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EU-Bericht: Georgien begann Krieg, Russland verletzte Völkerrecht

Über ein Jahr nach dem Krieg in Georgien hat eine internationale Untersuchungskommission sowohl Tiflis als auch Moskau die Schuld für den Krieg zugeschrieben.

Berlin - Über ein Jahr nach dem Krieg in Georgien hat eine internationale Untersuchungskommission sowohl Tiflis als auch Moskau die Schuld für den Krieg zugeschrieben. „Beide Seiten tragen ihren Teil der Verantwortung“, sagte die Leiterin der von der EU beauftragten Untersuchungskommisssion, Heidi Tagliavini, der Schweizer Zeitung „Le Temps“. Dem am Mittwoch in Brüssel vorgelegten Bericht der Kommission zufolge war es Georgien, das den Krieg in der Nacht vom 7. auf den 8. August 2008 mit einem Artillerieangriff auf das südossetische Zchinwali begonnen hatte. Dies sei mit dem Völkerrecht nicht vereinbar gewesen. Damit widerlegt der Bericht die Behauptung des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, mit dem Angriff auf einen Einmarsch russischer Truppen in Südossetien reagiert und somit in Notwehr gehandelt zu haben.

Doch auch Russland hat nach Ansicht der Expertengruppe aktiv zur Eskalation beigetragen und ist für den Ausbruch des Krieges mitverantwortlich. Dass Moskau in Südossetien und Abchasien russische Pässe ausgeben ließ, sei eine „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Georgiens“ und eine „offene Infragestellung der georgischen Souveränität“. Mit dem späteren Einmarsch russischer Truppen tief ins georgische Kernland hinein verstieß Moskau nach dem Urteil der Experten gegen das Völkerrecht, zudem habe Russland generell unverhältnismäßig reagiert. Ebenso kritisierte die Kommission die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens als völkerrechtswidrig.

Die Schweizer Diplomatin Tagliavini stellte ihren 900-seitigen Bericht den EU-Botschaftern sowie Vertretern Russlands, Georgiens, der UN und der OSZE vor. Die EU-Kommission begrüßte das Papier, sah aber von einer inhaltlichen Stellungnahme ab. Eine Aussprache über die Ergebnisse der Untersuchung gab es im Kreis der Botschafter nicht, und Tagliavini trat nicht öffentlich auf. Diese ungewöhnlich zurückhaltende Präsentation der Ergebnisse wurde in Brüssel mit „diplomatischen Erwägungen und Sicherheitsgründen“ erklärt. Die EU-Beobachter in Georgien hatten vor der Veröffentlichung ihre Patrouillen an den „Grenzen“ zu den georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien verstärkt.

Der russische EU-Botschafter Wladimir Tschischow begrüßte das Papier. „Der Bericht ist im Großen und Ganzen objektiv, darin ist die Schlussfolgerung enthalten, dass Georgien mit der Aggression gegen Südossetien begonnen hat“, sagte er. Georgiens EU-Botschafterin Salome Samadaschwili sagte hingegen, sie entnehme dem Bericht, „dass Russland unter Verletzung internationalen Rechts in Georgien einmarschiert ist“.

Nach Ansicht der Kommission wäre der Konflikt vermeidbar gewesen: Andernorts seien ähnliche Probleme friedlich gelöst worden. „Die Art und Weise, in der die Probleme angegangen und manchmal ausgenutzt wurden, hat den Weg für die bewaffnete Konfrontation bereitet“, heißt es in dem Bericht. Der internationalen Gemeinschaft werfen die Experten Versagen vor. Sie habe nicht schnell und entschlossen genug gehandelt, um die Spannungen vor Ausbruch des Krieges unter Kontrolle zu bringen.

In dem fünftägigen Krieg starben dem Bericht zufolge etwa 850 Menschen, mehr als 100 000 Zivilisten mussten fliehen. Heute sei die politische Situation schwieriger als zuvor und die Lage so angespannt, dass jeder Zwischenfall ernste Konsequenzen haben könnte. Die Beziehungen zwischen Georgien und Russland sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Die Bilanz der Untersuchungskommission: „In diesem Konflikt gibt es keine Sieger.“

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