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Die neue Premierministerin Theresa May.

© Reuters

Nach Brexit-Votum: Neues Kabinett in Großbritannien: Hut ab, Theresa May

Die neue britische Premierministerin zeigt mit ihren Personalentscheidungen Führungsstärke. Boris Johnson ist düpiert - auf hohem Niveau. Das ist nicht ohne Risiko. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albert Funk

Die neue britische Premierministerin Theresa May hat mit ihren ersten Kabinettsentscheidungen gezeigt, wer die Hosen anhat in der neuen britischen Regierung. Sie startet stark – aber, und das liegt eben in der Natur der nach wie vor gespaltenen konservativen Partei, es ist ein Beginn mit hohem Risiko. Denn faktisch sitzen im Kabinett zwei Fraktionen, und an der Spitze der moderateren Abteilung steht die Regierungschefin selbst. Sie hat eine sehr konkrete Vorstellung davon, in welche Richtung es innenpolitisch gehen soll. Beim Brexit ist das eher nicht so, hier aber hat der Hardliner-Flügel eine sehr genaue, wenn auch krude Idee.

Die Entscheidung, das trotz seiner Kapriolen noch populäre Gesicht der Brexit-Kampagne zum neuen Außenminister zu machen, ist so genial wie fies. Und damit potenziell auch gefährlich. Boris Johnson das Außenministerium anzudienen, ist ein dennoch kluger Schachzug, nimmt man die Gesamtkonstellation des Kabinetts. Es ist ein hohes Amt, vom Renommee her das zweithöchste nach dem Premier. Aber es ist entwertet dadurch, dass die Europapolitik, was die großen Linien angeht, im Cabinet Office gemacht wird, also im Amt des Premiers, dass die internationale Handelspolitik in einem neuen Ressort angesiedelt wird, und die direkten Brexit-Gespräche wiederum von einem eigens geschaffenen Minister koordiniert werden.

Johnson ist zwar Außenminister, aber es ist aus den Brexit-Dingen weitgehend ausgeschlossen. Er darf jetzt, Hänschen klein, in die weite Welt hinein – und wird sich bei seinen Reisen in vielen Hauptstädten anhören müssen, dass man den Brexit für keine gute Idee hält. Es wird für ihn sein wie eine Wasserfolter. Genauso wird es Liam Fox gehen, ebenfalls ein Brexit-Hardliner, der neue Handelsbeziehungen knüpfen soll, im Vorgriff auf den Austritt – und dabei, wie Barack Obama den Briten angekündigt hat, sich erst einmal hinten einreihen darf. Dave Davis, ein konservativer Ideologe, soll sich an der EU-Kommission abmühen. Während sich die Brexiter also überall erst einmal blutige Nasen holen, wird May versuchen, auf höchster Ebene pragmatisch die Fäden zu ziehen.

Hauptaufgabe Innenpolitik

Ihre Hauptaufgabe, das haben ihre Äußerungen die letzten Tage gezeigt, sieht sie zunächst ohnehin nicht in schnellen Brexit-Verhandlungen, sondern in der Innenpolitik. Sie will mit einem sozial- und wirtschaftspolitischen Reformprogramm die soziale Spaltung in der britischen Gesellschaft angehen, denn diese offenbarte sich beim Austrittsvotum vom 23. Juni. Ohne Schritte in diese Richtung wird das Thema Einwanderung nicht an Brisanz verlieren. Das aber ist nötig, um einen vernünftigen Kompromiss mit den EU-Partnern hinzubekommen.

Und neben dem sozialen Zusammenhalt muss es ihr um den regionalen Zusammenhalt gehen – denn ein Brexit gefährdet die Einheit des Vereinigten Königreichs. Sie muss eine neue Verfassungsbalance suchen, und das ist schwierig. Insofern braucht May Zeit. Aus ihrer Sicht kann man mit dem Beginn der Brexit-Verhandlungen warten. Man sollte ihr die Zeit geben. Auch deshalb, um den Brexitern erst einmal die Luft rauszulassen.

Für ihre innenpolitische Aufgabe hat sie sich für die wichtigsten Posten mit dem bisherigen Außenminister  Philip Hammond als neuem Schatzkanzler und der durchsetzungsfähigen neuen Innenministerin Amber Rudd zwei Politiker aus dem Remain-Lager geholt, die ihre Linie teilen. Das neue Kabinett ist damit so geteilt wie die Tory-Partei im Parlament und im Land – der moderate Flügel, der, wie Davis Cameron zum Abschied empfahl, das Land so nah wie möglich an der EU halten will , und der radikale Flügel, der die harte, schnelle Scheidung will, um Großbritannien dann global neu zu positionieren. Die Pragmatikerin May weiß wohl, dass das eine Illusion ist.

Das große Risiko in ihrer Kabinettsbildung steckt daher in dieser Mischung aus (auf den ersten Blick) überraschend generösen Personalentscheidungen zugunsten der Brexiter, und der politischen Richtlinienentscheidung, innenpolitische Mäßigung vor außenpolitische Abenteuer zu stellen. Wenn die Brexiter ungeduldig werden, dann wird es ungemütlich für May.

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