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Der Hauptbeschuldigte im Freiburger Missbrauchsprozess wird von Justizbediensteten in den Gerichtssaal gebracht.

© dpa

Kinderschänderprozess in Freiburg: Freiheit nicht ohne Recht und Sicherheit

Der Kampf gegen Kinderschänder berührt an einem Punkt auch etwas Allgemeines: nämlich den vieldiskutierten Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Peter von Becker

Der Freiburger Strafprozess gegen den Mann, der einen kleinen Jungen jahrelang vergewaltigt, und gegen die Mutter, die dabei mitgemacht und mit dem Mann zusammen im badischen Staufen ihr Kind zum sexuellen Missbrauch auch anderen Männern gegen Geld im Internet angeboten hat, dieser Fall verschlägt einem schier die Sprache. So ungeheuerlich erscheinen die dort eingestandenen Grausamkeiten, Gemeinheiten, Ekeltaten.

Natürlich gibt es einmal mehr die Frage nach möglichen Versäumnissen von Behörden, von Jugendämtern oder Bewährungshelfern, zumal der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs bereits vorbestraft war. Doch diese konkrete Aufarbeitung vergangener Mängel heilt im Nachhinein nicht das Martyrium des vielfach körperlich und seelisch gefolterten Kindes. Auch führt die Debatte, ob die bei Kindesmissbrauch zumeist unterstellte Pädophilie überhaupt therapierbar sei und ob es sich, wie neurobiologische Studien annehmen, um eine kaum reversible genetische Disposition handle, in den Fällen manifester sexueller Gewalt gegenüber Kindern nicht unmittelbar weiter. Sexuelle Neigungen auch der bizarrsten Art sind erstens verbreitet und zweitens nicht strafbar, solange sie nicht anderen Menschen aufgezwungen und vor allem nicht von Erwachsenen mit Minderjährigen praktiziert werden.

Große Künstler und Schriftsteller haben sich an Kinderkörpern entzückt, und in der „Frankfurter Allgemeinen“ war gestern zu lesen, dass Forscher die Anzahl von Pädophilen in Deutschland auf „ein Prozent der männlichen Bevölkerung“ schätzen. Nimmt man die geringer angenommene Zahl pädophiler Frauen hinzu, wären das bis zu einer halben Million Menschen. Doch nur eine Minderheit wird straffällig. Und Gewalt, Folter, Zwangsprostitution, zumal mit Kindern als Opfer, sind für jedweden Täter unentschuldbare Verbrechen.

Umso erschreckender, wenngleich nicht überraschend, ist der vergangene Woche vorgestellte Bericht der Bundesregierung zum sexuellen Kindesmissbrauch in Deutschland. Mehr als 12 000 Fälle wurden während eines Jahres angezeigt, und die Dunkelziffer gilt um ein Vielfaches höher, weil sich die Taten meist innerhalb von Familien ereignen und Kinder schon aus Scham oder Hilflosigkeit sich selten offenbaren.

Der Argwohn vor dem "Big Brother"-Staat ist inzwischen auch fragwürdig

Aufklärung und Achtsamkeit sind da gefragt. Aber es gibt noch eine andere Dimension. Der Missbrauch wird verstärkt im Netz. Immer wieder fliegen Kinderschänderringe auf, die durchs Internet verbunden mit ihren gefilmten Untaten international handeln. Was dabei in Millionen digitalen Dateien des Schreckens steckt, ist nicht (nur) virtuell. Sondern bis hin zu Sexualmorden an Kleinkindern Teil des weltweiten organisierten Verbrechens. Wie der Handel mit Drogen, Gewaltpornographie, Zwangsprostituierten. Wichtiger Umschlagplatz ist dabei das Darknet, dessen sich auch die so prekär wirkenden Angeklagten aus Staufen strategisch sehr professionell bedient haben.

Johannes-Wilhelm Rörig, der Missbrauchsbeauftragte (was für eine Bezeichnung!) der Bundesregierung, hat zu dem jüngsten Bericht angemerkt: Angesichts der wachsenden Bedeutung des verschlüsselten Darknets plädiere er zur Stärkung der polizeilichen Ermittlungen für robustere Fahndungstaktiken – und generell für die bislang so umstrittene Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen und Netzverbindungen.

Der Punkt berührt etwas Allgemeines: den vieldiskutierten Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit. Lange galt das Internet als ein gegenüber staatlichen Regulationen unbedingt zu verteidigender Freiraum. Und angesichts der Firewalls zur digitalen Zensur in Ländern wie China oder Russland, wird selbst das Darknet von manchen noch als Sphäre der weniger überwachten, beispielsweise für Whistleblower zu schützenden Kommunikation angesehen.

Einerseits verständlich. Aber wie der Argwohn gegenüber dem „Big Brother“-Staat inzwischen auch fragwürdig. Denn bei uns drohen Gefahren für die individuelle informationelle Freiheit weniger vom Bruder Staat als aus der kommerziellen Welt von Big Data, in der wir unsere Privatheit im digitalen Alltag längst preisgeben.

Kriminalitätsbekämpfung ohne neue Technologien geht heute nicht. Und lächerlich wirkt, verglichen mit Peking, Moskau oder auch London, der Windmühlenkampf etwa des Berliner Senats gegen die Videoüberwachung an gefährlichen Orten. Viele Menschen fühlen sich nur unfrei, weil sie sich dort unbewacht unsicher fühlen.

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