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Tarek Al-Wazir (links) und Volker Bouffier.

© dpa

Schwarz-Grün in Hessen zieht erste Bilanz: Hundert Tage Harmonie

Die schwarz-grüne Koalition in Hessen hat angesichts der früheren Feindschaft der Partner erstaunlich geräuschlos begonnen – die echten Herausforderungen aber kommen noch.

Mit ihrer 100-Tage-Bilanz hatte es die neue hessische Landesregierung ungemein wichtig. Schließlich geht es um die Deutungshoheit über das erste schwarz- grüne Bündnis in einem Flächenland. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und sein grüner Stellvertreter Tarek Al-Wazir zogen daher gemeinsam Bilanz. Ein guter Start sei gelungen, sagte Bouffier. Man arbeite verlässlich und vertrauensvoll zusammen. Die eher zurückhaltenden Bewertungen in der Presse sind für ihn eine klare Sache. Für Journalisten sei es nun mal spannender, wenn sich Bündnispartner streiten: „Wenn Krach ist, haben sie was zu schreiben“, sagte der Ministerpräsident. Vor allem bei dieser Eingangsbemerkung signalisierte Bouffiers neuer „Duzfreund“ Al-Wazir Zustimmung durch heftiges Nicken. So demonstrierte der Grüne im Laufe der Pressekonferenz immer wieder Harmonie.

Geschlossen auch bei kritischen Fragen

Tatsächlich hat dieses Bündnis ehemaliger Erzfeinde seine Arbeit erstaunlich geräuschlos aufgenommen. Selbst bei kritischen Fragen tritt man geschlossen auf. Zum Beispiel hatten die Grünen noch kurz vor der Landtagswahl eine parlamentarische Untersuchung der Pannen und Ungereimtheiten gefordert, die es in Hessen im Zusammenhang mit der Mordserie des rechtsterroristischen NSU gegeben hatte. Im April 2006 war in Kassel Halit Yozgat, der Besitzer eines Internet-Cafès, erschossen worden. Erst später wurde bekannt, dass am Tatort zur Tatzeit ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes gewesen war. Bei der Fahndnung nach den Mördern gab es behördeninternen Streit. CDU und Grüne bestehen auf einer von der Regierung eingesetzten Expertenkommission, die die Konsequenzen der Pannen beraten soll. Die parlamentarische Untersuchung, bei der vor allem mögliche Fehler des damaligen Innenministers Bouffier im Zentrum stehen dürften, wird nun die SPD erzwingen, gegen das Votum der Grünen.

Heikler Ausschuss

Für Bouffiers neuen Koalitionspartner könnte die Ausschussarbeit zum Balanceakt werden. In Fragen der praktischen Politik aber sind sich die Partner offenbar näher als gedacht. In der Schulpolitik hat man die Wahlfreiheit für alle Gymnasien ausgeweitet, mit der Folge, dass die von der CDU einst rigoros durchgesetzte Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre zum Auslaufmodell wird. Bei der Energiewende ziehen Bouffier und Al Wazir am gleichen Strang, gegen den Bundeswirtschaftsminister. Mit einem Aktionsplan will die schwarz-grüne Regierung die ökologische Landwirtschaft besser fördern, ohne Kürzungen für die herkömmliche. "Das sind grüne Tupfer, die die hessische CDU ihrem neue Mehrheitsbeschaffer zugesteht“, urteilt der SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel. Er bezweifelt, dass die „Formelkompromisse des schwarz-grünen Koalitionsvertrags“ den Anforderungen des Regierungsalltags auf Dauer gerecht werden. Schäfer-Gümbel wäre allerdings gerne selbst Bouffiers Regierungspartner geworden, nachdem es für rot-grün nicht gereicht hatte.

Bouffier und Al-Wazir wissen, dass die wirklichen Herausforderungen noch vor ihnen liegen. Der Grüne muss beim Thema Fluglärm liefern. Er will eine einvernehmliche Vereinbarung zwischen dem Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport, der Luftverkehrswirtschaft und der Flugsicherung. Durch ein neues Management der Flugbewegungen soll den Anwohnern wenigstens zeitweise eine siebenstündige Nachtruhe gesichert werden, über das bestehende sechsstündige Nachtflugverbot hinaus. Die Idee klingt nicht nur kompliziert, auch deren Umsetzung ist schwierig. Die größten Herausforderungen lauern in der Haushaltspolitik. Am Ende der Legislaturperiode soll ein ausgeglichener Haushalt stehen. Trotz sprudelnder Steuereinnahmen will Hessen auch im laufenden Jahr noch rund eine Milliarde neue Schulden aufnehmen. Man wird Personal abbauen müssen. Jeder Einschnitt tut weh und sorgt für Gegenwind.

Modell für den Bund?

Gleichzeitig ist sich die ungewohnte Koalition der bundesweiten Beachtung sicher. „Hier zeigt sich ein neuer Kurs der Grünen, die sich auch im Bund zur rechten CDU hinwenden“, sagt etwa Linken- Fraktionschef Willi van Ooyen. Schwarz- Grün ein Modell für den Bund? Bouffier, der auch Vizevorsitzender der Bundes- CDU ist, wehrte ab und leistete sich einen schönen Versprecher. Seine Koalition sei nicht das „Politbüro“, sagte er und meinte doch „Politlabor“. Er und sein Partner wissen es besser. „Bei Erfolg spätere Heirat auf Bundesebene nicht ausgeschlossen“, könnte in einer Kontaktanzeige stehen. Die CDU hatte im Wahlkampf erklärt, mit einem Wirtschaftsminister Al-Wazir sei Hessens Wachstum bedroht. Der Grüne hatte Bouffier einen „Rechtspopulisten“ genannt und die mögliche Zusammenarbeit mit ihm eine „Horrorvision“. Wenn dieses Bündnis trotzdem funktioniert, scheint nichts mehr unmöglich.

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