zum Hauptinhalt
Empörte Union: Die Fraktionsführung mit Friedrich Merz, Thorsten Frei und Alexander Dobrindt (erste Reihe).

© imago/Christian Spicker / Imago/Christian Spicker

Gesetze im Hopplahopp-Modus: Union kritisiert „unsägliches Verhalten“ der Ampel

In Bundestag und Bundesrat wächst der Unmut: Der Koalition fehle der Respekt vor parlamentarischen Verfahren. CDU und CSU erwägen eine verfassungsrechtliche Prüfung.

In der Opposition im Bundestag und im Bundesrat nimmt der Unmut über die Ampel-Koalition und den Zeitdruck zu, den sie bei Gesetzesverfahren ausübt. „Wenn sich der Umgang der Koalition mit dem Parlament nicht grundlegend ändert, müsste dieses unsägliche Verhalten einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen werden“, sagte Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Fraktion, dem Tagesspiegel.

Der aktuelle Anlass ist die Novellierung des Raumordnungsgesetzes, das am Freitag binnen eines Tages durch Bundestag und Bundesrat gebracht wurde. In diesem Vorhaben brachte die Regierungskoalition sehr kurzfristig auch die Umsetzung der EU-Notfallverordnung unter. Man nennt eine solche Verkoppelung von Gesetzesvorhaben auch „Omnibus-Verfahren“ – in diesem Fall wurde aus dem Huckepack ein Hopplahopp.

Mit der Notfallverordnung ermöglichte die EU-Kommission Mitte Dezember den beschleunigten Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen. Erst sechs Wochen später beschloss das Bundeskabinett dazu eine ausführliche „Formulierungshilfe“ für die Koalitionsfraktionen, um das Vorhaben über einen Gesetzesantrag im Bundestag (und nicht einen Kabinettsentwurf) einzubringen. Das bedeutet, dass der erste Durchgang im Bundesrat (und damit das übliche Ausschussverfahren dort) entfiel.

Beratung ohne Gesetzestext

Am vorigen Mittwoch erst wurde der Gesetzestext zur EU-Notfallverordnung im Bundestag an das Raumordnungsgesetz angehängt. Die Federführung lag beim Wohnungs- und Bauausschuss (wegen der Raumordnung), mitberatend war der Ausschuss für Klimaschutz und Energie (wegen der EU-Verordnung). Dessen Vorsitzender Klaus Ernst (Linke) protestierte am Dienstag in einem Brief an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), der Text des Gesetzes liege weder dem einen noch dem anderen Ausschuss zu den jeweiligen Sitzungen am Mittwoch vor.

Die Unions-Fraktion hatte zu dem gesamten Verfahren eine öffentliche Sachverständigen-Anhörung beantragt. Das hätte unter normalen Umständen zu einer Verzögerung geführt. Die Ampel-Fraktionen beschlossen dann, die Anhörung auf den Mittwochnachmittag anzusetzen – mit einem „Vorlauf von vier Stunden“, wie Frei in einem weiteren Brief an Bas empört feststellte.

Er sprach darin von „Arroganz“ der Ampel-Seite und stellte fest: „Die Ausübung eines Minderheitenrechts verkam somit zur Simulation.“ Ernst hatte zuvor geschrieben, er habe in seiner langjährigen Mitgliedschaft im Parlament „einen solchen respektlosen Umgang mit dem Parlament noch nicht erlebt“.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ist als Hüterin der parlamentarischen Verfahren und der Würde des Hauses gefordert

Thorsten Frei, CDU-Politiker

Frei sieht nun zuerst die „Bundestagspräsidentin als Hüterin der parlamentarischen Verfahren und der Würde des Hauses gefordert“. Bas müsse die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen „endlich zur Ordnung rufen“. Tatsächlich ermahnte die Bundestagspräsidentin am Freitag die Bundesregierung und die Fraktionsvorsitzenden der Ampel-Parteien in einem Schreiben, den Abgeordneten mehr Zeit für Beratungen und Anhörungen zu neuen Gesetzesvorhaben zu geben.

Was bei der Umsetzung der EU-Notfallverordnung zu erleben gewesen sei, nannte Frei einen „neuen Tiefpunkt in der fortlaufenden Missachtung des Parlaments durch die Ampel“. Die Koalition habe einen neuen Politikstil angekündigt. „Was sie liefert, sind Streit, Chaos und Regelbrüche. So geht es nicht weiter“, sagte Frei dem Tagesspiegel.

In zweiter und dritter Lesung wurde das Omnibus-Gesetz im Bundestag dann am Freitagmorgen verabschiedet. Der Bundesrat war zuvor gebeten worden, es ebenfalls an diesem Tag zu beraten und zu beschließen. Auch in der Länderkammer gab es somit kein reguläres Verfahren. Nichts Neues – schon seit Monaten stößt das Gesetzgebungsverhalten der Ampel dort länderübergreifend auf Befremden und Ärger.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Freitag im Bundesrat.

© dpa/Wolfgang Kumm

Immer mehr Vorlagen, ob nun Gesetze oder Verordnungen, werden mit der Bitte um Fristverkürzung zugeleitet. Das bedeutet, die Länder sollen auf ihr Recht zur gründlichen Prüfung der Entwürfe in den Bundesratsausschüssen verzichten. Normalerweise dauert die Ausschussphase im Bundesrat sechs Wochen, über die Verkürzungsbitten wird diese Frist meist halbiert.

Immer öfter wird die Frist verkürzt

Nach Informationen des Tagesspiegels waren im vorigen Jahr, dem ersten Jahr der Ampel-Koalition, 44 Prozent der Zuleitungen mit solchen Fristverkürzungsbitten versehen. So viele wie nie zuvor. Schon die „Groko“ hatte nach 2017 die Quote deutlich erhöht – in deren vier letzten Regierungsjahren lag der Anteil eilbedürftiger Gesetze zwischen 19 und 27 Prozent.

Davor waren es noch deutlich weniger. Von 2010 bis 2016 war nur ein Zehntel der Zuleitungen mit der Bitte um ein schnelles Verfahren versehen. Zwei Drittel der Fristverkürzungsbitten kamen aus dem Bundestag.

Die Vervierfachung im Vorjahr hatte die Vorsitzende der Bundesratsbevollmächtigten, Lucia Puttrich aus Hessen, schon im Dezember bewogen, mal einen Brief an die Verantwortlichen im Bund zu schreiben – mit Unterstützung aus allen Ländern. Man habe ja Verständnis, schrieb die CDU-Politikerin, dass in Zeiten großer Herausforderungen dringliche Vorhaben beschleunigt ablaufen müssten. Aber auch dann seien die „verfassungsmäßigen Rechte des Bundesrats zu wahren“, weshalb Regierung und Ampel-Fraktionen doch die Eilbedürftigkeit auf „absolut notwendige Fälle“ beschränken möchten.

Brief aus dem Kanzleramt

Was man darunter verstehen kann, zeigte sich auch in der abgelaufenen Woche. Am Mittwoch trudelte ein Brief aus dem Kanzleramt im Bundesrat ein. Die Staatsministerin Sarah Ryglewski (SPD) hatte eine dringende Bitte: Man solle ganz schnell noch einen neuen Punkt auf die Tagesordnung am Freitag setzen. Und zwar zur Vierten Verordnung zur Änderung der Anlage des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes.

Der Grund: Bei der Dritten Verordnung war dem Gesundheitsministerium ein „Interpunktionsfehler“ unterlaufen. Und nun bestand die Gefahr, dass „bestimmte LSD-Derivate“ vom Gesetz nicht mehr erfasst seien. Will heißen: Es war fraglich, ob sie als gefährliche Drogen eingestuft sind. Die Kleinigkeit wurde dann am Freitag als letzter TOP in der Länderkammer bereinigt. Das Vorkommnis wurde in der Länderkammer in die Rubrik „wachsende Fehleranfälligkeit“ aufgrund wachsender Eilbedürftigkeit eingereiht. Die Dritte Verordnung war auch schon im Hopplahopp-Verfahren verabschiedet worden.

Immerhin: Im Bundestag entschuldigte sich der SPD-Abgeordnete Bernhard Daldrup am Freitag für das Vorgehen der Koalition. Und auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fand im Bundesrat Worte des Bedauerns.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false