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Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne)

© Imago/dts Nachrichtenagentur

Hunderte Schulprojekte vor dem Aus: Paus spart kräftig bei Prävention gegen Antisemitismus

Familienministerin Paus lobte das Projekt „Respekt Coaches“ zu Jahresbeginn noch als vorbildlich. Jetzt soll das Programm gegen Judenhass gestrichen werden. Schulen sehen die Prävention in Gefahr.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) will ein wichtiges Schulprogramm für Demokratiebildung und gegen Judenhass und Rassismus zum Ende des Jahres einsparen. Ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums bestätigte auf Tagesspiegel-Anfrage, dass das Bundesprogramm „Respekt Coaches“ trotz scharfer Kritik von Sozialverbänden zum Jahresende auslaufen soll. Das Bundesfamilienministerium hatte das 2018 ins Leben gerufene Programm 2022 und 2023 mit insgesamt 67 Millionen Euro finanziert.

Durch Paus’ Kürzungen stehen nun Präventionskurse an rund 600 weiterführenden Schulen in ganz Deutschland auf dem Spiel. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hatte erst kürzlich erklärt, auch in deutschen Schulen müsse man besonders nach dem Terror der Hamas gegen Israel viel stärker „dem Antisemitismus entgegentreten, aufklären und Werte vermitteln.“ Es könne nicht sein, dass „jüdisches Leben Angst haben muss“ und dass Kinder deshalb nicht zur Schule gingen. Lehrkräfte müsse man stärker unterstützen. Warum aber plant die Bundesregierung das Gegenteil?

Nahostkonflikt auch in den Klassen

Gabi Elverich ist Lehrerin an der Fritz-Karsen-Schule in Berlin-Neukölln. Der Bezirk steht seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel wieder im bundesweiten Fokus, auch wegen antisemitischer Parolen von jungen Migranten.

Die Folgen für das gesellschaftliche Klima durch das antisemitische Massaker der Hamas am 7. Oktober sind jetzt an den Schulen spürbar und wir müssen darauf reagieren.

SPD-Bildungspolitiker Erik von Malottki

Elverich sagt: „Der Nahostkonflikt wird auch in die Klassen getragen. Wir haben Schüler bei uns, die haben Verwandte verloren. Es gibt viel Unsicherheit auch unter uns Lehrern, wie man damit umgeht.“ Gerade jetzt bräuchten die Lehrkräfte an der Schule stärkere Unterstützung. „Gut gemeint reicht gerade nicht, es muss wirklich gut gemacht sein“, sagt Elverich. „Die Respekt Coaches sind dafür die Experten.“

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An der Schule gibt es seit 2019 einen „Respekt Coach“. Zusammen mit ihm wurde ein langfristiges Präventionskonzept entwickelt, die Lehrer fragen ihn bei Fällen von Radikalisierung oder Diskriminierung, der Coach hat Kontakte zu den besten Präventionsprojekten und vermittelt diese an die Schule.

„Jede Schule in Berlin hat einen Fonds von 2700 Euro für politische Bildung pro Jahr. Das reicht vielleicht für Projekte mit einer Klassenstufe“, sagt Elverich. Durch das Respekt-Coach-Programm steht der Gemeinschaftsschule wesentlich mehr Geld zur Verfügung. Vom Vier- bis Achtfachen ist dabei die Rede.

 Auf dem Herrmannplatz in Neukölln sind zwei junge Männer auf eine Statue geklettert. Sie schwingen eine Palästina-Flagge.
Auf dem Herrmannplatz in Neukölln sind zwei junge Männer auf eine Statue geklettert. Sie schwingen eine Palästina-Flagge.

© Imago/Achille Abboud

Das Ministerium von Lisa Paus erklärt die Kürzungen mit den strengen Sparvorgaben, die für die gesamte Bundesregierung gelten. Diese sollen der Schuldenbremse „und den besonderen Herausforderungen dieser Zeit Rechnung“ tragen.

Paus selbst hatte in einer Rede im Deutschen Bundestag nach den Krawallen in der Silvesternacht noch die eigene Präventionsarbeit gelobt und die „Respekt Coaches“ als vorbildliches Projekt genannt, das mehr als eine Viertelmillion Schüler erreicht hat. „Solche Erfolgsstorys wollen wir weiterschreiben, und wir brauchen mehr davon“, hatte Paus gesagt. Ihre Pressestelle antwortete nicht auf die Frage, warum sich die Meinung der Ministerin seither geändert zu haben scheint.

SPD will Streichungen verhindern

Der SPD-Bildungspolitiker Erik von Malottki ist über die drohende Streichung des Projektes entsetzt: „Die Folgen für das gesellschaftliche Klima durch das antisemitische Massaker der Hamas am 7. Oktober sind jetzt an den Schulen spürbar und wir müssen darauf reagieren“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Tagesspiegel. „Mit dem Programm Respekt Coaches gewährleisten wir effektive Prävention gegen Antisemitismus und Extremismus an unseren Schulen.“

Langjährige Angebote zu Rassismus und Antisemitismus brechen uns an der Schule komplett weg, weil die Anschlussfinanzierung fehlt.

Gabi Elverich, Neuköllner Lehrerin

Auch die Landesgruppe Berlin der SPD-Bundestagsfraktion schreibt in einer Stellungnahme: „Die Streichung des Programmbereiches Respekt Coaches sowie die erhebliche Mittelkürzung bei den Jugendmigrationsdiensten gefährdet bewährte Integrationsarbeit.“

Das Bundesfamilienministerium dagegen spricht inzwischen von einem „abgeschlossenen Modellprogramm“. Das Ministerium setze sich laut eines Sprechers „intensiv“ für ein „bestmögliches Aufsetzen auf die wertvollen Ergebnisse“ des Projektes ein. Dabei wolle man das „Knowhow der Respekt Coaches“ erhalten. Zur Debatte steht unter anderem, derartige Projekte künftig über das Startchancen-Programm im Bildungsministerium zu finanzieren. Dieses soll allerdings erst im Sommer 2024 starten, gilt nur für Schulen in sozialen Brennpunkten und soll ganz generell mehr Sozialarbeit und bessere Infrastruktur finanzieren.

Lehrerin Elverich sieht die Pläne des Ministeriums kritisch

Die Neuköllner Lehrerin Gabi Elverich sieht dieses Vorhaben skeptisch. „Wenn diese Strukturen einmal wegbrechen, suchen sich diese Experten neue Jobs. Wir finden solche Leute nicht so einfach wieder“, sagt sie. „Langjährige Angebote zu Rassismus und Antisemitismus brechen uns an der Schule komplett weg, weil die Anschlussfinanzierung fehlt.“

Ich musste leider sehr, sehr schmerzliche Kürzungen vornehmen, das ist aber alles schon im Juni passiert.

Familienministerin Lisa Paus (Grüne) bei einer Befragung im Bundestag

An der Neuköllner Schule etwa könnte man sich das deutschlandweit bekannte Projekt Trialog künftig einfach nicht mehr leisten. Ein jüdisch-palästinensisches Pädagogen-Duo diskutiert in dem Format mit Schülern über den Nahostkonflikt. Elverich sagt mit Blick auf die Zukunft: „Wir sind keine sogenannte Brennpunktschule, wir wissen nicht, ob wir überhaupt vom Start-Chancen-Programm profitieren.“

Auch ein Bündnis von Sozialverbänden will die von Paus veranlassten Kürzungen nicht hinnehmen. Im Gegenteil: Die Zahl der Ratsuchenden steige jährlich. Dieses Jahr gehe man von deutlich über zehn Prozent Wachstum der Anfragen im Vergleich zum aus. Deshalb brauche es künftig mehr, nicht weniger Mittel für Jugendmigrationsdienste wie die „Respekt Coaches“, heißt es in einem Positionspapier.

„Um die bestehenden Strukturen zu erhalten, werden mindestens 85 Mio. Euro benötigt“, fordern darin unter anderem die Arbeiterwohlfahrt sowie die Verbände für evangelische und katholische Jugendsozialarbeit. Paus müsse zudem mindestens eine überbrückende Finanzierung bis zum Start des Startchancen-Programms im Sommer 2024 schaffen.

Am vergangenen Donnerstag wurde Familienministerin Paus im Deutschen Bundestag von der CDU-Abgeordneten Simone Borchardt nach den Kürzungen bei den Respekt Coaches gefragt. Anders als bei der Debatte nach der Silvesternacht lobte Paus das Projekt nicht explizit. Die Grünen-Politikerin antwortete knapp: „Ich musste leider sehr, sehr schmerzliche Kürzungen vornehmen, das ist aber alles schon im Juni passiert.“

Paus verwies auf die Möglichkeit für die Parlamentarier, noch Korrekturen „angesichts dessen, was am 7. Oktober passiert ist“ vorzunehmen. Die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses ist für den kommenden Donnerstag geplant. Dort kommt es üblicherweise noch zu teils deutlichen Veränderungen am Haushaltsentwurf der Bundesregierung. Erik von Malottki gibt sich kämpferisch: „Die Einstellung der Arbeit der Respekt Coaches ist fatal und muss verhindert werden“, sagt der SPD-Mann.

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