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Kontaktverbot beachtet. Alle zwei Meter ein Demonstrant, so wurde am Sonntag in Tel Aviv protestiert.

© Corinna Kern/Reuters

Proteste in Israel: Geordnet gegen die Regierung

In Israel formiert sich eine Protestbewegung. Sie fürchtet, die Demokratie könnte in Coronazeiten leiden. Am Sonntag war sie auf der Straße - mit Abstand.

Der Rabin-Platz im Herzen Tel Avivs hat viele Demonstrationen gesehen, linke, rechte, fröhliche, wütende – doch noch nie einen derart sortierten Protest wie am Sonntagabend. 2000 Menschen versammelten sich, um gegen aus ihrer Sicht undemokratische Maßnahmen der Regierung zu protestieren.

Wegen der Kontaktverbote zur Eindämmung des Coronavirus mussten die Teilnehmer einen Abstand von zwei Metern einhalten. Zu diesem Zweck hatten die Organisatoren erlaubte Stehpositionen mit Kreidekreuzen auf dem Boden markiert, an die die Demonstranten sich so vorbildlich hielten, dass es auf Luftaufnahmen wirkt, als hätte jemand ein großes Netz mit quadratförmigen Maschen über den Platz geworfen.

Organisiert hatte den Protest die sogenannte „Schwarze-Flaggen-Bewegung“, die sich dem Kampf gegen demokratiefeindliche Bestrebungen verschrieben hat. Im März hatte sie mit einem Autokorso gegen Überwachungsmaßnahmen demonstriert.

Die Proteste richten sich vor allem gegen Premier Netanjahu

Kurz zuvor hatte die Regierung dem Inlandsgeheimdienst Shin Bet den Einsatz von Tracking-Technologien gestattet, um Kontaktpersonen von Corona-Patienten zu ermitteln. Tage später organisierten mehrere Nichtregierungsorganisationen einen Online-Protest mit prominenten Sprechern gegen den Versuch der Regierung, mit Verweis auf das Virus den Betrieb des Parlaments einzustellen. Die Veranstaltung, live übertragen auf Facebook, lockte 600.000 Zuschauer an.

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Die Demonstration am Sonntag richtete sich gegen das angebliche Bestreben des Premiers Benjamin Netanjahu, unter dem Vorwand der Covid-19-Krise demokratische Kontrollfunktionen auszuschalten. Seit mehr als einem Jahr steht Netanjahu einer Interimsregierung vor, was die weitreichenden Beschlüsse zur Pandemiebekämpfung in den Augen seiner Gegner umso problematischer erscheinen lässt.

Soll der Rechtsstaat ausgehebelt werden?

Zwar hatte sich Netanjahus Herausforderer, der frühere Armeechef Benny Gantz, Ende März zu Koalitionsverhandlungen bereit erklärt und dafür einen Teil seiner Blau-Weiß-Partei geopfert

Doch die Gespräche stocken, auch wegen der Forderung Netanjahus nach mehr Einfluss auf die Ernennung von Richtern – für seine Gegner ein weiterer Beweis für dessen Versuch, die Regeln des Rechtsstaats zu biegen, zumal der Premier wegen Verdachts auf Betrug, Untreue und Bestechlichkeit unter Anklage steht.

Verändert sich das Land grundlegend? Das befürchten die Demonstranten in Tel Aviv.

© Corinna Kern/Reuters

Mehrere Oppositionspolitiker schlossen sich dem Protest am Sonntag an, darunter Yair Lapid, der seinen früheren Mitstreiter Gantz scharf attackierte. „Diejenigen, die Blau-Weiß zerbrochen und uns betrogen haben, werden Teil einer Regierung sein, die von einem mutmaßlichen Betrüger angeführt wird“, rief Lapid.

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Neben ihm trat der frühere Armeechef Moshe Ya’alon auf, der ebenfalls bis vor Kurzem Blau-Weiß angehört hatte. „Es ist klar, dass Netanjahu sich nicht für das Virus interessiert“, wetterte er, „sondern für seine Flucht von der Anklagebank.“ Ya’alon hatte einst unter Netanjahu als Verteidigungsminister gedient.

Die arabische Minderheit will mehr politische Teilhabe

Keineswegs selbstverständlich war es, dass auch Ayman Odeh auftrat, Vorsitzender der Arabischen Liste. „Es ist nicht leicht für mich, hier zu stehen“, sagte Odeh. „Aber wir müssen den wichtigsten Punkt sehen: Nur mit einem gemeinsamen jüdisch-arabischen Kampf können wir Erfolg haben.“ Sozialwissenschaftler beobachten seit einer Weile, dass die arabische Minderheit, ein Fünftel der Bevölkerung, an stärkerer politischer Teilhabe interessiert ist.

Mareike Enghusen

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