zum Hauptinhalt
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

© dpa/Christoph Schmidt

Gnade für Straftäter: Der Bundespräsident könnte demokratischer sein

Frank-Walter Steinmeier verweigert Transparenz zu seinen Entscheidungen, weil sie nicht im Namen des Volkes fallen. Dennoch korrigieren sie Gerichtsurteile.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Es kommt selten vor, dass sich ein Bundespräsident mit einem Mörder unterhält, aber es kommt vor und es gehört zu seinem Amt. Im Jahre 2007 etwa, als der verurteilte RAF-Terrorist Christian Klar den damaligen Präsidenten Horst Köhler um Gnade bat, was Köhler ablehnte. Der Bundespräsident kann, er muss nicht begnadigen.

Sein Gnadenrecht ist Verfassungsrecht, das er nur für den Bund ausübt. In den Ländern sind die Regierungen zuständig. Für den Bund sind es meist Disziplinarentscheidungen gegen Bundesbeamte, für die um Gnade ersucht wird. Oder wenn für ein Strafurteil Bundesgerichte zuständig waren, wie neuerdings im Völkerstrafrecht oder eben im Fall Klar, bei Terroristen.

Eine „Kernkompetenz“, so nannte der Justiziar des Bundespräsidialamts dieses Vor- und Ehrenrecht am Freitag vor dem Verwaltungsgericht Berlin. So wichtig, dass der Chef noch am Nachmittag über den Ausgang des Verfahrens benachrichtigt werden wollte. Denn erstmals sollte ein Bundespräsident seine Gnadensachen umfassend und in allen Einzelheiten publik machen müssen. Das Portal „Frag den Staat“ hatte Frank-Walter Steinmeier verklagt, auf Grundlage des Presse-Auskunftsrechts.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Der Chef wollte schnell vom Urteil informiert werden

Der Justiziar konnte Gutes nach oben melden, die Kammer wies die Klage ab (Az.: VG 27 K 285/21). Urteilsgründe liegen noch keine vor, aber da der Vorsitzende einen Zitatklassiker des Rechtsphilosophen und Justizministers der Weimarer Republik Gustav Radbruch verlas, dürfte klar sein, wie das Gericht die Sache sieht.

Radbruch meinte, Gnade leuchte „wie ein Lichtstrahl aus einem anderen Reiche in die dunkle und kühle Welt des Rechts“; sie erinnere an eine „höhere Wertordnung“, als das Recht eine ist. Also kein schnödes Verwaltungshandeln, wie der Kläger behauptet und wie es allein Gegenstand des Auskunftsanspruchs sein kann.

Die Gnade in ihrem echten und ursprünglichen Sinn ist wie ein Lichtstrahl aus einem anderen Reiche in die dunkle und kühle Welt des Rechts (. . .)

Gustav Radbruch (1878-1949), Rechtsphilosoph und Politiker

Das mag überzeugend sein, doch das Ergebnis ist es nicht. Es wäre dann ausschließlich an Steinmeier selbst, über seine Entscheidungen Publizität herzustellen. Wem er Gnade gewährt, wem er sie verweigert – das mag bei Disziplinarfällen von begrenztem Interesse sein.

Bei Strafrechtsfällen ist es das nicht. Das zeigten schon die Diskussionen, die es um die Gesuche von Christian Klar und anderen RAF-Terroristen gab. Manche hatten Verständnis, andere nicht. Durch Gnade kann ein rechtskräftiges Urteil in der Rechtsfolge beseitigt werden. Ein Eingriff, den Steinmeier als Einzelner nach eigenem Maßstab vornimmt, während eigentlich doch gelten sollte, was „im Namen des Volkes“ ausgesprochen wurde.

Dass Gnade irgendwo neben, auf, über oder eben vor Recht ergeht, wie Radbruch meinte, bezeugt eine nostalgische Betrachtung überkommener Herrschertugend, die im Präsidialamt vermutlich geteilt wird. Aber ist Gnade nicht profaner? Sie korrigiert Recht, wenn Recht irgendwann ungerecht erscheint.

So wird es wahrscheinlich auch Steinmeier halten. Willkür ist das nicht, irrational auch nicht. Steinmeier wird jede einzelne Gnadenentscheidung gut begründen können. Es gibt hier wohl weniges, was man verheimlichen müsste. Radbruchs Lichtstrahl, im Präsidialamt ist er eine Funzel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false