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Ein Teilnehmer einer Demonstration hält ein Plakat mit der Aufschrift "Helfen statt Hetzen" in die Höhe (Symbolfoto).

© Uwe Anspach/dpa

Hetze im Netz: Wie Zivilcourage digital funktioniert

Wie ist die Gesetzeslage, wie aussichtsreich ist eine Anzeige? Solidarisieren, archivieren, anzeigen – so kann jeder etwas gegen rechten Hass im Netz tun.

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Drohungen, Beleidigungen und Diskriminierungen im Netz anzeigen – das wird Betroffenen geraten. Die nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Internet einsetzende Häme, Schadenfreude und fortgesetzte Gewaltbereitschaft hat die Öffentlichkeit erschreckt und die Politik aufgerüttelt. Wie wehrt man sich gegen verbale Angriffe auf Facebook? Wie hält man sich den aggressiven Twitter-Kommentator vom Leib? Helfen juristische Schritte?

Was sollte ich tun, wenn ich im Netz bedroht werde?

Der erste Schritt ist die Archivierung. Beweismittel helfen im Falle einer späteren Anzeige. Dabei sollten Hassnachrichten nicht einfach als Screenshot gespeichert werden. Bildaufnahmen gelten als manipulierbar. Deshalb kann ihre Beweiskraft unter Umständen vor Gericht angezweifelt werden. Dringend sollten darum auch dazugehörende Internet-Links dokumentiert werden sowie die Uhrzeit und die Namen der Beteiligten, wie Miro Dittrich vom Projekt „de:hate“ der Amadeu Antonio Stiftung empfiehlt.

Viele Plattformen wie Twitter und Facebook bieten zudem die Möglichkeit, Kommentare zu melden und entfernen zu lassen. Zwar haben die großen sozialen Netzwerke den Ruf, nur behäbig gegen beleidigende und diskriminierende Beiträge vorzugehen, Gewaltandrohungen würden jedoch tendenziell mit hoher Priorität geprüft. Durch Druck der Nutzer und vor allem der Werbepartner gehen die Plattformen zumindest in diesem Teilbereich mittlerweile deutlich schneller vor als noch vor einigen Jahren.

Aus einer solchen Meldung ergeben sich jedoch keine juristischen Folgen für den Verfasser der Drohung. Als Höchststrafe wird das Profil desjenigen gesperrt. Der Nutzen für Betroffene ist vorrangig psychologisch und meist nur kurzzeitig. Gerade bei Menschen, die in der Zivilgesellschaft aktiv sind und sich zum Beispiel für Geflüchtete einsetzen, stecken hinter den Drohungen oft organisierte Kampagnen. Gelöschte Profile tauchen meist schon nach kurzer Zeit wieder unter neuem Namen auf. Spätestens dann sollte man über eine Anzeige nachdenken. 

Wie aussichtsreich ist eine Anzeige?

Sowohl Beleidigungen als auch Bedrohungen sind Straftaten. Für Täter können sie Geldzahlungen oder auch kurze Haftstrafen zur Folge haben. Dabei ist es in der Theorie erst einmal egal, ob die Tat auf der Straße stattfindet oder als Kommentar auf Facebook. Allerdings berichten Betroffene immer wieder davon, dass Bedrohungssituationen von der Polizei nicht ernstgenommen wurden. „Die Befragung läuft dann nach dem Muster: Ach, da war also jemand gemein zu Ihnen im Internet“, sagt Dittrich. Das gelte insbesondere für Privatpersonen, die keine politischen Ämter bekleiden. Wie engagiert die Beamten vorgehen, hänge immer noch stark vom jeweiligen Bundesland ab.

Vorreiter ist Nordrhein-Westfalen. Dort hat die Landesmedienanstalt zusammen mit der Staatsanwaltschaft das Projekt „Verfolgen statt nur Löschen“ eingerichtet, dass auf Abschreckung durch Gerichtsprozesse setzt. Bereits in den ersten Monaten seien mehr als 130 Fälle von Hasspostings angezeigt worden. Darunter fallen neben Beleidigungen gegen Amtsinhaber auch Aufrufe zu Straftaten und Volksverhetzung.

Im Bericht über politisch motivierte Kriminalität beziffert das Bundesinnenministerium die erfassten Hasspostings für das vergangene Jahr deutschlandweit mit rund 1500 Stück – fast 80 Prozent der Nachrichten kamen aus dem rechtsextremen Spektrum. Im Vergleich zu 2017 gingen die Fälle damit um mehr als ein Drittel zurück. Das Bundeskriminalamt feierte den Rückgang als Erfolg.

Dem entgegen steht die schiere Masse an aggressiven Inhalten, denen viele Nutzer täglich im Netz begegnen. Eine pessimistischere Deutung der Statistik drängt sich auf: Eventuell haben viele Betroffene aus schlechten Erfahrungen mit der Polizei gelernt und sparen sich mittlerweile die Mühe einer Anzeige. Oder die Hetzer haben dazu gelernt und formulieren ihre Nachrichten so, dass ihnen mit dem Strafgesetz nur noch schwer beizukommen ist. 

Woher kommen die Drohungen?

Was meist wie eine Ansammlung von Einzelstimmen wirkt, kann organisierten Strukturen folgen. Ein Beispiel dafür sind die Kampagnen gegen Richard Gutjahr. 2016 wurde der Journalist erst zufällig Augenzeuge des Lkw-Anschlags von Nizza und war wenige Tage später ebenso zufällig in der Nähe des Olympia-Einkaufszentrums, als dort ein rechtsextremer Schüler neun Menschen erschoss.

Verschwörungstheoretiker sahen einen Zusammenhang und bezichtigten Gutjahr, im Auftrag eines internationalen Geheimbundes zu arbeiten, der mit Hilfe von inszenierten Attentaten eine neue Weltordnung erzwingen will. Hunderte Videos auf Youtube beschuldigten ihn, hinter den Anschlägen zu stecken. In den Kommentaren häuften sich die Drohungen gegen den Journalisten und seine Familie.

Ausgehen würden diese Kampagnen von einzelnen Wortführern, die äußerst geübt im Umgang mit sozialen Medien seien, erläuterte Gutjahr später zu den Angriffen gegen ihn. „Sie kennen alle Tricks um auf Youtube, Facebook und Google Traffic zu generieren.“ Diese Personen wüssten, wie man ein Video so platziert, dass gleich mehrere Kopien auf unterschiedlichen Plattformen zeitgleich starten. Mitläufer würden die Videos dann kopieren und immer wieder neu hochladen, bis „die Lawine nicht mehr gestoppt werden kann“.

Spätestens seit den Recherchen um das Netzwerk „Reconquista Germanica“ ist bekannt, dass sich Rechte in speziellen Chatgruppen über Onlinedienste wie Discord und Telegram absprechen. Hier werden in hierarchischen Strukturen Befehle für konzentrierte Social-Media-Attacken gegen Personen und Institutionen vergeben.

Der Reiz dahinter ist nicht nur die Lust am Destruktiven, sondern auch, sich als ein exklusiver Kreis zu inszenieren. So spricht Martin Sellner, wichtigste Figur der deutschsprachigen Identitären Bewegung, seine Follower auf Telegram als „Telegramelite“ an – alle 26.000. Zu einer Professionalisierung hat auch beigetragen, dass mittlerweile Handbücher im Netz kursieren, wie Hetzkampagnen am "effizientesten" durchgeführt werden können. Darin wird geraten, Höflichkeit vorzutäuschen, zu Sietzen und sich mit Gewaltandrohungen zurückzuhalten. Man solle den Gegner provozieren, bis dieser selbst zu drohen beginnt. Dann könne man ihn gleich melden und sperren lassen.

 Wie kann ich helfen, wenn andere bedroht werden?

Wichtig ist, Solidarität zu zeigen – aber überlegt. Unterstützende Kommentare zeigen Betroffenen, dass sie in Ihrer Situation nicht allein sind. Der Verein #ichbinhier bemüht sich so, Hassbotschaften aus den sozialen Netzwerken zu verdrängen. Dafür klinkt sich das nach eigenen Angabe 500 Kernmitgliedern umfassende Netzwerk in Diskussionen ein und verfasst konstruktive Beiträge unter dem entsprechenden Hashtag. Anschließend liken die Netzwerkmitglieder ihre Beiträge so lange gegenseitig, bis beleidigende Inhalte ans Ende der Kommentarbereiche rutschen.

Dabei geht es auch um Geschwindigkeit. Wenn man zu spät komme, könne die Kommentarspalte bereit gekippt sein, sagte Projektgründer Hannes Ley kürzlich im Gespräch mit dem Hessischen Rundfunk. „dann bringt unsere ganze Aktion nichts mehr.“ Wie bei anderen Formen der Zivilcourage auch, begeben sich Helfer in die Gefahr, selbst Ziel zu werden. „Man sollte prüfen, wie angreifbar man ist“, rät Miro Dittrich: Welche Informationen sind über einen selbst im Internet abrufbar? Ist mein Facebook-Profil öffentlich? Finden sich dort Bilder meiner Kinder? Ist die eigene Wohnadresse im Internet zu finden? „Darüber machen sich viele keine Gedanken, bis plötzlich jemand als Reaktion haufenweise Pizzen an ihre Haustür liefern lässt.“

Die Verfasser von Drohnachrichten direkt zu kontaktieren, hält er für wenig zielführend. „Das kann wirken, falls eine persönliche Beziehung zu demjenigen besteht – wenn es ein Verwandter oder ein Freund ist.“ Meist handele es sich aber um Täter aus Überzeugung. Stellung beziehen bleibe aber wichtig. Lange galt im Netz die Regel, dass es nur noch schlimmer wird, wenn Nutzer auf Trolle reagieren. Das habe sich als gesellschaftlicher Irrtum herausgestellt: „Wir haben die Trolle jahrelang ignoriert und das hat dazu geführt, dass die Trolle jetzt weite Teile des Internets plagen.“

Wie ist die Gesetzeslage?

Ein wichtiges Instrument zum Kampf gegen den Hass im Netz sollte das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (kurz: NetzDG) werden, das 2017 von der Großen Koalition beschlossen wurde. Es wurde nach einer Übergangsfrist zum 1. Januar 2018 voll wirksam und verpflichtet die Betreiber von sozialen Netzwerken mit über zwei Millionen Nutzern, „offensichtlich rechtwidrige“ Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen. Bei weniger eindeutigen Fällen ist eine Frist von einer Woche vorgesehen.

Bei Verstößen gegen diese Regelungen können die Plattformbetreiber mit Geldbußen in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro belegt werden. Betroffene Nutzer können Beschwerde beim Bundesamt für Justiz einreichen, wenn ihrer Ansicht nach ein rechtwidriger Inhalt nicht rechtzeitig gelöscht wurde.

Davon jedoch machten bisher nur wenige Gebrauch. Ursprünglich hatte das Bundesamt für Justiz mit jährlich 25.000 Beschwerden gerechnet, im Jahr 2018 waren es jedoch nur 714. Zudem greift das Gesetz nicht bei Inhalten, die außerhalb von sozialen Medien veröffentlicht werden – zum Beispiel in Blogs. Hier greifen zwar die herkömmlichen strafrechtlichen Mittel, doch oft haben Ermittlungsbehörden Probleme, die Urheber von anonymen Internetseiten ausfindig zu machen.

Juristische Umsetzung und Vorhaben

Außerdem ist das Gesetz längst nicht gegen jede Form von Hassrede wirksam. Erika Steinbach, Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, teilte Anfang 2019 auf Twitter einen Link zu einem rechten Blog, auf dem gegen Walter Lübcke gehetzt wurde. Sie schrieb dazu: „Zunächst sollten die Asylkritiker die CDU verlassen bevor sie ihre Heimat aufgeben“. Die Folge war, dass eine neue Hasswelle gegen Lübcke begann – unter ihrem Tweet waren Morddrohungen veröffentlicht worden. Steinbachs Worte sind zwar für sich genommen strafrechtlich nicht relevant, doch in Kombination mit dem Link und Steinbachs bisweilen rechtsradikalen Twitter-Publikum entfalteten sie ihre Wirkung.

Das Justizministerium plant derzeit nach Informationen von Tagesspiegel Background eine Neufassung des NetzDG, weil bis zum kommenden Jahr einige Vorgaben aus der europäischen Richtlinie zu audiovisuellen Mediendiensten umgesetzt werden müssen. Inwieweit Erkenntnisse aus dem Fall Lübcke in die Überarbeitung mit einfließen werden, ist noch unklar.  

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