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Kontrolle. Belgische Soldaten sichern ein Kino im Zentrum Brüssels. Die Behörden haben die Einwohner der Hauptstadt angewiesen, Menschenmassen zu meiden.

© Reuters

Bedrohung in Belgien: Höchste Terrorwarnstufe - Brüssel steht still

Wegen einer "sehr ernsten Bedrohung" gilt in der belgischen Hauptstadt seit Samstag die Terrorwarnstufe 4, das Leben kommt weitgehend zum Erliegen. Paris sucht den Weg zurück zur Normalität.

Wer am Freitagabend aus dem Kino hinaus auf den Boulevard Ansbach in der Brüsseler City geströmt ist, konnte schon etwas von der veränderten Stimmung in der Stadt erahnen. Ein besonders großes Aufgebot an Polizisten regelte händisch den Verkehr, die Fußgängerzone war abgesperrt und seltsam entvölkert – stattdessen patrouillierten Soldaten zwischen der Place De Brouckère und der alten Börse hin und her. In der Nacht, wenige Stunden später, wurde es dann offiziell: Das Lagezentrum der belgischen Regierung ordnete für den Großraum Brüssel die höchste Terrorwarnstufe 4 an, die auf eine „unmittelbar“ bevorstehende „sehr ernste Bedrohung“ hinweist.

Am Samstag zeigt sich dann, dass die höchste Warnstufe – obwohl erst einmal nichts Schlimmes passiert ist – keineswegs etwas Abstraktes ist, sondern ganz praktische Folgen hat. Schließlich wird die Bevölkerung via Radio und Fernsehen gewarnt, „Plätze mit vielen Menschen in der Hauptstadtregion Brüssel zu vermeiden“. Kolonnen von olivgrünen Armeefahrzeugen rücken in die Stadt ein.

Es fahren keine U-Bahnen mehr, da die Behörden die Metro zunächst bis Sonntagnachmittag geschlossen haben. Der Einkaufsbummel in der Innenstadt fällt aus, da viele Geschäfte den Ratschlag befolgt haben, erst gar nicht die Rollgitter hochzufahren. Ganz offiziell verboten worden ist die Öffnung den großen Shoppingmalls der Stadt. Theatervorstellungen und Konzerte am Abend werden abgesagt, darunter auch das der französischen Legende Johnny Hallyday in der Messehalle 12 beim Atomium, das ebenfalls keine Besucher empfängt – so wie auch zahlreiche Kinos, Schwimmbäder oder Büchereien geschlossen bleiben. Auch im „You“, einer der angesagtesten Diskos, wird am Samstag nicht gefeiert.

Zudem sind alle für dieses Wochenende angesetzten Fußball-Spiele in der Hauptstadtregion Brüssel abgesagt worden. Dies habe das Provinzkomitee Brabant am Samstag entschieden, teilte der belgische Fußball-Verband KBVB am Samstagmittag mit. Betroffen ist auch das Erstliga-Topspiel zwischen dem KSC Lokeren und dem RSC Anderlecht. Grund für die Absage sei, „dass die Sicherheit nicht garantiert werden kann“, heißt es auf der Homepage des gastgebenden Vereins.

Warum das öffentliche Leben in Brüssel lahmgelegt wird, versucht Premierminister Charles Michel in einer angesetzten Pressekonferenz am Samstagvormittag zu begründen. „Dies ist das Ergebnis ziemlich präziser Informationen zur Gefahr von Anschlägen, ähnlich denen, die sich in Paris ereignet haben“, sagt der 39-Jährige, „mit Waffen und Sprengstoff und möglicherweise an mehreren Orten gleichzeitig.“ Mehr Details will er nicht verraten, außer dass der öffentliche Nahverkehr und die Einkaufszentren den Hinweisen zufolge besonders gefährdet sind.

Im Rest Belgiens gilt die zweithöchste Alarmstufe

Zusätzliche Kräfte der Armee sind deshalb aus anderen Landesteilen, wo weiter die Terrorwarnstufe 3 gilt, nach Brüssel beordert worden und in die Stadt eingerückt – auch in die Einkaufstraße Georges Henri in der östlichen Teilgemeinde Woluwé-St.Lambert. Hier jedoch haben die meisten Geschäfte geöffnet, auch im lokalen Supermarkt freilich sind die Schlangen viel kürzer als an anderen Samstagen. Gegen 15 Uhr am Nachmittag ziehen sich die vier Soldaten samt Fahrzeug zurück. Hat es eine Entwarnung gegeben? Auch das bleibt zu diesem Zeitpunkt unklar.

Sicher ist nur, dass der mutmaßliche Paris-Attentäter Abdeslam Salah noch immer frei umherläuft und bisher erfolglos von der Polizei gejagt worden ist. Wie Salah stammt auch der vermeintliche Kopf der Terrorzelle, der inzwischen in Paris getötete Abdelhamid Abaaoud, aus der Brüsseler Gemeinde Molenbeek. Der dort tätige Sozial- und Extremismusforscher Johan Leman wehrt sich gegen die Stigmatisierung des Stadtteils. Er sagt aber auch, dass Belgiens Bedrohungslage mit der Frankreichs identisch sei, obwohl der sogenannte „Islamische Staat“ Paris den Krieg erklärt habe: „Für den IS ist Belgien ein Teil Frankreichs, zumindest der französischsprachige Teil – das ist für die Terroristen Kampfgebiet.“

In Paris sind derweil viele der Bars, Restaurants und Kneipen, die sich an der Rue du Faubourg du Temple oder Rue Oberkampf aneinanderdrängen, noch nicht wieder voll besetzt. Tische sind frei, die sonst am Wochenende nur mit Wartezeit zu bekommen sind. Viele versuchen aber, ihr normales Leben wieder aufzunehmen, wie die 23-jährige Anna Bessis. „Das ist unser Viertel!“

Anna zeigt mit dem Drink in der Hand die Straße entlang. Zwei Ecken weiter hat der Terror etwa im „Café Bonne Bière“ oder gegenüber im „Casa Nostra“ blutige Wunden im Osten von Paris hinterlassen. Eine Woche später tasten sich Anna und ihre Freunde vor dem „Nun’s Café“ und viele andere junge Pariser in ihr Ausgehviertel zurück. „Die haben uns angegriffen“, sagt Anna. „Aber wir müssen weitermachen. Das ist unser Leben. Wir leben hier, wir feiern hier.“ (mit dpa)

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