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Justizvollzugsbeamter in Sachsen, Archivbild.

© Imago/xcitepress

Gefängniswärter an Neonazi-Randale beteiligt: Druck auf Sachsens Justizminister Gemkow wächst

Ein sächsischer Justizbeamter war im Januar beim „Sturm auf Connewitz“ dabei. Er tat Dienst in der JVA Leipzig, während dort Rechtsextremisten einsaßen.

Von Matthias Meisner

Der sächsische Justizvollzugsbeamte Kersten H. war am 11. Januar 2016 beim "Sturm auf Connewitz" - dem Überfall von mehr als 200 Neonazis auf den linksalternativen Leipziger Stadtteil - beteiligt. Er tat bis zu seiner Suspendierung im Januar 2019 Dienst in der Leipziger Justizvollzugsanstalt (JVA), während dort ein verurteiltes Mitglied der rechtsterroristischen "Gruppe Freital" und ein Rechtsextremist der "Freien Kameradschaft Dresden" (FKD) einsaßen.

Das teilte das vom CDU-Politiker Sebastian Gemkow geführte sächsische Justizministerium mit und bestätigte damit in zentralen Punkten Recherchen des Leipziger Stadtmagazins "Kreuzer" und des Tagesspiegels.

Das Justizministerium erklärte auf Anfrage, Philipp W. - einer von acht wegen rechten Terrors und versuchten Mordes rechtskräftig verurteilten Mitglieder der "Gruppe Freital" - sei auf Station 2 der JVA Leipzig untergebracht gewesen. Zwar heißt es: "Herr H. war ausweislich des Dienstplans der JVA Leipzig nicht auf der Station 2 eingesetzt. Er war der Station 4 zugeordnet."

Zugleich werden Kontakte von H. zu W. jedoch für möglich gehalten: "Kurzzeitiges Tätigwerden im Rahmen seiner Dienstaufgaben auf der Station 2 ist jedoch nicht ausgeschlossen", heißt es in der Ministeriumsantwort.

Ein ehemaliger Insasse der JVA hatte dem Tagesspiegel berichtet, er habe den Rechtsterroristen Philipp W. und den Gefängniswärter Kersten H. häufig zusammen gesehen. W. habe als sogenannter "Hausarbeiter" auf Station zwei der JVA gearbeitet, sei dort unter anderem für die Essensverteilung zuständig gewesen.

Entsprechend habe er viel Kontakt mit den Justizvollzugsbeamten gehabt, berichtet der ehemalige Häftling. Zur Frage nach einer "Hausarbeiter"-Tätigkeit von W. wiegelt ein Ministeriumssprecher ab: "Ich bitte um Verständnis, dass wir aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes keine Auskünfte zu Tätigkeiten namentlich benannter Gefangener geben können."

Sebastian Gemkow (CDU) ist seit 2014 Justizminister in Sachsen.
Sebastian Gemkow (CDU) ist seit 2014 Justizminister in Sachsen.

© Frank Dehlis/AFP

Zeitgleich mit der Dienst-Tätigkeit von Kersten H. als Gefängniswärter saß dem Justizministerium zufolge auch ein Mitglied der rechtsextremistischen Gruppe FKD in der JVA Leipzig ein, Franz R. Auch dieser sei allerdings nicht auf Station 4 - dem grundsätzlichen Dienstort von Kersten H. - untergebracht gewesen, sondern auf einer anderen Station, so das Ministerium.

Handy illegal in der Zelle eines Rechtsextremisten

Franz R. sei später in die Justizvollzugsanstalt Görlitz verlegt worden, nachdem bei ihm ein illegal ins Gefängnis gebrachtes Mobiltelefon gefunden wurde. "Die Verlegung wurde vom Gericht aus Gründen der Mittätertrennung verfügt", erklärt die Behörde dazu. Wie das Handy in die Zelle gekommen ist, sei der Justizvollzugsanstalt nicht bekannt, erläutert ein Ministeriumssprecher.

Die FKD, eine von 20 bis 30 Rechtsextremisten 2015 gegründete Gruppe, war in wechselnder Zusammensetzung unter anderem an den Ausschreitungen gegen Flüchtlinge im August 2015 in Heidenau sowie im Januar 2016 am "Sturm auf Connewitz" beteiligt.

Auf die Frage nach einem Häftling der rechtsterroristischen Oldschool Society, (OSS), Markus W., erklärt das Ministerium, dieser sei nicht mehr in der JVA Leipzig inhaftiert gewesen, als H. dort seinen Dienst aufgenommen habe. Kontakte zwischen dem Gefängniswärter und dem Rechtsterroristen Markus W. gab es demnach in der JVA Leipzig nicht.

Justizminister Gemkow wusste von Liste mit Connewitz-Tätern

Der "Sturm auf Connewitz" am 11. Januar 2016 nach einem Aufmarsch des Pegida-Ablegers Legida war einer der größten organisierten Angriffe von Hooligans und Neonazis der vergangenen Jahrzehnte. Die Beteiligung eines Justizbeamten und der Umgang mit diesem Skandal bringt Sachsens Justizminister Gemkow erheblich unter Druck.

Der Minister hatte im Februar 2017 in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage im Landtag bestätigt, dass ihm bekannt sei, dass die Namen von 215 im Zusammenhang mit den rechtsradikalen Ausschreitungen Beschuldigten im Dezember 2016 im Internet und auf Plakaten im Leipziger Stadtgebiet veröffentlicht wurden. Auch der Name Kersten H. stand auf dieser Liste, suspendiert wurde der Beamte aber erst im Januar 2019.

Am 7. März 2018 - auf den Tag ein Jahr nach Prozessbeginn - wurden im Prozess gegen die rechtsterroristische "Gruppe Freital" in Dresden die Urteile gesprochen.
Am 7. März 2018 - auf den Tag ein Jahr nach Prozessbeginn - wurden im Prozess gegen die rechtsterroristische "Gruppe Freital" in Dresden die Urteile gesprochen.

© Sebastian Kahnert/dpa

Das Justizministerium erklärte dazu, die Liste mit Namen mutmaßlicher Täter vom 11. Januar 2016 habe Gemkow bei der vertretungsweisen Unterzeichnung der Antwort auf eine Kleine Anfrage im Februar 2017 nicht vorgelegen. Das Justizministerium - wie auch alle anderen Behörden - könne nicht "aufgrund ungesicherter Erkenntnisse einer im Internet kursierenden Liste ohne konkrete Hinweise auf die Beteiligung von Staatsbediensteten disziplinarische Maßnahmen ergreifen". Nach Angaben des Ministeriums hat Kersten H. im Ermittlungsverfahren falsche Angaben zu seinem Beruf gemacht. Deshalb sei den Ermittlungsbehörden erst im Dezember 2018 bekannt geworden, dass er Justizvollzugsbeamter ist. Die Liste war vermutlich aus Ermittlungsakten geleakt worden.

Ministerium will konsequent und zügig agiert haben

Das Justizministerium gehe "konsequent und zügig auch disziplinarrechtlich" gegen Bedienstete vor, wenn es Kenntnisse von strafbarem, insbesondere extremistischem Verhalten von Bediensteten bekomme, versicherte ein Sprecher. 2018 seien Suspendierungen von Beamten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Haftbefehls im Fall des Chemnitzer Tötungsdelikts sowie mutmaßlichen Übergriffen auf ausländische Gefangene erfolgt.

Grüne und Linke im sächsischen Landtag hatten sich wegen der Beteiligung eines Justizbeamten am "Sturm auf Connewitz" alarmiert und besorgt gezeigt. Die Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel sagte: "Geduldet durch das Justizministerium können rechte Netzwerke im Knast ungebrochen weiter interagieren." Sie sprach von einer Verstrickung des Staatsapparats in rechte Netzwerke, das Justizministerium sei offensichtlich auf dem rechten Auge blind.

Die Jenaer Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk, die im "Gruppe Freital"-Prozess die Nebenklage vertrat, sagte dem Tagesspiegel: "Die neuen Enthüllungen machen nochmals klar, dass militante Rechte auch nach ihrer Verurteilung auf gute Strukturen innerhalb der Behörden zurückgreifen können." Im Strafvollzug stehe den Verurteilten "ein Netz aus Kameraden zur Verfügung – ganz gleich auf welcher Seite der Zellentür", sagt sie.

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