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Organisationen der Flüchtlingshilfe fordern mehr Einsatz bei der Rettung bedrohter Ortskräfte.

© picture alliance / dpa

Update

Rettung afghanischer Helfer: Hilfsorganisationen unterstützen Ortskräfte-Klage gegen Bundesregierung

Flüchtlingshelfer kritisieren, dass die Regierung frühere freie Mitarbeiter in Afghanistan im Stich lasse. Eine nun eingereichte Musterklage soll das ändern.

Abdul B. hatte wenig Zeit. Nur kurz nachdem die Taliban die Macht übernommen hatten, drangen sie in sein Haus ein, suchten nach dem Helfer der Deutschen, einer Ortskraft der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Dass er kurz zuvor einen Drohbrief erhalten hatte, rettete wohl sein Leben. Längst hielt er sich versteckt, während sein Bruder bei jener Attacke in seinem Haus getötet wurde. So schildert es die Klageschrift eines Anwalts, die jetzt der Bundesregierung die Ausstellung von Visa für insgesamt fünf Menschen fordert. Die Klageschrift, am Montag eingereicht, liegt dem Tagesspiegel vor. Die Klage wird unterstützt von den Organisationen Pro Asyl und Mission Lifeline. 

Seit Mitte August sind die Taliban in Afghanistan wieder an der Macht. Und noch immer muss die Ausreise und Rettung der Helfer deutscher Ministerien und Entwicklungshilfeorganisationen, der Dolmetscher, Fahrer, Journalistinnen und Beraterinnen, die Bundesregierung beschäftigen. Das Bundesinnenministerium (BMI) sprach im Dezember von mehr als 20.000 Aufnahmezusagen für aktive und ehemalige Ortskräfte und deren Familienangehörigen, die seit Mai 2021 erteilt wurden. Bis dahin waren erst 7000 Menschen nach Deutschland eingereist. 

Die Kriterien der Aufnahme sind strikt. Die Ortskräfte-Regelung gilt nicht für jene Helfer, die vor Januar 2013 ihren Dienst beendeten. Als Ortskraft gilt zwar auch, wer etwa in einem Arbeitsverhältnis mittelbar für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gearbeitet hat. Doch Asylanwälte und Hilfsorganisationen kritisieren, dass die Bundesregierung noch immer nicht genug unternehme, um auch die Helfer der Entwicklungshilfe wie jene der GIZ nach Deutschland zu holen – und eben jene, die als freie Mitarbeiter tätig waren.

Nun folgt der Weg vor Gericht. Mit der Musterklage wollen die Organisationen der Aufnahme vieler weiterer ehemaliger Ortskräfte den Weg ebnen. Hat die Klage Erfolg, könnten etliche weitere Helfer unter das Ortkräfteverfahren fallen. Tausende Helfer arbeiteten im Laufe der Jahre ohne festes Arbeitsverhältnis für die Deutschen.

„Eine Gefährdung der Ortskräfte und ihrer Familien“ 

„Die Klage kann nur eine Hilfskonstruktion sein. Letztlich ist sie ein Akt der Verzweiflung – weil sich die Ortskräfte in Lebensgefahr befinden“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, dem Tagesspiegel. „In diesen Fällen liegt eindeutig eine Gefährdung der Ortskräfte und ihrer Familien vor. Ihnen muss eine Einreise in Deutschland ermöglicht werden“, fordert Matthias Lehnert, Anwalt für Aufenthaltsrecht.  

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Lehnerts Fälle betreffen einen früheren Helfer der GIZ und vier Familienmitglieder. Das Police Cooperation Project, in dem der Afghane arbeitete, war ein über viele Jahre laufendes Projekt des Bundesunternehmens, in dem Polizisten Lesen und Schreiben lernten und in Staatsbürgerkunde unterrichten wurden. Die Zahl der Analphabeten war auch unter Sicherheitskräften enorm. Die GIZ pries das Projekt, durchgeführt im Auftrag des Auswärtigen Amtes, in Stellenanzeigen auf afghanischen Internetseiten als eines ihrer größten im Land.

Ziel der Kurse war es auch, die Legitimität der Regierung in der Bevölkerung zu steigern, und schlicht auch, Sicherheitskräfte fit zu machen in Behördenarbeit. Geschult wurden die Kräfte oft in Polizeistationen, Containern und in ländlichen Gegenden mitunter sogar an Straßen-Checkpoints. Zehntausende waren es im Laufe der Jahre.

Organisationen der Flüchtlingshilfe fordern die Aufnahme der Polizei-Ausbilder

Was die Arbeit der Lehrer so gefährlich machte: die Schüler, die sie unterrichteten. Anschläge auf Polizisten ereigneten sich bereits lange vor dem Fall des Landes. Für die Taliban waren Polizisten oft Gehilfen der feindlichen Kräfte. Die Klageschrift verweist auf Fälle, in denen frühere Polizei-Ausbilder gefährdet und teils schwer verletzt wurden. „Die Taliban schauen nicht auf Verträge und lesen dann etwas von Entwicklungshilfe. Wer für die Ausländer gearbeitet hat, ist deren Feind“, sagt Lehnert. „Die Bundesregierung muss nun ihrer Verantwortung gerecht werden und endlich jene Menschen aufnehmen, die vermeintlich nur Werkverträge erhielten“, sagt Axel Steier, Vorsitzender von Mission Lifeline, dem Tagesspiegel.

Für die Ministerien könnte die Klage zur Unzeit kommen. Vor wenigen Wochen hatte das BMZ kundgetan, dass es keine eigenen Hinweise auf eine gezielte Verfolgung früherer Mitarbeiter habe. Es sei „ein konkreter Fall bekannt, bei dem eine Ortskraft der deutschen Entwicklungszusammenarbeit für eine Woche inhaftiert wurde“, sagte ein Sprecher. Dem Entwicklungsministerium seien einzelne Berichte von Ortskräften bekannt. Diese könnten aber nicht verifiziert werden, sagte der Sprecher weiter.

Organisationen der Flüchtlingshilfe widersprachen im Januar vehement. „Die Ortskräfte sind in Lebensgefahr. Ihnen läuft die Zeit davon. Wir brauchen eine schnelle eine Änderung des Ortskräfteverfahrens“, sagt Burkhardt nun dem Tagesspiegel. Auch freie Mitarbeiter der Ministerien und Organisationen der Entwicklungshilfe müssten unter das Verfahren fallen.   

Zahlreiche Familien von früheren afghanischen Ortskräften sind bereits in Deutschland eingetroffen. Aber Tausende leben noch unter Bedrohung der Taliban.
Zahlreiche Familien von früheren afghanischen Ortskräften sind bereits in Deutschland eingetroffen. Aber Tausende leben noch unter Bedrohung der Taliban.

© Patrick Pleul/dpa

Auch im Bundestag wird eine rasche Aufnahme der Ortskräfte gefordert. „Die Sicherheitslage in Afghanistan ist unverändert brisant. Es ist notwendig, weiterhin alles für eine rasche Ausreise der verbliebenen Ortskräfte und deren Familien zu tun“, sagte Außenpolitiker Roderich Kiesewetter (CDU).

Frühere Ausbilder machen seit Monaten auf sich aufmerksam

3200 Menschen arbeiteten seit dem Start im Jahr 2014 für das Polizei-Ausbildungs-Projekt im Auftrag des Auswärtigen Amtes, der allergrößte Teil als Auftragnehmer und nicht in einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis, wie die GIZ im Januar mitteilte. Doch war das Projekt in der ersten Jahreshälfte 2021 noch in allen 34 Provinzen aktiv. Viele der freien Kräfte befinden sich wohl noch immer in Afghanistan.

Seit Monaten machen frühere Auftragnehmer auch in sozialen Medien auf sich aufmerksam. Auf Twitter sind zahlreiche Fotos zu sehen, die verschleierte, von Masken und Tüchern bedeckte Gesichter von Menschen zeigen, die Schilder mit Forderungen in Kameras halten. Gerichten an die Bundesregierung heißt es darauf: „Lassen Sie die GIZ-Moderatoren nicht alleine“ oder „Schützen Sie uns und unsere Familien vor internationalen Terroristen“.

Im Januar teilte die GIZ auf Anfrage mit, sie unterstütze ihre afghanischen Mitarbeiter, die nach Deutschland ausreisen möchten und für die die Bundesregierung eine Aufnahmezusage ausgesprochen hat, „mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln“. „Dies schließt ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein“, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber dem Tagesspiegel – es bezieht sich auf festangestellte Mitarbeiter, wie eine Sprecherin sagte. Zum Zeitpunkt der Stellungnahme war die Klage noch nicht eingereicht.

Klage zielt auf Einklagen des Arbeitsverhältnisses

Lehnert will nun erreichen, dass die Bundesregierung den Klägern Visa für die Einreise nach Deutschland ausstellen muss. Seine Annahme: Dass anstatt der vermeintlichen Werkverträge richtige Arbeitsverhältnisse in Festanstellung vorlagen. Damit würden die Helfer in jedem Fall unter die Ortskräfte-Regelung des Aufenthaltsgesetzes fallen. Dokumente, die dem Tagesspiegel vorliegen, weisen darauf hin, dass viele der Lehrkräfte befristete Verträge für das Abhalten von Workshops erhielten, einige über mehrere Monate laufend, andere über ein Jahr oder länger. In der Regel wurden die Verträge wiederum befristet verlängert, teils über Jahre, mit nahtlos ineinander übergehenden Folgeabkommen.

In der Klage heißt es nun: Die GIZ habe die Betriebsmittel vorgegeben, die Ortskräfte in der Betriebsstätte gearbeitet, nach den exakten inhaltlichen und zeitlichen Vorgaben der GIZ. Teils sei es untersagt gewesen, anderen Beschäftigungen nachzugehen. „Selbst, wenn man davon ausginge, es handelte sich nicht um Festangestellte, würde das weder etwas an der Gefahr für die Menschen ändern, noch an der Schutzpflicht des deutschen Staates, diejenigen zu retten, die sich uns anvertraut haben“, sagt Lehnert. „Es ist ein Armutszeugnis, wenn man Arbeitsverträge einklagen muss, damit die Bundesregierung Menschen rettet“, sagt Mission-Lifeline-Chef Steier. „Die Aufnahme der Ortskräfte muss erheblich beschleunigt werden.“

Außenpolitiker Kiesewetter hält eine Reform des Ortskräfteverfahrens nicht nur aus menschenrechtlichen und humanitären Aspekten erforderlich, sondern auch aus sicherheitspolitischen Erwägungen: „Deutschland wird auch künftig eine aktive Rolle auf der Welt spielen – eine solche Rolle kann ohne die Mitarbeit von Ortskräften nicht angenommen werden.“

Ohne eine Reform des Ortskräfteverfahrens bestehe die Gefahr, dass bei künftigen Aufgaben Ortskräfte kein Vertrauen in die Schutzfunktion Deutschlands haben, sagte Kiesewetter weiter. „Deshalb sollten in künftigen Mandaten Schutzmaßnahmen aller Ortskräfte bereits während laufender Mandate geregelt werden, um das Vertrauen in Deutschland zu stärken.“ Teil dieser Überlegungen könne die Aufnahme eines zusätzlichen Asylgrundes für beschäftigte oder ehemals beschäftigte Ortkräfte sein.

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