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Grünen-Chefin Annalena Baerbock bei einer Veranstaltung in der CDU-nahen KOnrad-Adenauer-Stiftung

© Christoph Soder/dpa

Grünen-Chefin als Rednerin zu 75 Jahre CDU: Lob und unbequeme Botschaften

Ein ungewöhnlicher Auftritt bei der Konrad-Adenauer-Stiftung: Annalena Baerbock zollt der CDU Respekt, bringt aber auch einen dringenden Appell mit.

Er habe so einige E-Mails wegen dieser Veranstaltung bekommen, sagt Norbert Lammert. Warum er ausgerechnet zum Parteijubiläum der CDU die Vorsitzende einer konkurrierenden Partei einlade, hätten die Absender wissen wollen. „Gerade deshalb“, sagt der Chef der parteinahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Er wolle kein „Schulterklopfen“, sondern einen „kritischen Blick von außen“.

Und doch ist es nicht selbstverständlich, dass am Donnerstagabend zur Vorstellung eines Buchs über 75 Jahre CDU ausgerechnet Grünen-Chefin Annalena Baerbock gekommen ist. Lammert gesteht zu, dass dies eine „irritierende Konstellation“ sei. Aber er sieht auch Parallelen: In der deutschen Parteiengeschichte habe es kaum so „spektakuläre“ Neugründungen von Parteien gegeben, wie die der CDU nach dem zweiten Weltkrieg und der Grünen etwa 35 Jahre später.

Als die Grünen 1983 erstmals in den Bundestag einzogen, war Lammert Abgeordneter – und Baerbock gerade mal zwei Jahre alt. Über einen „beachtlichen“ Zeitraum sei das Verhältnis beider Parteien durch wechselseitige demonstrative Ignoranz geprägt gewesen, sagt Lammert. Und heute? Erscheint der Gedanke, dass es nach der nächsten Bundestagswahl die erste schwarz-grüne Regierung im Bund geben könnte, nicht mehr abwegig.

Schon zum offiziellen Jubiläum im Juni hatten Baerbock und ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck mit einem Glückwunsch-Schreiben in der FAZ an die „liebe CDU“ überrascht: „Ihr seid so etwas wie die institutionalisierte Regierungspartei, die Grundversorgung im Kanzleramt, das Bayern München der Politik“, schrieben sie anerkennend.

Lobende Worte, aber auch unbequeme Botschaften

An diesem Abend bringt die Grünen-Chefin lobende Worte mit, aber auch unbequeme Botschaften – und einen dringenden Appell. Sie erzählt, was sie in ihrer Jugend an der Helmut Kohl-CDU gestört hat und wie sie erst später gemerkt habe, „welche Weitsicht“ es gebraucht habe und welch „innerparteilicher Kraftakt“ es gewesen sei, das „Haus Europa“ zu bauen. Selbstkritisch räumt Baerbock den „historischen Fehler“ der Grünen ein, die damals nicht nur gegen die deutsche Wiedervereinigung gewesen seien, sondern auch gegen den europäischen Maastricht-Vertrag.

Doch dann kommt sie auf eine Erfahrung aus den Jamaika-Sondierungen im Herbst 2017 zu sprechen. Es sei eine „Ironie der Geschichte“, dass sie als Grünen-Politikerin mit Vertretern der Unions-Parteienfamilie über die Vorteile des Schengen-Systems habe ringen müssen – dieses Mal „in anderen Rollen“, sagt Baerbock.

Immer wieder in ihrer Rede verknüpft Baerbock Lob und Kritik: Die CDU habe in ihrer Geschichte gezeigt, dass es ihr nicht nur darum gegangen sei, den Status Quo zu wahren, sondern Probleme anzupacken, sagt die Grünen-Chefin: beim Wiederaufbau nach 1945, der Wiedervereinigung oder der Integration Europas. „Sie haben immer wieder Mut und Willen aufgebracht, Realitäten anzuerkennen.“

Diesen Realitätssinn – und vor allem mehr Mut – fordert Baerbock heute wieder mit Blick auf die Klimakrise ein. Die CDU solle nicht den Fehler machen wie die Grünen damals bei der deutschen Einheit, mahnt sie: „Im Prinzip dafür, aber im Konkreten dagegen“ und immer „der Zeit hinterher“. Es sei „essentiell“, beim Klimaschutz „jetzt“ zu handeln.

Dass Veränderung zu Verunsicherung führen könne, gesteht Baerbock zu. Von der CDU hätten die Grünen abgeguckt, „demütiger“ gegenüber den Menschen zu sein, diese nicht zu überfordern. Aber Politik dürfe auch nicht zu zögerlich sein. Baerbock erinnert daran, dass es für die Euro-Einführung damals in der Bevölkerung keine Mehrheiten gegeben habe. Aber wenn man „ein großes Projekt“ angehen wolle, dürfe man die Menschen auch nicht unterfordern.

Viele "feministische Baustellen" bei der Union

Lob und Kritik - genauso verfährt die Grünen-Chefin, als sie auf Angela Merkel zu sprechen kommt. Junge Menschen seien heute im Selbstverständnis aufgewachsen, dass eine Frau Deutschland regiere. In der Kita und Schule ihrer Töchter habe sie schon die Frage gehört: „Darf überhaupt ein Mann Kanzler werden?“, sagt sie. Ein Zeichen dafür, wie wichtig Vorbilder seien.

Doch Baerbock verkneift sich auch nicht den Kommentar, dass sie noch viele „feministische“ Baustellen bei der Union sieht, angefangen bei den sieben Ministerpräsidenten („Da muss man nicht gendern, da gibt es keine Frau.“)

Und auch wenn sich die Umfragewerte der Union während der Corona-Pandemie nicht zuletzt wegen Merkels Führungsstil verdoppelt hätten, sei von einem ihrer möglichen Nachfolger der Satz zu hören gewesen: „In der Krise wird oft nach dem Vater gefragt.“ Zwar nennt Baerbock den Urheber des Satzes – CSU-Chef Markus Söder – nicht namentlich. Doch für sie klinge das nicht „wie die nächsten, sondern wie die letzten 20 Jahre“, spottet sie.

Dabei sei in den vergangenen Monaten für die CDU auch immer mal wieder „aufgeblitzt“, was feministisch möglich wäre, sagt Baerbock. Sie nennt das Foto von Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer, das die beiden CDU-Frauen bei der Amtsübergabe im Verteidigungsministerium Hand in Hand zeigt. Dieses Bild habe sie „sehr berührt“, weil es „eine andere Art von Macht“ gezeigt habe.

Doch nun gingen die Wetten, dass es eine „Kanzlerinnenkandidatin“ der Union geben werde, gegen Null.

Ob die Grünen es bei der nächsten Bundestagswahl anders machen werden - und mit ihr selbst als Kanzlerkandidatin ins Rennen gehen - dazu verliert Baerbock natürlich an diesem Abend noch kein Wort.

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