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Ein Foto einer lächelnden Annalena Baerbock auf dem Parteitag.

© Kay Nietfeld/dpa

Grünen-Parteitag nominiert Kandidatin: Nur Mut wird Baerbock ins Kanzleramt führen

Von der „Zuversicht des Handelns“ spricht Annalena Baerbock auf dem Parteitag. Sie sollte es selbst beherzigen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Felix Hackenbruch

Zum Ende seiner Gastrede fühlte sich Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser bemüht, in Richtung von Annalena Baerbock und den Grünen noch eine Mahnung auszusprechen: „Sie haben die große Chance, von einer Abteilungsleitung Umwelt in den Vorstand Deutschland aufzusteigen und damit die Strategie für ein ganzes Land und dessen nächste Generation zu gestalten. Vergeben Sie das nicht leichtfertig.“

Vor einigen Jahren wäre Joe Kaeser auf einem Grünen-Parteitag vermutlich noch ausgebuht worden, wahrscheinlich wäre er gar nicht erst aufgetreten. Doch an diesem Abend warnte der frühere Vorstandsvorsitzende des börsennotierten Weltkonzerns die frisch gekürte Kanzlerkandidatin und bekam dafür anhaltenden Applaus.

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Die Welt um die Grünen hat sich verändert. Die Klimakrise wird spürbar, die soziale Spaltung sichtbar, eine Transformation der Wirtschaft ist überfällig. Mit ihren Themen erreicht die Partei mittlerweile die Breite der Gesellschaft. Selbst wenn die Werte in Umfragen zuletzt schlechter geworden sind, steht die Partei stabil bei 20 Prozent.

Und auch die Verbündeten der Grünen sind mehr geworden. Gewerkschaftsvertreter, Wissenschaftler, Ökonomen, Investoren – sie alle können sich inzwischen mit der Ökopartei identifizieren oder zumindest arrangieren.

Auf dem Parteitag macht die Kandidatin sich rar

Doch auch die Grünen haben sich verändert, was sie an den ersten zwei von drei Tagen ihres Parteitags eindrucksvoll bewiesen haben. 3280 Änderungsanträge für das Wahlprogramm hatte es vorab gegeben – so viele wie noch nie. Der Parteitag hätte im Chaos versinken können, doch die Revolution blieb aus und selbst die Technik funktionierte meistens.

[Mehr zum Thema: An dieser Stelle berichten wir live vom Parteitag der Grünen in Berlin]

Die Basis verzichtete auf die ganz radikalen Forderungen. Kein Tempo 70 auf Landstraßen, kein Spitzensteuersatz von 53 Prozent, keine Enteignung von Immobilienkonzernen. Selbst auf den umstrittenen Vorschlag, das Wort "Deutschland" aus dem Titel des Wahlprogramms zu streichen, wird nun doch verzichtet, wie am Sonntagfrüh bekannt wurde.

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Stattdessen hat sich die Partei dem Wunsch ihrer beiden Vorsitzenden gefügt, dazu Baerbock mit überzeugenden 98,5 Prozent zur Kanzlerkandidatin gekürt. Obwohl sie sich auf dem Parteitag rar gemacht und in den vergangenen Tagen immer wieder schlechte Presse fabriziert hatte, haben die Grünen Annalena Baerbock den roten Teppich ausgerollt. Sie ist jetzt da, wo sie sein wollte. Ob der Weg sie bis ins Kanzleramt führen wird, liegt nun vor allem an ihr.

[Lesen Sie hier "Ausgleich für höhere CO2-Preise: Baerbock würde Prenzlauer Berg zur Kasse bitten" (T+)]

Zuletzt stand sich Baerbock meist selbst im Weg. Ihre unpräzisen Angaben im Lebenslauf und die zu spät gemeldeten Nebeneinkünfte haben Vertrauen kaputtgemacht – die Debatten darüber vielleicht auch ein bisschen von Baerbocks Selbstvertrauen. Seit Wochen tritt sie gehemmt auf, immer nur darauf bedacht, weitere Fehler zu vermeiden. Doch je angestrengter sie das versucht, desto eher passieren die Patzer. „Scheiße“, murmelt sie nach ihrer Rede auf dem Parteitag in Richtung Robert Habeck und hat das Pech, dass ihr Mikrofon noch angeschaltet ist. Offenbar hatte sie sich über einen Versprecher kurz vor Ende ihrer eigentlich sehr soliden Rede geärgert.

Wer weiß, wann eine solche Gelegenheit wieder kommt

„Wir brauchen jetzt die Zuversicht des Handelns“, hat Baerbock ihren Parteifreunden auf dem Parteitag mitgegeben. Veränderung werde nur durch Mut gemacht. Sie sollte es für sich selbst beherzigen. Nur Mut wird sie in die Nähe des Kanzleramts führen – und ein bisschen Lockerheit.

Nach Wochen der Defensive muss sie nun wieder in die Offensive kommen, ihre Parteitagsrede war dafür nur ein erster kleiner Schritt. Einen großen Vorteil hat sie schon, auch daran erinnerte sie Joe Kaeser. „2021 muss die Kanzlerschaft nicht erobert, sondern neu besetzt werden. Wer weiß, wann diese Gelegenheit wiederkommt.“

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