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Das umstrittene NPD-Wahlplakat

© imago images/Jan Huebner

Im Zweifel für die Meinungsfreiheit: Warum Parteien mit Hetze werben dürfen

„Migration tötet“ ist ein zulässiger NPD-Slogan und keine Volksverhetzung, urteilt das Bundesverwaltungsgericht. Das könnte auch AfD-Politikern im Wahlkampf helfen.

Im Europawahlkampf 2019 plakatierte die rechtsextreme Kleinpartei NPD einen umstrittenen Slogan: „Migration tötet“ – samt Auflistung der Namen von Orten, an denen es Tötungsdelikte von Migranten gegeben haben soll. Darüber und daneben standen die Forderungen „Stoppt die Invasion“ und „Widerstand jetzt“. In der Folge häuften sich Verfahren, in denen der Partei eine strafbare Volksverhetzung vorgeworfen wurde.

Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgericht hatte den Slogan bereits Ende April – von der Öffentlichkeit mangels einer gerichtlichen Pressemitteilung wenig beachtet – für zulässig erklärt und eine Strafbarkeit verneint.

Auch die am Dienstag vorgelegten schriftlichen Urteilsgründe sind bemerkenswert. Darin betont das Gericht das Recht, im politischen Meinungskampf, gerade in Wahlkampfzeiten, „in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern“, sogar wenn diese „verletzend“ formuliert sei. Es bestehe eine „grundsätzliche Vermutung für die Freiheit der Rede“, weshalb bei der Auslegung umstrittener Wortbeiträge in einer liberalen Demokratie „nicht engherzig“ verfahren werden dürfe.

Soll das Parteiprogramm eine Rolle spielen?

Den Hintergrund des Verfahrens bildete eine Ordnungsverfügung der Stadt Mönchengladbach, die das Plakat wegen Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung hatte entfernen lassen. Dass im Bundesgebiet lebende Migranten durch die Aussage „Migration tötet“ verunglimpft würden, erfülle den Straftatbestand der Volksverhetzung gemäß Paragraf 130 des Strafgesetzbuchs.

Insbesondere in der öffentlichen Auseinandersetzung, zumal im politischen Meinungskampf, vermittelt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG das Recht, auch in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern.

Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts über die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit

Die zuständigen Verwaltungsgerichte bestätigten die Anordnung zunächst. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann eine öffentliche Äußerung als Volksverhetzung jedoch nur dann strafbar sein, wenn andere, nicht strafbare Deutungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden können.

Vordergründig hielten sich die Gerichte an diesen Maßstab. Das für die Berufung zuständige Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen argumentierte jedoch, es bleibe im konkreten Fall nur die strafbare Interpretation übrig: Das Plakat wende sich nicht nur gegen kriminelle, sondern gegen alle im Bundesgebiet lebenden Migranten. Es bestreite ihr Lebensrecht und behandele sie als unterwertig.

Das Bundesverwaltungsgericht rügt diese Beschränkung jetzt scharf: Das OVG habe „die Augen davor verschlossen“, dass die Plakatbotschaften im Kontext eines Wahlkampfes gestanden hätten, „in dem konkurrierende Politikentwürfe typischerweise nur verkürzt und zugespitzt einander gegenübergestellt werden“. Die Möglichkeit, das Plakat anders zu lesen, etwa als Beitrag zur Kritik an Migrationspolitik, habe das OVG „komplett ausgeblendet“.

Eine besondere Rolle bei der Interpretation des Plakats spielt in beiden Urteilen der Rückgriff auf das Parteiprogramm der NPD. Hier meinte das OVG, es dürfe die darin enthaltenen „rassistischen“ und „menschenverachtenden“ Positionen der NPD heranziehen, da diese auch den Bürgerinnen und Bürgern präsent seien, wenn sie das Plakat betrachten müssten. Zudem habe auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die NPD eine verfassungswidrige Partei sei.

Im Zweifel für die Meinungsfreiheit

Das Bundesverwaltungsgericht erteilt dem nun eine deutliche Absage: „Maßgeblich für das Verständnis eines Wahlplakats ist allein dessen Äußerung selbst und nicht die dahinterstehende parteiliche Programmatik.“ Das Wissen darum könne Rezipienten nicht einfach als präsent unterstellt werden. Das Bundesverfassungsgericht habe selbst in einem Beschluss deutlich gemacht, dass das Parteiprogramm bei der Frage, ob ein NPD-Wahlwerbespot als Volksverhetzung strafbar sei, außen vor bleibe.

Das Urteil aus Leipzig betont im Wesentlichen verfassungsrechtlich geltende Maßstäbe, ist in ihrer Anwendung jedoch strikter als manche anderen Gerichte: im Zweifel für die Meinungsfreiheit.

Das könnte auch ein Auftrieb für AfD-Politiker sein, die sich Vorwürfen stellen müssen, sie hätten mit ihrer aggressiven Rhetorik Straftatbestände verletzt. So hat etwa die Staatsanwaltschaft Halle kürzlich Anklage gegen den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke erhoben, weil dieser in einer Rede einen Slogan der nationalsozialistischen SA verwendet haben soll – ebenfalls bei einer Wahlkampfveranstaltung.

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