zum Hauptinhalt
Ekrem Imamoglu, Kandidat der Opposition bei der Bürgermeisterwahl in Istanbul.

© AFP/ Ozan Kose

Oberbürgermeisterwahl in Istanbul: Imamoglu ist der neue Gegner Erdogans

Die Wahl des Oberbürgermeisters von Istanbul beeinflusst die Machtverhältnisse in der ganzen Türkei. Jetzt könnte die Vorentscheidung fallen.

Eigentlich geht es nur um eine Oberbürgermeisterwahl. Doch wenn rund zehn Millionen Wähler in Istanbul am 23. Juni einen neuen Verwaltungschef der Metropole am Bosporus bestimmen, beeinflussen sie die Machtverhältnisse im ganzen Land. Die Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist nervös, denn der Bürgermeisterkandidat der Opposition, Ekrem Imamoglu, liegt in den Umfragen vor Binali Yildirim, dem Bewerber von Erdogans Partei AKP. Ein für Sonntagabend geplantes Fernsehduell zwischen Imamoglu und Yildirim könnte die Vorentscheidung bringen.

Der 49-jährige Imamoglu hatte die reguläre Kommunalwahl in Istanbul am 31. März knapp gegen Yildirim gewonnen und war damit über Nacht zum Shooting-Star der türkischen Politik geworden. Auf Druck der AKP ordnete die Wahlkommission eine Neuauflage des Urnengangs für den 23. Juni an. Eine erneute Niederlage der AKP in der mit Abstand größten und reichsten Stadt der Türkei würde Erdogans Macht erheblich erschüttern.

Das Fernsehduell am Sonntag könnte große Bedeutung für die Wahlentscheidung haben, sagte Erdogan kurz vor der Sendung. Die Istanbuler sollten sehen, wer „Lügengebäude“ errichte und wer die Wahrheit sage. Das auf etwa zwei Stunden angesetzte Duell sollte am Abend in einem Istanbuler Konferenzzentrum stattfinden und landesweit im Fernsehen übertragen werden. Moderator ist der Fernsehjournalist Ismail Kücükkaya, der den Kandidaten jeweils drei Minuten zur Beantwortung seiner Fragen einräumen will.

Ob Yildirim, der bisher im Wahlkampf recht farblos blieb, den schlagfertigen Imamoglu vor den Live-Kameras stoppen kann, ist aber ungewiss. In den meisten Umfragen hat Imamoglu einen Vorsprung von mehreren Prozentpunkten vor Yildirim, obwohl dieser die meisten großen Medien auf seiner Seite hat.

Großes politisches Talent

Nicht zuletzt durch die unabsichtliche Hilfe der AKP ist der 48-jährige Imamoglu, der frühere Bürgermeister des Istanbuler Stadtbezirks Belikdüzü, zum Hoffnungsträger der Opposition in der ganzen Türkei geworden. Die höchst umstrittene Entscheidung zur Wiederholung der Bürgermeisterwahl hat Imamoglu einen Opferstatus verschafft, den er geschickt einsetzt.

Zudem kann der fromme Muslim Imamoglu trotz der stark polarisierten Wählerschaft sehr unterschiedliche Gruppen erreichen. Dazu gehören die Anhänger seiner eigenen säkulären Partei CHP ebenso wie konservative Istanbuler und kurdische Wähler. Imamoglus politisches Talent wird bereits mit dem des heutigen Staatspräsidenten Erdogan verglichen, der in den ersten Jahren nach dem Regierungsantritt der AKP im Jahr 2002 mit einer pragmatischen Haltung, politischen Reformen und Botschaften der Toleranz erfolgreich war.

Im Wahlkampf vor der regulären Wahl im März war Imamoglu noch weitgehend unbekannt – so unbekannt, dass er von der AKP nicht als Gefahr wahrgenommen wurde. Umso größer war der Schock in der Regierungspartei, als Imamoglu im ersten Rennen gegen Yildirim siegte.

AKP muss Kandidaten ernst nehmen

Diesmal nimmt die AKP den Herausforderer wesentlich ernster. Politiker der Regierungspartei und regierungstreue Medien attackieren Imamoglu, um seine Popularität zu unterminieren. So verbreiteten AKP-Politiker das Gerücht, Imamoglu sei griechischer Abstammung und suggerierten damit, dass er ein vom feindlichen Ausland gesteuerter Kandidat sei.

Die Kampagne ging für die AKP allerdings nach hinten los, weil der Vorwurf gegen Imamoglu auf seiner Herkunft von der Schwarzmeerküste beruhte, der früheren Heimat der sogenannten Pontus-Griechen. Das Problem für die AKP: Hunderttausende Istanbuler, die wie Imamoglu vom Schwarzen Meer stammen, fühlten sich ebenfalls angegriffen.

Ein zweiter Ansatzpunkt des AKP-Wahlkampfes gegen den Oppositionskandidaten sind Imamoglus angebliche Charakterschwächen. Innenminister Süleyman Soylu und andere AKP-Vertreter beschreiben den stets freundlich lächelnden Imamoglu als einen Mann, der zu unkontrollierten Wutausbrüchen neige. So soll Imamoglu einen Gouverneur einen „Köter“ genannt haben. Diese Angriffslinie kommt an der AKP-Basis gut an. „Imamoglu hat sein wahres Gesicht gezeigt, er ist nur nach außen so nett“, sagt ein Anhänger von Erdogans Partei im Stadtviertel Kasimpasa, einer Hochburg der AKP.

Imamoglu bleibt gelassen. Am Tag vor dem Duell sagte er bei einer Wahlveranstaltung, die Gegenseite könne sich große Ausgaben für den Wahlkampf sparen: Bis zum Machtwechsel in der Stadt seien es nur noch wenige Tage.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false