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Kristina Schröder wurde 2009 mit erst 32 Jahren Bundesfamilienministerin. 2017 schied sie aus dem Bundestag aus.

© Stefan Zeitz/imago stock&people

Kristina Schröder im Interview: „Ich will nicht in einer sterilen Welt leben“

Ex-Familienministerin Kristina Schröder spricht im Tagesspiegel-Interview über die MeToo-Debatte, Sexismus in der Politik und das Selbstbewusstsein von Frauen.

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Frau Schröder, Sie sind mit 14 Jahren in die Junge Union eingetreten, haben sich im hessischen CDU-Landesverband von Roland Koch nach oben gearbeitet und wurden mit 32 Familienministerin. Wie setzt man sich in männlich dominierten Machtstrukturen durch?

Ich hatte in meiner Karriere aufgrund meines Frauseins Vor- und Nachteile. Ja, man fällt als junge Frau auf. Die Parteien freuen sich über junge Frauen, man kommt relativ schnell in wichtige Gremien – vielleicht auch manchmal mit dem altväterlichen Hintergedanken: Wenn das junge Mädchen in den Gremiensitzungen dabei ist, dann ist das ja ganz nett. Aber aus dieser Chance kann man etwas machen. Da darf man nicht schweigend danebensitzen, sondern muss Themen besetzen, aktiv sein, vielleicht auch medial Botschaften platzieren.

Welche Nachteile gibt es?

Je höher man steigt, umso eher kann es passieren, dass man gerade als junge Frau nicht ernst genommen wird. Auch mit manchen Verhaltensweisen unter Männern kann man als junge Frau wenig anfangen. Wenn auf Bundesparteitagen abends in rauchgeschwängerter Luft Skat gespielt wurde, bin ich eher aufs Hotelzimmer gegangen.

In der Skatrunde oder an der Bar werden unter Männern spätabends die wichtigen politischen Entscheidungen ausgekungelt. Da waren Sie dann nicht dabei.

Ja, das war vielleicht manchmal so. Dann müssen wir Jüngere – Männer und Frauen – eben eigene Rituale etablieren.

Wenn Sie sich nicht in die Skatrunden setzten, spielte da auch die Sorge vor derben Sprüchen eine Rolle?

Das war nicht meine Sorge. Aber mich nur aus einem Karrierekalkül dazuzusetzen, wäre mir zu blöd gewesen.

Im BND-Ausschuss des Bundestages saßen Sie einst Joschka Fischer gegenüber, der versuchte, Sie als begriffsstutzige „junge Kollegin“ hinzustellen. Fiel es Ihnen schwer, in diesem Moment gelassen zu bleiben?

Ach, einen jungen Mann hätte er womöglich genauso angesprochen. Meine Arbeit in dem Untersuchungsausschuss wurde einhellig anerkannt, da waren sich die Medien mal einig. Da hatte ich als junge Frau vielleicht auch wieder einen Vorteil: Wenn ich ein Mann und zehn Jahre älter gewesen wäre, hätte man meine Leistung vielleicht gar nicht so stark zur Kenntnis genommen.

Wie tough muss man als junge Frau sein, um in der Politik zu überleben?

Man muss tough sein. Man muss den Mut haben, seine Positionen auf den Punkt zu bringen und Mehrheiten dafür zu finden. Man wird angegriffen, aus der eigenen Partei und medial. Das ist nichts für zartbesaitete Wesen.

Haben Sie nie anzügliche Bemerkungen zu hören bekommen?

Doch, klar. Es passierte, dass in einer sachlichen Diskussion eine Bemerkung auf optischer Ebene gemacht wurde. Also zum Beispiel, dass jemand sagte: „Wenn ein Argument von so einer attraktiven Dame vorgetragen wird, dann muss man darauf Rücksicht nehmen.“ Das ist natürlich albern, aber ich hab’ dann kurz und kühl gelächelt und weitergeredet. Das hat mich nicht aus dem Konzept gebracht.

Haben Sie trotzdem gedacht, dass so ein Verhalten als Machtinstrument genutzt wird, um Sie, die junge Frau, in die Defensive zu bringen?

Das kann sein.

Passierte das oft?

Es wurde mit den Jahren zunehmend weniger. Vielleicht weil ich älter wurde, mächtiger, und vielleicht, weil es mit der Zeit weniger en vogue war.

Gab es in der Partei keine Debatte darüber, ob so etwas in Ordnung ist?

Nein. Und ganz ehrlich: Ich will auch in keiner Arbeitswelt arbeiten – und die Politik ist auch eine Arbeitswelt –, in der man so etwas nicht mehr sagen darf. Ich fand das in dem Moment unangemessen und ich habe das mit einem kurzen Schulterzucken oder einem Lächeln abgetan. Aber wenn wir sagen: Solche Bemerkungen darf es nicht geben, würde das dazu führen, dass wir uns in einer sterilen Welt bewegen, in der jegliche Anziehung zwischen den Geschlechtern negiert und tabuisiert würde. Das will ich nicht.

Sollen Frauen anzügliche Bemerkungen in Kauf nehmen?

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde die auch nicht gut. Aber Sie werden niemals die Regel durchsetzen können: „Nur noch geistreiche Komplimente“. Darunter versteht jeder etwas anderes. Wenn Sie also tumbe Komplimente umgehen wollen, dann wird das nur mit der Verhaltensnorm „Gar keine Komplimente mehr“ funktionieren. Dann müsste also die Anziehung zwischen Männern und Frauen im professionellen Kontext komplett ausgeblendet werden. Das würde dazu führen, dass sich Männer und Frauen im Büro wie rohe Eier behandeln und Sorge haben, miteinander alleine im Fahrstuhl zu stehen. Dass sie immer einen Dritten bei Gesprächen hinzuziehen. So eine Arbeitswelt finde ich komplett unattraktiv.

Sie haben jetzt von „tumben Komplimenten“ gesprochen. Es ist aber kein Kompliment, wenn die Grenze zur Belästigung überschritten wird.

Das war bei mir ja nicht der Fall. Ich glaube, diese Grenze wird dann überschritten, wenn gedroht wird oder verbal massiv in die Intimsphäre eingegriffen wird. Wenn zum Beispiel eine Bemerkung darüber fällt, wie der Hintern einer Frau aussieht, vielleicht sogar vor Dritten. Und wenn das auf unterschiedlichen Hierarchieebenen passiert, ist diese Grenze noch schneller überschritten. Über ungewollte körperliche Annäherungen will ich gar nicht reden. Die gehen natürlich überhaupt nicht.

In der „Huffington Post“ berichteten zuletzt 95 junge deutsche Politikerinnen von ihren Erlebnissen, über sexuelle Belästigung bis hin zur Vergewaltigung in Parteien. Erschreckt Sie das?

Natürlich ist das heftig. Aber ich glaube eigentlich nicht, dass es in der Politik schlimmer ausgeprägt ist als in anderen Berufen.

Sind Sie selbst Zeugin von Belästigung geworden in der Partei?

Nein, nie über die flapsige Bemerkung hinausgehend.

Sind Sie denn mal einer Frau beigesprungen, wenn solche Bemerkungen fielen?

Wie gesagt glaube ich, dass der Preis, solche flapsigen Bemerkungen zu eliminieren, sehr hoch wäre.

Muss eine junge CDU-Politikerin wie Jenna Behrends, die 2016 eine Debatte über Sexismus in der Politik lostrat, dann also damit leben, dass sie „süße Maus“ genannt wird?

Es ist ja sehr umstritten, was im Fall Jenna Behrends wirklich alles los war. Auf jeden Fall hat sie sehr schnell politische Mandate bekommen, für die andere zehn Jahre Plakate kleben.

Das heißt, wer schnell nach oben kommen will, muss auch mal weghören können?

Das habe ich nicht gesagt. Ich sage nur, dass auch bei Frau Behrends offenkundig der Mechanismus gewirkt hat, dass man als junge Frau sowohl Vorteile als auch Nachteile hat.

Was raten Sie jungen Politikerinnen, die die Erfahrung machen, dass man sie weniger wegen ihrer Kompetenz als wegen ihres Aussehens schätzt?

Vor allem inhaltliche Punkte setzen und selbstbewusst durchdrücken. Nicht klein beigeben, sondern Allianzen suchen und sich auf Parteitagen zu Wort melden. Frauen neigen oft dazu, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen.

Und was sollen junge Frauen machen, wenn die Grenze von verbalen Anzüglichkeiten überschritten wird, wenn der Vorgesetzte zum Beispiel die Hand aufs Knie legt? Viele fürchten um ihre Karriere, wenn sie das ansprechen. Oft mit Recht.

Ich würde erst nonverbal und dann verbal sehr deutlich machen, dass das nicht geht. Wenn es nicht aufhört, würde ich mit anderen reden, möglichst unaufgeregt. Ich glaube auch, dass die Chance, dass man damit ernst genommen wird, heute höher ist als noch vor einigen Jahren. Die öffentlichen Debatten der jüngeren Vergangenheit haben hier wirklich etwas bewegt.

Sie stehen der MeToo-Debatte trotzdem ambivalent gegenüber. Warum?

Ich denke, in der Diskussion wird zu viel vermischt: Krasse Fälle der Vergewaltigung oder der körperlichen Annäherung werden in einen Topf geworfen mit anzüglichen Bemerkungen. Das finde ich unangemessen. Man muss das trennen. Ich finde die Debatte da gut, wo es um körperliche Übergriffe geht. Da hat Öffentlichkeit eine Grenze verschoben, die früher von vielen noch augenzwinkernd anders gezogen wurde. Jetzt ist klar, dass neben sexueller Gewalt auch die Hand auf dem Knie nicht geht, dass auch die distanzlose Annäherung im Aufzug nicht geht. Negativ finde ich die MeToo-Debatte da, wo sie weit über das Ziel hinausschießt und wo sie versucht, jegliche Äußerung von Anziehung zwischen den Geschlechtern zu tilgen.

Wo ist das zum Beispiel so?

Zum Beispiel, wenn jetzt das Gedicht an der Alice-Salomon-Hochschule übertüncht wird. Ernsthaft mit dem Argument, die Erwähnung von Frauen aus Sicht eines „Admiradors“, eines „Bewunderers“, reproduziere heteronormative Stereotypen und ein Machtgefälle zwischen Männern und Frauen. Das ist lächerlich. Wenn man diesen Maßstab an die Kunst anlegt und nicht mal ein Mann eine Frau bewundern darf – was ja auch umgekehrt vorkommen soll –, kann man 80 Prozent der Kunst tilgen. Da können wir jegliche Erotik in ihrer öffentlichen Äußerung tabuisieren. Da ist die Grenze überschritten.

Das ist die Warnung vor zu viel Puritanismus.

Es wird dann puritanisch, ja. Man kann auch sagen: extrem prüde.

Dann sind Sie auch nicht dafür, den alltäglichen Sexismus in der Werbung zu verbieten, wenn beispielsweise halbnackte Frauen zum Kauf von Autos animieren.

Natürlich störe ich mich daran, wenn es primitiv ist. Aber ein Gesetz? Nein, dafür bin ich zu liberal. Nicht alles, was ich privat geschmacklos finde, will ich auch verbieten.

Sexismus und sexuelle Belästigung haben oft mit dem Ausnutzen von Machtstrukturen zu tun. Ist das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen in Deutschland zu groß?

Viele definieren jede Ungleichheit als Machtgefälle. Ich glaube: Nur weil Männer und Frauen nach wie vor unterschiedliche Lebenswege einschlagen, heißt das nicht automatisch, dass es ein Gefälle gibt. Sondern nur, dass die Geschlechter in vielen Punkten relativ hartnäckig unterschiedliche Präferenzen haben.

In der Diskussion um eine Frauenquote gab es eindeutige Belege dafür, dass Frauen in Machtpositionen streben, sich aber an der berühmten gläsernen Decke stoßen. Bezweifeln Sie das noch immer?

Klar! Deswegen bin ich ja auch nach wie vor gegen die starre Quote. Natürlich gibt es einzelne Frauen, die nur wegen ihres Geschlechts nicht in Vorstände kommen. Aber dem Befund, es gäbe hier eine flächendeckende Diskriminierung, dem kann ich mich nicht anschließen. Personalvorstände erzählen mir immer wieder, dass sie Frauen den nächsten Karriereschritt anbieten und allerhand möglich machen wollen, viele Frauen aber schlicht nicht wollen, weil sie andere Prioritäten setzen.

Sie haben selbst zwei Töchter. Glauben Sie, dass die öffentlichen Debatten um Gleichberechtigung und Sexismus der Vergangenheit angehören werden, wenn die Mädchen groß sind?

Es wird diese Auseinandersetzung immer geben. Solange Männer und Frauen unterschiedlich sind, solange der Sex ein mächtiger Trieb des Menschen ist und solange Männer und Frauen unterschiedliche Prioritäten setzen, so lange wird es Vorfälle geben, die ich oder meine Töchter als unpassend und geschmacklos empfinden. Aber in gewissem Maße muss man in einer freien Gesellschaft damit leben. Wichtig ist, dass die Grenzen, auf die man sich verständigt, auch eingehalten werden. Diese Grenzen haben sich in den letzten Jahren verschoben, das finde ich gut. Aber zurzeit wollen manche, dass sie noch mal deutlich weiter verschoben werden. Ich glaube nicht, dass das unser Land lebenswerter machen würde.

Kristina Schröder (CDU) ist promovierte Gesellschaftswissenschaftlerin und wurde 2009 mit nur 32 Jahren Familienministerin unter Angela Merkel. Schröder setzte sich für eine Flexi-Quote und das Betreuungsgeld ein. Sie hat zwei Töchter, die erste von ihnen wurde 2011 in Schröders Amtszeit als Bundesministerin. Jetzt ist Schröder ihrem dritten Kind schwanger.

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