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Robert Habeck und Ursula von der Leyen

© dpa/Britta Pedersen

EU-Kommissionschefin trifft Vizekanzler: Habeck und von der Leyen wollen die Gaskrise als Chance sehen

Von der Leyen und Habeck wollten die Klimawende einleiten, nun müssen sie sich vor allem um fossile Energie kümmern. Und hadern mit Preisexplosionen.

Die Gasumlage verfolgt Robert Habeck bis in den Innenhof seines Ministeriums. Eigentlich ist alles für einen entspannten Spätsommerabend in der früheren militärärztlichen Akademie angerichtet. Zwischen den Stehtischen mit weißen Tischdecken wuseln Kellner mit Begrüßungsgetränken, es gibt Bio-Weine, Rote Beete mit Ziegenkäse und Orangenblütenwasser oder getrüffelte Belugalinsen.

Das Setting stimmt, der Wirtschaftsminister hat an diesem Abend EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) zu Besuch. Über die Transformation zu einem klimagerechten Europa wollen beide Spitzenpolitiker diskutieren. Zahlreiche Abgeordnete aus dem Bundestag und dem Europaparlament sind gekommen, ebenso Staatssekretäre und Abteilungsleiter aus dem Wirtschaftsministerium. Eine große Frage, wichtige Gäste. Doch dann beginnt die Moderatorin schon wieder mit der verfluchten Umlage. „Können Sie das Wort Gasumlage noch hören?“

Die Verordnung, die ab dem 1. Oktober mit 2,4 Cent pro Kilowattstunde für alle Gaskunden gelten soll, hat den Höhenflug des Vizekanzlers jäh gestoppt. Im Eiltempo musste sie gezimmert werden, um taumelnde Energierunternehmen zu stützen, die wegen der russischen Lieferdrosselung woanders für horrende Summen Gas beschaffen müssen. Dabei holte man sich offenbar auch Rat von den Firmen selbst – und machte Fehler. Denn auch Unternehmen mit dicken Gewinnen können ihre Kosten umlegen.

[Lesen Sie auch: Plötzlich in der Defensive: Wie die Gasumlage Wirtschaftsminister Habeck ins Schlingern bringt (T+)]

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Zwar geht es nur um einen kleinen Teil der tatsächlichen Gaspreise und nur etwa zehn Prozent der gesamten Umlagesumme würde wohl an profitable Unternehmen gehen, doch Habeck muss sich harsche Kritik von Experten, Opposition und aus den eigenen Reihen anhören.

Dabei sei der Grundgedanke der Umlage richtig gewesen, verteidigt Habeck im Innenhof seines Ministeriums: „Es ist ein wichtiges Instrument, um die deutsche Gasversorgung unter schwierigsten Bedingungen sicherzustellen.“ Würde es die Umlage nicht geben, würden die Unternehmen ihre Bonität verlieren und könnten kein Gas mehr einkaufen. Es gebe nur ein Problem: „Es gibt einen Gleichheitsgrundsatz, der hat uns den Schlamassel eingebracht.“ Für alle Firmen müssten die gleichen Gesetze gelten. Das Problem werde man aber lösen, verspricht Habeck.

Pandemie und Krieg bremsen Klimaneutralität aus

Gasumlage, der Bau von LNG-Terminals für Fracking-Gas, eine längere Nutzung von Atomkraftwerken, dreckige Kohlekraftwerke aus der Reserve zu holen, Gas-Shoppingtouren um den halben Globus – all das stand eigentlich nicht auf Habecks Agenda. Zehntausende Windräder und Solarparks wollte Habeck auf den Weg bringen, die Wirtschaft klimaneutral machen – nun muss er sie vor dem Kollaps bewahren.

Ähnlich geht es Ursula von der Leyen, die nur wenige Tage nach Amtsantritt Ende 2019 ihren Green Deal vorstellte. Ein Fahrplan, um Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Doch dann kam erst die Pandemie und nun der Krieg. Krisen statt Umsetzung von Visionen.

Ursula von der Leyen gibt im Dezember 2019 eine Presseerklärung zum europäischen Green Deal ab.

© imago/Xinhua/Zheng Huansong

„Wir müssen höllisch aufpassen bei dieser Extremlage, dass wir nicht gefangen sind mit den fossilen Brennstoffen, weil wir uns ununterbrochen damit beschäftigen“, sagt die CDU-Politikerin. Der Green Deal müsse beschleunigt werden, schließlich würden die beiden großen globalen Krisen unmittelbar mit dem Klimawandel zusammenhängen.

„Die Pandemie ist entstanden, weil der Mensch immer tiefer ins Tierreich vordringt und die Biodiversität zerstört“, sagt von der Leyen. Dadurch würden Viren häufiger von Tieren auf Menschen überspringen. Und die Energiekrise werde verschlimmert durch den Klimawandel, weil die Dürre etwa die Kühlung von Atomkraftwerken erschwere und die Leistung der Wasserkraft reduziere.

Die EU habe deswegen den Ausbau der Erneuerbaren nochmal beschleunigt, bis 2030 soll bereits 45 Prozent der EU-Energie nachhaltig sein. „Jetzt ist eine Zeit, in der wir gezielt und massiv im globalen Süden investieren müssen für die erneuerbaren Energien“, sagt die Kommissions-Präsidentin und erhält dafür Applaus von Habecks Staatssekretärin Franziska Brantner.

EU-Grüne sind sauer auf von der Leyen

Mitunter wirkt es an diesem Abend so, als wolle die Konservative den Grünen-Politiker beim Klimaschutz überholen. Dabei steht Ursula von der Leyen wie Habeck zunehmend unter Druck. „Ankündigungen sind nicht von der Leyens Problem – die Umsetzung ist es“, fasste es der „Spiegel“ unlängst in einem Portrait zusammen. Sie entscheide oft unabgestimmt und allein.

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Der Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, Rasmus Andresen, sagte dem Blatt: „Wenn es darauf ankommt, biegt Frau von der Leyen oft falsch ab. Wir haben nicht den Eindruck, dass wir ihr vertrauen können.“

Die Grünen sind sauer auf die Kommissionspräsidentin, seit sie die Atomkraft als klimafreundliche Investition in der Taxonomie aufgenommen hat. Doch der Gefallen an Frankreichs Präsidenten (und ihren Förderer) Emanuel Macron ist schon lange nicht mehr das Kernproblem der CDU-Politikerin. Die Sanktionen gegen Russland, die von der EU rasch auf den Weg gebracht wurden, beginnen zu bröckeln.

Von der Leyen war im Juni 2022 zu Gesprächen über den EU-Beitrittsantrag der Ukraine in Kiew.

© dpa/AP/Natacha Pisarenko

Ein EU-Beitritt der Ukraine, den von der Leyen bei zwei Besuchen in Kiew in Aussicht gestellt hat, dürfte noch Jahre dauern. Und nun droht der EU ein kalter Winter – auch weil es die Kommission nicht geschafft hat, gemeinsam Energie zu beschaffen. Stattdessen ging jedes Land einzeln auf Gas-Shoppingtour und trieb damit den Preis am Weltmarkt noch zusätzlich in die Höhe.

In der Pandemie hatte man es noch geschafft, gemeinsam Impfstoffe zu besorgen – und so auch die Preise halbwegs im Griff zu halten. Doch in den hohen Kosten sehen Habeck und von der Leyen auch eine Chance, um die Transformation hin zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen.

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„Vor ein paar Monaten war das noch ein politisches Projekt“, sagt Habeck. Das habe sich jetzt komplett geändert, da die Entwicklung nun marktgetrieben sei. Die Unternehmen wollten die Erneuerbaren aus Kostengründen.

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„Jede Kilowattstunde Erneuerbare macht uns unabhängig von fossilen Brennstoffen und unabhängig von Putin“, sagt von der Leyen, die kurzfristig den EU-Strommarkt reformieren will, damit die hohen Gas-Preise nicht mehr die Strom-Preise diktieren.

Dabei dürften Unternehmen, die Strom billig herstellen, aber teuer verkaufen würden, nicht mehr die gesamten Gewinne behalten, so die Kommissionspräsidentin: „Wir müssen diesen Teil nehmen, um kleine Einkommen und Unternehmen, die in Schwierigkeiten sind, zu helfen.“ Die Details lässt von der Leyen offen, doch es klingt wie eine Art europäische Übergewinnsteuer. Ein Instrument, das Habeck auch mit seiner verflixten Gasumlage helfen könnte – um die Gaskunden stärker als bisher zu entlasten.

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