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Sicherheitskräfte in Almaty

© dpa/Tass/Valery Sharifulin

Update

Russische Truppen eingetroffen: Gewalt in Kasachstan hält an – Schüsse und weitere Tote

In Kasachstan geht das Militär hart gegen Proteste vor. Soldaten haben den Flughafen unter Kontrolle gebracht. Die Furcht vor einer Eskalation der Lage wächst.

Die ersten Einheiten einer von Russland angeführten „Friedenstruppe“ sind in Kasachstan eingetroffen. Das teilte das russische Verteidigungsministerium in Moskau am Donnerstag mit. Die „Friedenstruppe“ sei auf begrenzte Zeit nach Kasachstan geschickt worden, „um die Lage zu stabilisieren und zu normalisieren“, hieß es in einer Mitteilung der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS).

Dem Bündnis gehören neben Russland und Kasachstan auch Armenien, Belarus, Kirgistan und Tadschikistan an. Auch diese Staaten hätten Streitkräfte entsandt, hieß es. Zur Zahl der entsandten Soldaten machte die Allianz keine Angaben.

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Im zentralasiatischen Land reißen Proteste und gewalttätige Ausschreitungen nicht ab. Der Hauptplatz der größten Stadt Almaty wurde am Donnerstag abwechselnd von Demonstranten und Militärs kontrolliert. Am Abend kam es dort zu neuen Zusammenstößen. Ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters berichtete von Explosionen und Schüssen.

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Die Nachrichtenagentur Tass meldete unter Berufung auf Augenzeugen, es habe weitere Tote gegeben. Die Schüsse endeten mit dem Anbruch der Dunkelheit. Soldaten übernahmen im Laufe des Tages wieder die Kontrolle über den Hauptflughafen, der von Demonstranten besetzt worden war.

Beim Sturm auf ein Polizeigebäude seien in der Millionenstadt Almaty „Dutzende Angreifer eliminiert“ worden, berichteten kasachische Medien zuvor am Donnerstag unter Berufung auf das Staatsfernsehen. Das lässt darauf schließen, dass es zivile Todesopfer gab.

Nach Angaben der Behörden wurden mindestens 13 Sicherheitskräfte getötet, zwei von ihnen seien geköpft worden. Ein von Russland geführtes Militärbündnis entsandte unterdessen erste Soldaten in die Ex-Sowjetrepublik.

Ermittlungen wegen „Terrorakten“ eröffnet

Die Generalstaatsanwaltschaft des autoritär geführten Kasachstan hat indes Strafverfahren wegen der Organisation und Teilnahme an Massenunruhen eröffnet. Zudem seien vorgerichtliche Ermittlungen wegen der „Ausübung von Terrorakten“ eingeleitet worden, berichtete der Staatssender Khabar 24 in der Nacht zu Freitag. Bei einer Verurteilung drohen demnach im schlimmsten Fall lebenslänglicher Freiheitsentzug und ein Entzug der Staatsbürgerschaft.

Rund um die Hauptstadt Nur-Sultan (früher Astana) wurden Angaben des Staatsfernsehens zufolge insgesamt sechs Checkpoints errichtet. Während der Ausgangssperre von 23.00 Uhr abends bis 7.00 Uhr morgens seien Ein- und Ausreise eingeschränkt. Die Ausgangssperre geht einher mit dem bis zum 19. Januar geltenden Ausnahmezustand. Dieser umfasst auch Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sowie ein Versammlungsverbot.

Das Rathaus von Almaty ist am 6. Januar ausgebrannt.
Das Rathaus von Almaty ist am 6. Januar ausgebrannt.

© Pavel Mikheyev/REUTERS

Das Land erlebt seit Tagen beispiellose Proteste. Die öl- und gasreiche Ex-Sowjetrepublik – neuntgrößtes Land der Welt, aber nur etwas mehr als 18 Millionen Einwohner – grenzt etwa an China und Russland.

Kasachstan wurde über Jahrzehnte von Machthaber Nursultan Nasarbajew regiert, der sich auch nach seinem Rücktritt 2019 großen Einfluss bewahrte. Staatschef ist nun Kassym-Jomart Tokajew, ein ehemaliger Diplomat. Auslöser der Unruhen war Unmut über gestiegene Treibstoffpreise an den Tankstellen. Sie schlugen in teils gewaltsame Proteste gegen die Regierung um.

[Lesen Sie auch: Proteste in Kasachstan. Warum das Regime Hilfe in Moskau sucht (T+)]

Die deutsche Bundesregierung rät von Reisen nach Kasachstan ab. Das Auswärtige Amt teilte darüber hinaus mit, dass das deutsche Generalkonsulat in der Wirtschaftsmetropole Almaty im Südosten des Landes bis auf Weiteres geschlossen bleibe. Eine konsularische Betreuung sei nur über die Botschaft in der Hauptstadt Nur-Sultan möglich. Gewalttätige Ausschreitungen seien kein akzeptables Mittel der politischen Auseinandersetzung, hieß es außerdem.

Das russische Verteidigungsministerium verbreitet ein Foto von Luftlandetruppen, die ein Flugzeug nach Kasachstan besteigen.
Das russische Verteidigungsministerium verbreitet ein Foto von Luftlandetruppen, die ein Flugzeug nach Kasachstan besteigen.

© dpa/Tass/Russian Defence Ministry

Vor dem Hintergrund der Unruhen hat US-Außenminister Antony Blinken mit seinem kasachischen Kollegen Muchtar Tleuberdi telefoniert. Thema des Gesprächs am Donnerstag sei der anhaltende Ausnahmezustand gewesen, teilte das US-Außenministerium mit. Blinken habe „die volle Unterstützung der Vereinigten Staaten für die verfassungsmäßigen Institutionen Kasachstans und die Medienfreiheit“ bekräftigt. „Wir werden auch auf Handlungen achten, die die Grundlage zur Beschlagnahmung kasachischer Institutionen bilden könnten“, sagte unterdessen US-Außenamtssprecher Ned Price.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell äußerte „tiefe Besorgnis“ über die Unruhen. „Die Rechte und die Sicherheit der Zivilbevölkerung müssen sichergestellt sein“, forderte er. UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet rief alle Seiten auf, eine friedliche Lösung zu suchen. Auch die britische und die französische Regierung forderten dies.

Russische Fallschirmjäger als Teil einer „Friedenstruppe“

Trotz Eingreifens von Militär und Polizei ist die Lage weiter unübersichtlich. Tokajew hatte deshalb ein von Russland geführtes Militärbündnis um Unterstützung gebeten – und umgehend eine Zusage erhalten. Nach Angaben der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit wurden am Donnerstag unter anderem russische Fallschirmjäger als Teil einer „Friedenstruppe“ entsandt. Das Verteidigungsministerium in Moskau veröffentlichte ein Video und Bilder, wie bewaffnete Soldaten Flugzeuge bestiegen.

Ein Demonstrant vor der brennenden Stadtverwaltung Almatys
Ein Demonstrant vor der brennenden Stadtverwaltung Almatys

© Imago/Itar-Tass/Yerlan Dzhumayev

Der Organisation zufolge ist eine Hauptaufgabe der ausländischen Soldaten der Schutz wichtiger staatlicher und militärischer Einrichtungen.

Russland bekenne sich zu seinen Verpflichtungen, teilte das Außenministerium in Moskau mit. „Wir betrachten die jüngsten Ereignisse in einem befreundeten Land als einen von außen inspirierten Versuch, die Sicherheit und Integrität des Staates auf gewaltsame Weise durch den Einsatz ausgebildeter und organisierter bewaffneter Formationen zu untergraben.“ Die USA hatten bereits Berichte über mögliche Verwicklungen zurückgewiesen.

Staatschef Tokajew warf „Terrorgruppen“ vor, hinter den Protesten zu stecken. Ausgebildet würden die Gruppen „im Ausland“, sagte er im Staatsfernsehen. Auch der derzeitige Vorsitzende der OVKS, Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan, erklärte, die Unruhen in Kasachstan seien durch „äußere Einmischung“ ausgelöst worden.

[Lesen Sie auch: Ukraine, Iran, Mali, China. Wo 2022 international die größten Konflikte drohen (T+)]

Mehr als 1000 Menschen verletzt

Die Entsendung der OVKS-Soldaten schürte Befürchtungen vor einer weiteren Eskalation der Lage. Internetseiten kasachischer Medien waren zwischenzeitlich auch vom Ausland aus nicht zu erreichen. Berichte können von unabhängiger Seite nur schwer geprüft werden. Lange hielten sich die Behörden mit offiziellen Angaben zurück.

So war zunächst immer noch unklar, wie viele zivile Opfer es bislang gab. Laut Gesundheitsministerium wurden mehr als 1000 Menschen verletzt. 400 seien in Krankenhäuser gebracht worden. Davon müssten 62 auf Intensivstationen behandelt werden.

Auch in der Nacht zum Donnerstag war es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen. Am Mittwoch hatten tausende Demonstranten mehrere Verwaltungsgebäude in Almaty gestürmt, darunter das Rathaus und die Präsidentenresidenz. Die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti berichtete am Donnerstag, dass die Sicherheitskräfte alle Regierungsgebäude vollständig geräumt hätten.

Kasachstan ist eine ehemalige Sowjetrepublik.
Kasachstan ist eine ehemalige Sowjetrepublik.

© AFP/Cléa Péculier/Sophie Ramis

Schwerpunkt der Ausschreitungen ist die Wirtschaftsmetropole Almaty. Bilder im Nachrichtenkanal Telegram zeigten etwa die von Flammen erheblich beschädigte Stadtverwaltung. Sie war am Mittwoch neben anderen öffentlichen Gebäuden gestürmt worden. Das Internet-Portal Vlast berichtete, dass viele Supermärkte und Geschäfte geplündert worden seien, auch der Laden eines Waffenhändlers. Zudem seien viele Geldautomaten gesprengt worden. „In der Stadt riecht es stark nach Feuer.“

Soldaten auf den Straßen von Almaty
Soldaten auf den Straßen von Almaty

© Reuters/Mariya Gordeyeva

Nach Angaben der Polizei wurden allein in Almaty etwa 2000 Menschen festgenommen. Die Festnahmen dauerten an, hieß es.

Videos aus der Hauptstadt Nur-Sultan zeigten dagegen einen normalen Alltag. Vor einigen Geldautomaten bildeten sich lange Warteschlangen. Die Banken stellten vorübergehend ihre Arbeit ein. Mehrere Flughäfen des Landes waren geschlossen. Am Mittwoch hatte Präsident Tokajew die Regierung entlassen.

Die Regierung versuchte indes mit Preisobergrenzen die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. Für die kommenden 180 Tage solle dies für Benzin, Diesel und Flüssiggas gelten, hieß es. Zudem wurden die Winterferien an Schulen bis zum 17. Januar verlängert. (dpa/AFP)

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