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Menschen vor Arbeitsamt

© AFP

Euro-Krise: Französischer Finanzpolitiker rechnet mit Schuldenschnitt für Athen

In Frankreich ist derzeit kein Wahlkampf. Deshalb kann der Chef des Finanzausschusses der französischen Nationalversammlung offen aussprechen, was viele Experten denken: Ein zweiter Schuldenschnitt für Griechenland ist sehr wahrscheinlich.

Weder für die Union noch für die SPD taugt die Frage eines Schuldenschnitts für Griechenland zu einem echten Wahlkampfrenner. Dabei ist das Thema brisant – ein neuerlicher Schuldenerlass für Athen würde bedeuten, dass erstmals auch deutsche Steuerzahler im großen Stil die Zeche für die Griechenland-Rettung zahlen müssten. Entspannter sieht man die Frage in Frankreich: Nach der Ansicht des Vorsitzenden des Finanzausschusses der französischen Nationalversammung, des konservativen Politikers Gilles Carrez, ist ein Schuldenschnitt für Griechenland mittelfristig unumgänglich.

Am vergangenen Wochenende hatte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mangelndes politisches Fingerspitzengefühl bewiesen, als er bei einer Matinee des Tagesspiegels als Begründung für seine Behauptung, Merkel fehle es an Leidenschaft in der Europapolitik, die DDR-Sozialisation der Kanzlerin heranzog. Daneben ging es Steinbrück allerdings noch um etwas anderes: Der Kanzlerkandidat erklärte, Merkel verschweige den Wählern, dass die Euro-Zone längst zu einer Haftungsgemeinschaft geworden sei. Merkel werde „alles vermeiden“ vor der Bundestagswahl, „um auch nur eine Ahnung entstehen zu lassen, dass wir selbstverständlich zahlen“, sagte er.

Auch Steinbrück ist vorsichtig

Was Steinbrück unter einer europäischen Haftungsgemeinschaft versteht, hat er in der Vergangenheit zumindest angedeutet. Im vergangenen September sagte er, ein drittes Hilfspaket für Griechenland sei möglich. Im Bundestag erklärte er im Oktober, Deutschland werde mit Blick auf Griechenland „weitere Verpflichtungen übernehmen müssen“. Vorsichtig äußerte sich Steinbrück in jüngster Vergangenheit allerdings, was die Frage eines Schuldenschnitts für Athen anbelangt. Die „Wirtschaftswoche“ zitierte ihn im Juli mit den Worten, mit einem Schuldenschnitt würde „das Tabu, es gäbe keine Haftungsunion, wie eine Seifenblase platzen“. Dem „Wall Street Journal Deutschland“ sagte er anschließend, er sei „sehr skeptisch“ gegenüber einem neuen Schuldenschnitt für Griechenland, weil dies zu Verlusten für europäische Steuerzahler führen und Privatinvestoren davon abhalten könnte, den Hellenen künftig noch Geld zu leihen. Zuvor hatten bereits Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen zweiten Schuldenschnitt für Griechenland ausgeschlossen.

Aus gutem Grund: Nachdem der Schuldenschnitt für Athen im März 2012 vor allem Banken, Fonds und Versicherungen getroffen hatte, dürfte ein weiterer Erlass diesmal von den öffentlichen Gläubigern der Partner Griechenlands in der Euro-Zone getragen werden - also am Ende auch von den Steuerzahlern.

Ganz andere Töne kommen unterdessen aus Frankreich: „Die Last ist so groß, dass irgendwann ein Schuldenschnitt für Griechenland unvermeidlich sein wird“, sagte der Vorsitzende des Finanzausschusses der französischen Nationalversammlung, der konservative Politiker Gilles Carrez, dem Tagesspiegel. Er sei „sehr skeptisch, ob es Griechenland gelingt, eine Schuldenlast zu tragen, die auch im besten Fall im Jahr 2020 bei über 120 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen dürfte“, sagte Carrez zur Begründung. Er geht allerdings davon aus, dass ein solcher Schuldenschnitt nicht innerhalb der nächsten zwölf Monate stattfinden dürfte. Griechenland habe in der jüngeren Vergangenheit große Reformanstrengungen unternommen, sagte der Finanzpolitiker. Anschließend sei eine Pause nötig, in der die finanzielle Gesamtsituation Griechenlands neu bewertet werde müsse. Carrez schlug vor, in zwei oder drei Jahren eine solche Neubewertung vorzunehmen. Wenn es allerdings bereits vor dem Ende dieses Jahres zu einem Schuldenschnitt komme, „wird das Fieber in der der Euro-Zone wieder steigen“, warnte der Politiker der Oppositionspartei UMP.

Redner im Parlament
Gilles Carrez

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Die EU-Kommission erwartet, dass die Gesamtverschuldung Griechenlands im kommenden Jahr immer noch 175 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) betragen wird. Der Internationale Währungsfonds betrachtet einen Schuldenstand in Höhe von 120 Prozent des BIP als Limit für die Schuldentragfähigkeit und setzt sich daher schon seit längerem zugunsten eines weiteren Schuldenerlasses für Athen ein. Dagegen hatte der griechische Finanzminister Giannis Stournaras in der vergangenen Woche in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters erklärt, er habe andere Vorstellungen als einen Schuldenschnitt. Giannis setzt darauf, dass im Athener Budget in diesem Jahr erstmals seit einem Jahrzehnt ein Primärüberschuss – hier wird der Schuldendienst herausgerechnet – ausgewiesen wird.

Viele Experten gehen dennoch davon aus, dass Athen über kurz oder lang um einen Schuldenschnitt nicht herumkommen wird. Henning Klodt, der Leiter des Zentrums Wirtschaftspolitik am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, hält zwar eine solche Maßnahme keineswegs für „die Wunderwaffe“, weil Griechenland neben weiteren Finanzhilfen vor allem Strukturreformen benötige. Aber er ist trotzdem überzeugt: „Der Schuldenschnitt wird kommen.“

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