bemühen, auch die Bevölkerung hier muss sich ihrer Meinung nach engagieren. Auch die anhaltend hohe Zahl von Asylsuchende sprachen sowohl Bürger, als auch die Bundeskanzlerin an: Merkel sagte, es müsse eine gerechte Verteilung in Europa geben, ebenso wie eine Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern. Die Kanzlerin versprach den Marxlohern, eine interne Beratungsgruppe zusammenzustellen. Weiterhin kündigte sie an, dass es bundesweit bald vier Entscheiderzentren für Duldungsfälle geben soll, um die Beamten zu entlasten und die Bearbeitung neuer Anträge zu beschleunigen.

Sogar die Polizei hat Angst

Kurz vor Schluss erzählt eine Bürgerin, wie geschockt sie war, als sie erfahren hatte, dass sogar die Polizei Angst habe durch ihren Stadtteil zu gehen. "Es ist doch besser es wird dann bekannt, das war zwar nicht so schön, aber nur wenn etwas bekannt wird, wird es auch geändert. Transparenz ist eine ganz wichtige Frage der Demokratie. Es hat keinen Sinn immer so zu tun, als ob alles gar nicht so schlimm ist, es wird dann nur noch schlimmer", sagte Merkel, die in diesem Moment besonders engagiert wirkte. Merkel sagte aber auch, dass "wenn Vertrauen einmal angeknackst ist, ist es schwer wiederherzustellen." Sie setze aber das Vertrauen in die Beamten.

Entscheiderzentren für langjährige Duldungsfälle soll eingerichtet werden

Auf die Erkundigung eines Bürgers, wie mit einer Frau verfahren wird, die seit beinahe 20 Jahren nur geduldet ist, sagte die Bundeskanzlerin, man wolle solche "Altfälle" jetzt regeln, dafür würden jetzt vier Entscheiderzentren geformt, damit die Behörden sich schneller mit neuen Anträgen beschäftigen können.

"Wir kommen mit den bürokratischen Hürden nicht zurecht"

Marxloh sei nicht nur schlecht, es gebe auch gute Ansätze in dem Stadtteil, das sagt eine Bürgerin, die sich selbst engagiert. Man brauche aber Hilfe, Merkel solle "die richtigen Leute aus Berlin schicken", vor allem die bürokratischen Hürden seien ein großes Problem. Die Bundeskanzlerin sicherte noch für dieses Jahr eine interne Beratungsgruppe zu, die zusammen mit den Marxlohern an den Problemen arbeiten soll.

Thema Sicherheit kommt zur Sprache

Bürger sorgen sich, selbst wenn gewisse Örtlichkeiten geschlossen würden, wären sie am Tag darauf wieder offen. Die Kanzlerin sagt es sei natürlich nicht möglich, das Gesetz außer Kraft zu setzen. "Wenn Menschen erleben, dass der Rechtsstaat seiner Pflicht nicht nachkommen kann, dann fangen sie selber an zu denken ob sie eigentlich alle Gesetze einhalten müssen", sagt Merkel weiter. Ein Zugleiter der örtlichen Feuerwehr mahnt ähnliches an, selbst bei Löscharbeiten würden Hilfskräfte attackiert. "Das kann man gar nicht ernst genug nehmen", sagt die Bundeskanzlerin, "Toleranz sei nicht zu verwechseln mit Regellosigkeit". Man dürfe nicht das kaputt machen, wofür die Menschen zuallererst nach Deutschland kommen, sagte die Kanzlerin weiter.

"Krieg ist kein Mittel"

Ein älterer Bürger aus Marxloh lenkt die Diskussion zu weltpolitischen Themen. Merkel solle sich für den Frieden einsetzten, "Krieg ist kein Mittel". Die Kanzlerin sagt "im Ukraine Konflikt und mit Russland versuche ich es immer wieder - reden, reden und nicht schießen."

"Wir fühlen uns mit den Zuwanderern belästigt", sagt ein Bürger mit Migrationshintergrund

Flüchtlinge würden sich nicht mit dem Leben in Deutschland auskennen, viele Kinder würden nicht zur Schule geschickt, die Bürger würden sich belästigt fühlen. "Ich glaube schon, dass man auch denen die als Flüchtlinge kommen sagen darf, dass es gewisse Regeln gibt", antwortet die Kanzlerin. Das Verhältnis zum Lärm zum Beispiel sei aber sensibel in Deutschland, da "könnte man auch mal toleranter sein". Es sei aber auch eine riesen Herausforderung 17 oder 18 000 Flüchtlinge in diesem Gebiet aufzunehmen, sagt die Kanzlerin.

"Lebenserfahrung an Numerus Clausus anrechnen"

Viele Mütter mit Migrationshintergrund würden nach der Aussage einer Bürgerin gerne studieren, würden in Fächern wie Sozialpädagogik aber aufgrund des Numerus Clausus keinen Platz bekommen. Die Kanzlerin könne sich vorstellen "Lebenserfahrung an den Numerus Clausus anrechnen", um solchen Menschen eine Chance zu geben.

Merkel äußert sich zur Integration

Die Bundeskanzlerin setzte ein klares Zeichen in puncto Integration. Wer hier seit 30 Jahren arbeite, Steuern zahle und sich ehrenamtlich engagiere, für den gehe es nichtmehr um Integration, sondern um gleiche Beteiligung. "Eine Gesellschaft die nicht offenherzig ist kann nicht verlangen, dass sich die Kommenden integrieren."

Förderungen sind Thema für die Duisburger

Jugendarbeitslosigkeit, sehr hohe Langzeitarbeitslosigkeit, das seien die Probleme in Marxloh, sagt ein Teilnehmer. Es müssen mehr passieren, Menschen müssten für Berufe qualifiziert werden. Zwar werden Projekte gefördert, aber die Verteilung funktioniert wie mit der Gieskanne, sagte ein Bürger. Zu wenig komme nicht dort an, wo es wirklich gebraucht wird.

Merkel äußert sich zum steigenden Hass im Land

"Immer mehr Menschen hassen, das macht mir Angst Frau Merkel. Sie wissen was Hass aus Menschen machen kann. Ist die Politik in der Lage gegen diese Emotion zu kämpfen?", fragt eine Bürgerin die Bundeskanzlerin. Die Bundeskanzlerin antwortet, dass die Politik die Rahmenbedingungen schaffen, aber die Unterstützung der Bevölkerung dafür braucht. Hass entstehe aus Frustration, schon da gelte es anzusetzen.

Bürger thematisieren die Flüchtlingspolitik

Merkel will bei der Flüchtlingspolitik mehr tun. "Wir müssen ein paar Bestimmungen außer Kraft setzen", sagte sie in Bezug auf die Schaffung von Erstunterkünften. Sie machte deutlich, dass man schneller entscheiden muss wer bleiben darf und wer nicht, dies solle am Besten schon in den Ländern der EU passieren, in dem Flüchtlinge ankommen. Merkel betont auch, dass es eine faire Verteilung innerhalb der Europäischen geschaffen werden muss. Sie sagte aber auch, dass "wer nicht verfolgt wird, wer nicht aus einem Bürgerkriegsland kommt, dem müssen wir sagen das er auch nicht bleiben kann".

Marxloher sehen sich in den Medien falsch dargestellt

Der nächste Bürger macht darauf aufmerksam, dass sich viele Marxloher in den Medien falsch dargestellt sehen. Damit ist er nicht der einzige, schon im Vorfeld war davon oft die Rede. Zwar sehen die Bürger gravierende Probleme, Begriffe wie "No-Go-Areas" treffen ihrer Meinung aber nicht zu. Merkel sagt, der Bund nehme die Last von Kommunen in schwieriger Lage, "richtig reichen tut es dann aber doch nicht", sagt die Kanzlerin. Sie will mehr Sozialarbeiter für Schulen, sieht aber auch das Ehrenamt als wichtigen Bestandteil der Bildung. Unter Lehrern, Beamten und Polizei möchte die Bundeskanzlerin mehr Menschen mit Migrationshintergrund.

Merkel beantwortet die ersten Fragen

Den Beginn macht eine 30-jährige Marxloherin, die bei ihrer derzeitigen Ausbildung nichtmehr vom Jobcenter unterstützt wird. "Das muss ich mir mal ansehen, das hört sich jetzt nicht so logisch an", antwortet Merkel. Der zweite befragte Bürger deutet die Probleme der Marxloher an, viele Menschen haben keine Krankenversicherung. Merkel zeigt sich verständlich, betont aber auch die Grenzen: "Wir haben die gute Seite der europäischen Integration der Freizügigkeit. Wir haben aber keine Sozialunion". Jedem eine Krankenversicherung zuzusichern sei aber nicht möglich, damit sende man die Botschaft "jeder kann kommen" an die anderen Staaten.

Bürgerdialog mit Bundeskanzlerin beginnt

Bundeskanzlerin Merkel hat sich in das goldene Buch der Stadt eingetragen und ist jetzt zu den Bürgern gestoßen. Austragungsort ist das Hotel Montan, ein saniertes Hotel in dem Duisburger Stadtteil. Der Moderator Tilmann Schöberl beginnt mit einer Einführung in das Thema und übergibt das Wort dann an die Bundeskanzlerin. "Dies ist eine Veranstaltung in der sie als Bürgerinnen und Bürger zu Wort kommen", sagt die Kanzlerin als Einführung. Sie verweist auch auf die Website des Bürgerdialogs, auf der man sich auch beteiligen kann.

Bürger warten auf Merkel

Ungefähr 300 Marxloher haben sich vor dem Hotel Montan versammelt und warten auf die Kanzlerin. Bei ihrer Ankunft wurde Merkel mit Buh-Rufen und vereinzeltem Applaus begrüßt, nach kurzem Shake-Hands begab sich die Bundeskanzlerin ins Innere des Hotels.

Duisburgs OB Sören Link äußert sich

Auch der Oberbürgermeister von Duisburg ist in Marxloh. Ihm zufolge gäbe es keine No-Go-Areas, viele Bewohner würden gerne hier leben. Von der Kanzlerin erwartet er, dass sie die Sorgen und Nöte der Bürger ernst nimmt. Er hoffe, "dass Frau Merkel ihren Besuch und ihre Eindrücke langfristig in Erinnerung behält, vor allem in den Momenten, in denen Entscheidungen getroffen werden". Ähnlich äußerte sich ein Anwohner: Es gebe zwar Konflikte, aber keine No-Go-Areas. Bezogen auf die Integration würde man aber die selben Fehler wie schon bei der Eingliederung zugezogener Türken machen.

Bürger bereiten Gespräch mit Merkel vor

Die 60 am Gespräch mit der Bundeskanzlerin beteiligten Bürger haben sich am Vormittag im Kulturzentrum "Medien-Bunker" getroffen und das Gespräch in einem Workshop vorbereitet. Pater Oliver, ein in Marxloh bekannter Geistlicher, sagte dem Tagesspiegel, das die Zeit zu knapp bemessen war. Man habe nur 15 Minuten Zeit gehabt, um sich explizit mit Marxloh zu beschäftigen. Drei Themen seien im Vordergrund gestanden: Bildung, Sicherheit und Infrastruktur. Die im Ort bekannte Unternehmerin Gabriela Grillo sagte, sie finde es gut, dass Angela Merkel kommt. "Aber keiner hat einen Zauberstab", sagte Grillo weiter. Nach dem Ende des Workshops um kurz vor 12 ist die Stimmung nun locker, trotzdem wirken die Bürger bestimmt. Sie wollen der Kanzlerin ihre Probleme schildern.

René Bosch, Stephanie Hajdamowicz

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