zum Hauptinhalt
Blick von den israelisch besetzten Golan-Höhen auf die syrische Stadt Jubata al-Khashab, die von einem Hubschrauber der syrischen Regierungstruppen bombardiert wurde.

© AFP

Verletzte Syrer in Israel: Hilfe vom Feind

Zwischen Israel und Syrien gibt es keinen Kontakt. Trotzdem hilft ein israelisches Krankenhaus Patienten aus dem Nachbarland - etwa dem jungen Majid.

Von Hans Monath

Als Majid im Galilee Medical Center aus der Bewusstlosigkeit erwachte und die Augen aufmachte, durchfuhr ihn nackte Angst. "Die Juden werden dich abschlachten", hatte der junge Syrer in seiner Heimat immer wieder gehört. Und nun lag er in einem Krankenhaus im Feindesland und rechnete mit dem Schlimmsten.

Doch nicht neue Grausamkeit widerfuhr ihm, sondern wahrscheinlich das Beste, was einem schwer verletzten und verstümmelten 17-Jährigen aus dem Bürgerkriegsland Syrien passieren kann. Als Majid, der in Wirklichkeit anders heißt, das Krankenhaus im Norden Israels erreichte, war er dem Tode nah: Eine von der Armee Baschar al Assads abgefeuerte Panzergranate hatte ihm den gesamten Kiefer weggerissen, auch die Lippen und die Zunge. Er sei Opfer einer Gewehrkugel geworden, sagen andere. Sein Gesicht jedenfalls war eine einzige Wunde, er konnte weder essen noch sprechen.

In seinem Heimatland, in dem die medizinische Versorgung zusammengebrochen ist, gab es für Majid keine Hilfe. Kämpfer der Freien Syrischen Armee, so erinnert er sich, entschieden, dass er über die Grenze nach Israel gebracht werden sollte. Dort rekonstruierten die israelischen Ärzte und Pfleger in mittlerweile zehn Operationen erst seinen Kiefer und dann sein Gesicht.

Nun steht der schlaksige junge Mann in einem blauen Schlafanzug in einem Zimmer des Krankenhauses und gibt acht europäischen Journalisten Auskunft, die auf Einladung des American Jewish Committee Israel besuchen. In seinem rechten Arm steckt eine rote Kanüle, Mund und Kiefer sind unter einem dicken Verband versteckt, sodass Majid kaum zu verstehen ist und der Übersetzer mit dem blauen Krankenhauskittel immer wieder nachfragen muss. Über den Moment, der sein Leben dramatisch veränderte, sagt Majid: "Ich war gerade bei der Feldarbeit in der Nähe meines Hauses." Niemand kann überprüfen, ob der junge Mann nicht doch selbst gekämpft hat und dies nun nur nicht zugeben will. Aber für seine israelischen Helfer würde das wohl kaum etwas ändern.
"Kein einziger Mitarbeiter der israelischen Armee oder des Geheimdienstes ist jemals in unser Krankenhaus gekommen, um unsere Patienten zu befragen", versichert Masad Barhoum. Der medizinische Direktor des Krankenhauses in Nahariya ist ein streng schauender Mann mit randloser Brille und Glatze. Das Krankenhaus, das der Araber, Christ und israelische Staatsbürger leitet, versorgt die Region West-Galiläa, in der Araber muslimischen und christlichen Glaubens mit Drusen und Juden zusammenleben.

"Eine Brutalität, wie ich sie nie zuvor erlebt habe"

Mehr als 750 Patienten aus Syrien hat das Galilee Medical Center seit März 2012 behandelt – rund die Hälfte aller Verletzten, die von der Grenze zum Nachbarland von der israelischen Armee abgeholt und in Behandlungszentren nach Israel transportiert werden. "Dies geht auf eine Entscheidung der israelische Regierung zurück, und sie bezahlt auch die Behandlungskosten", sagt Barhoum. Für Prothesen oder andere medizinische Hilfsmittel, die syrische Patienten erhalten, kommt der Verein "Friends of Galilee Medical Center" auf. "Die Erfahrungen dieser Menschen sind von einer Brutalität, wie ich sie zuvor nie erlebt habe", sagt Vereinschef Amir Yarcji. Seine Organisation ist auf Spenden angewiesen.

Was hält der junge Syrer heute von dem Staat, der ihm geholfen hat? "Er hat gesagt, es gibt kein besseres Land als Israel, Israel ist besser als die arabischen Länder", erklärt der Übersetzer. Wer hinter der syrischen Grenze aufgewachsen ist und dort lebt, denkt in der Regel anders über die Nachbarn im Süden – genau so, wie Majid vor seiner Behandlung im Galilee Medical Center. Davon zeugen auch Aussagen syrischer Flüchtlinge. Die "Jerusalem Post" schickte kürzlich einen Reporter zur Warteschlange vor das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin. Ergebnis der Befragung: Viele nach Deutschland geflohene Syrer halten das Nachbarland für böse und gefährlich. Einer erklärte dem Reporter: "Assad and Israel – same, same" ("Assad und Israel, die nehmen sich doch nichts").

Offizielle Kontakte zwischen Syrien und Israel gibt es nicht, beide Länder befinden sich seit 1948 im Krieg. Wenn die Patienten geheilt sind und über die Grenze an den Golanhöhen wieder in ihre Heimat zurückkehren, sagt Mediziner Masad Barhoum, entfernen die israelischen Soldaten alle Aufnäher in der Kleidung, die auf einen Aufenthalt in Israel hinweisen. Der Hass auf das Nachbarland ist so groß, dass sogar diejenigen erneut zu Opfern werden können, die in Israel Menschlichkeit erfahren haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false