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Der Eingang des Kriminalgerichts Moabit.

© Fabian Sommer/ dpa

Härte vor Gericht: Auch Trauer eignet sich für Populismus

Mit geschürter Empörung nach angeblich milden Strafurteilen wächst die Kluft zwischen Justiz und Öffentlichkeit. Das schadet der Demokratie. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Es gibt wohl keinen größeren Schmerz als den von Eltern, denen ihr Kind genommen wird. Die Mutter der toten Johanna hat ihm Ausdruck verliehen, als sie vor dem Berliner Landgericht einen in trauernden Familien viel zitierten Satz sagte: „Wir sind nicht von dieser Welt, wir, die wir ein Kind verloren haben.“ Er bedeutet, dass vieles von einem selbst mitgestorben ist mit dem Kind; bei manchen alles.

Johanna ist mit 22 Jahren totgefahren worden. Am Steuer saß ein Straftäter auf der Flucht. Für die Mutter war es Mord. Darauf steht lebenslange Freiheitsstrafe. „Das ist hundertprozentig das, was wir wollen.“ All dies ist verständlich. Ist es angemessen? Es ist bemerkenswert, wie diese Frage in der öffentlichen Erörterung solcher Fälle in den Hintergrund rückt. Zu beobachten war dies auch in der Diskussion um einen jungen Mann, der verbotenerweise und dann auch noch zu schnell auf einer Busspur unterwegs war. Ein Vierjähriger starb. Ein paar Tausend Euro Geldstrafe. Empörung. Ist das der Preis für ein Menschenleben? Gerecht soll sein: den Täter spüren zu lassen, wie sich die Opfer und ihre Angehörigen fühlen.

Die Wutwelle macht Eindruck auf die Richter

So wird geredet über die Justiz und mit jeder Wutwelle vergrößert sich die Kluft zwischen Volk und Gericht. Das macht Eindruck. Raser als Mörder zu verurteilen, ist Teil der Bemühung, wieder Anschluss zu finden an das öffentliche Rechtsempfinden. Auch im Fall Johanna hatten die Ankläger dies gefordert, dann rückten sie davon ab. Wankelmut, so wird es wahrgenommen. Noch schlimmer, als falsch entschlossen zu sein.

In diesen mit starken Gefühlen aufgeladenen Debatten spiegelt sich eine Haltung, die bei anderen Sachverhalten, aktuell etwa bei rechtsextremen Attentaten, als Populismus oder sogar Hetze gebrandmarkt wird. Wut und Empörung werden verstärkt und gegen den Staat und seine Institutionen samt ihrer Repräsentanten gelenkt. Schwächlingen hätten wir es zu verdanken, dass Flüchtlinge das Land überströmten, Schwächlinge versagten, wenn Todesfahrer bestraft werden müssen. Es sind verschiedene Themen, aber dieselben Ressentiments und Sehnsüchte nach Autorität. Alles verständlich. Alles menschlich. Aber auch alles zu viel.

Alle fühlen, aber niemand fühlt sich ein

Paradox, dass so viel über Gefühle geredet wird und es so sehr an Einfühlsamkeit mangelt. Strafprozesse nach tödlichen Unfällen sind oft eine Fortsetzung von Tragödien. Es können auch Täter sein, die leiden, wenn ihr Leichtsinn Opfer fordert. Es soll sogar welche geben, die ihres Lebens nicht mehr froh werden.

Braucht es für sie Augenmaß oder lebenslange Haft? Helfen Mordurteile gegen Fahren auf der Busspur? Die bedrückende Einfalt, mit der in solchen Konstellationen nach unbedingter Härte gerufen wird, zeigt auf, wo Demokratie neben Trump und AfD auch noch Schaden nehmen kann. Wer mitmacht, hat Mitschuld.

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