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Diktatur? Teilnehmer der Demonstration gegen Corona-Maßnahmen vor dem Brandenburger Tor.

© Michael Kappeler/dpa

Ermächtigungsgesetz im Bundestag?: Im Ton und in der Zeit vergriffen

Kritik an der Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes ist schon angebracht. Aber wer sie übertreibt, handelt verantwortungslos. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Albert Funk

Hat der Bundestag am Mittwoch, umlagert von aufgestörten Demonstranten, die massive Eingriffe in ihre Grundrechte beklagen, ein Ermächtigungsgesetz beschlossen, das die Verfassung unterminiert? Der Begriff wandert durch die Republik, sozialmedial verbreitet wie ein Hochgeschwindigkeitsvirus. Der AfD-Abgeordnete Bernd Baumann sprach in der Debatte zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes von einer Ermächtigung wie seit geschichtlichen Zeiten nicht. Das Jahr 1933 stand wieder vor aller Augen.
Guter Gott. Ausgerechnet aus der Ecke. Man kann der AfD und allen, die mit Rechtsextremisten auf Straßen und Plätzen demonstrieren, der ganzen Leugner- und Querdenkerszene, nur wünschen, dass sie nie erleben, was sie da insinuieren. Denn die Nationalsozialisten haben ihre willigen Wegbereiter schnell aus dem Weg geräumt, als die Gelegenheit kam.

Aufgebauschtes Gerede

Aber die Parallele ist ja zum Glück nur das aufgebauschte Gerede von Zündlern. Was im Bundestag zum Infektionsschutz beschlossen wurde, ist kein Ermächtigungsgesetz in dem Sinne, wie es in der Weimarer Republik – leider schon lange vor 1933 – üblich war. Es ist kein Gesetz zur Selbstaufgabe des Parlaments.
Eher im Gegenteil: Es korrigiert die pauschale Ermächtigung, die der Bundestag der Regierung im März gegeben hat – damals übrigens in größerem Einvernehmen, als manche heute glauben machen wollen. Und so stehen nun eben die bisher schon möglichen Maßnahmen und auch die möglichen Grundrechtseingriffe explizit in einem Gesetz drin. Wie die Exekutive damit umgeht, unterliegt wie bisher der parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle und ist mit einfacher Mehrheit zurückzunehmen.

Nicht sonderlich souverän

Kritikwürdig ist allerdings eines, und zwar dick unterstrichen: Es wirkt nicht sonderlich souverän, dass gerade diese Gesetzesänderung in einem Schnellverfahren durchgezogen wurde, zu einem Zeitpunkt in dieser Epidemie, den man schon etwas spät nennen kann. Schlussabstimmung in Bundestag und Bundesrat an einem Tag, Unterschrift des Bundespräsidenten inklusive – das ist nicht gut. Das Parlament, in dem selbst Mitglieder der Regierungskoalition eine Zurücksetzung des Parlaments beklagen, hatte durchaus Gelegenheit in den vergangenen Monaten, der Regierung Zügel anzulegen.

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Aber dass die Regierung nun zu Maßnahmen ermächtigt wird – die man bedenklich finden kann oder auch nicht –, dieser Vorgang an sich ist nicht kritikwürdig. Viele Beschlüsse der Legislative ermächtigen die Exekutive, etwas zu tun oder zu lassen. Und in einer Notlage, die schnelles und flexibles Handeln verlangt, ist das Regieren per Verordnung, so sehr es einem gegen den Strich geht, nun einmal angebracht, weil normale Gesetzgebungsverfahren langsamer sind als sich ausbreitende Viren.

Zu viel Bindung kann auch hinderlich sein

Insofern kann jede Bindung in einem Gesetz auch negative Wirkungen haben. Wenn zu vieles dort schon so detailliert geregelt werden soll, dass jede Kommune weiß, was wann in welchem Umfang möglich ist, dann geht das zu weit. Die Regierung an den Willen des Parlaments zu binden, heißt ja noch nicht, die Exekutive zum willenlosen Geschöpf zu machen. Einen Ermessensspielraum braucht auch sie.

Bedenklich ist eher, dass jetzt ein Kontrollmechanismus beschränkt wird, der zwar häufig in der Kritik steht, tatsächlich aber hilfreich ist oder jedenfalls ein kann: die gegenseitige Kontrolle innerhalb der Exekutive. Die Kontrolle, welche die Länder über den Bundesrat bei Verordnungen des Bundes ausüben, wird beschränkt.

Durchregieren soll nicht sein

In diesen Zusammenhang gehört auch die Kontrollfunktion, die in den Runden der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten steckt. Diese Form des Regierens darf nicht zum Normalfall werden, das ist klar. Sie kann aber in Krisen - schon erlebt in der Finanz- und in der Flüchtlingskrise - vernünftig sein, auch wenn das Verfahren bisweilen zäh wirkt. Durchregieren ist eben nicht ganz so einfach in Deutschland, was die Kanzlerin ja gerade erst erleben durfte.

Auch deshalb stimmt, was Gesundheitsminister Jens Spahn im Bundestag sagte: Wenige Länder sind mit solch moderaten Maßnahmen durch die Epidemie gekommen wie wir.

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