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Zuhören ist ihre Stärke: Familienministerin Franziska Giffey (SPD) bei einer Gesprächsrunde im Restaurant "Aktivist" in Eisenhüttenstadt.

© imago images / photothek

Franziska Giffeys politische Zukunft: „Ich bin ja nicht weg“

Die Familienministerin will nicht SPD-Vorsitzende werden. Aber die SPD hat noch Pläne mit ihr. Szenen einer Sommertour.

Von Hans Monath

Jetzt strecken sie ihr schon ein Baby entgegen. Klara-Marie heißt das kleine Mädchen mit der rosa-farbenen Jacke, dessen Eltern Franziska Giffey vor dem Mehrgenerationen-Haus in Riesa in Sachsen mit ihrem Neugeborenen begrüßen. Der Familienministerin vertrauen sie – und würden ihr wohl auch das Kind anvertrauen. Dann zieht die SPD-Politikerin mit ihrem Tross weiter, hört sich zwei leicht schräge Begrüßungslieder einer Kindergartengruppe an, geht dann in die Hocke und flötet einem Mädchen mit weißem Kleid und roter Blume im Haar entgegen: „Ich bin die Franziska, hallo!“

Die Familienministerin ist auf Sommertour – und die beginnt in Brandenburg und Sachsen, zwei Ländern, in denen ihrer Partei laut Umfragen am 1. September desaströse Verluste drohen. In Brandenburg, wo die Sozialdemokraten jahrzehntelang den Ministerpräsidenten stellten, sehen manche Institute sie nach AfD und CDU nur noch auf dem dritten Platz. Und in Sachsen, wo sie auch mitregieren, könnten sie einstellig werden.

Doch die in Brandenburg geborene und aufgewachsene Giffey scheint das nicht anzufechten – im Gegenteil. Die grund-gutgelaunte Ministerin hält es ohnehin schon Zeit ihres Lebens mit dem Karl-Valentin-Motto: „Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“ Und seitdem sie wegen des ungewissen Urteils der Freien Universität Berlin über ihre Doktorarbeit, die unter Plagiatsverdacht steht, auf eine Kandidatur für den SPD-Vorsitz verzichtet hat, scheint die 41-Jährige noch gelöster zu sein und innerlich freier zu agieren als vorher. Klargestellt hat sie auch: Wird ihr der Titel aberkannt, gibt sie auch das Ministeramt auf.

„Mir ist bewusst, dass es eine Erwartungshaltung an mich gibt“

Die Berliner SPD-Politikerin wurde in Umfragen zum Wunsch-SPD-Chef ganz vorne gehandelt. Dass sie mit ihrer Entscheidung viele enttäuscht hat, viele in der SPD, und erst recht viele in den neuen Ländern, weiß sie genau. „Mir ist es bewusst, dass es auch eine Erwartungshaltung an mich in der Bevölkerung gibt, und das erlebe ich ja auch“, sagt sie nach der ersten Begegnung mit Bürgern und dem Bürgermeister der Retortenstadt Eisenhüttenstadt: „Ich bin ein Mensch, der gerne für klare Worte steht. Es ist immer gut, wann man entschieden ist und sagt, was man tun wird.“ Und nur weil sie nicht für den Parteivorsitz antrete, heiße das doch nicht, dass sie sich nicht mehr engagieren wolle: „Jeder Tag, jede Stunde meines Handelns ist davon geprägt, etwas Gutes für die SPD zu tun.“

Offen sagen das hier viele der Brandenburger, wenn man sie darauf anspricht: Die hätten wir uns gewünscht – als SPD-Vorsitzende oder auch als Anwärterin auf ein politische Amt im Land, wo sie schon etliche Wahlkampftermine absolvierte. Denn Giffey stürzt mit ihrer guten Laune auf jeden zu, der sich nicht schnell genug in Sicherheit bringt, verwickelt sogar einen arglosen, rotbärtigen Kaffeetrinker auf der Terrasse einer Bäckerei in Eisenhüttenstadt ins Gespräch: „Haben Sie irgendeinen Wunsch? Soll ich irgendwas an den Kabinettstisch mitnehmen?“ Auch die Mitarbeiterin im „Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR“ der Stadt, wo Giffey beim Blitzbesuch vor einer Vitrine mit „Hotelgeschirr ABS rostfrei“ für die Fotografen posiert, zeigt sich begeistert. Als die Ministerin wieder geht, seufzt sie verzückt: „Ich find‘ sie total nett!“

Giffey beginnt ihre Bustour mit Journalisten und Mitarbeitern ganz bewusst am U-Bahnhof Rudow im Berliner Süden, bevor es am ersten Tag nach Brandenburg, Sachsen und Niedersachsen geht. Denn an der Bushaltestelle vor dem U-Bahnhof hatte die damals elfjährige Franziska im Herbst 1989 erstmals den Boden West-Berlins betreten. Vom Bahnhof Schönefeld, wo ihre Eltern den Wartburg  geparkt hatten, war eine Buslinie eingerichtet, mit der die Besucher aus der DDR zur Endstation der U-Bahn nach Neukölln gekarrt wurden. Zuerst ging es zu Karstadt am Hermannplatz, wo die Schülerin ein kleines Radio erstand, auf das sie mächtig stolz war. Damals ahnte sie nicht, dass sie später 16 Jahre lang in genau dem Bezirk arbeiten und seine Bürgermeisterin werden sollte.

30 Jahre Mauerfall, was wurde erreicht, wo hapert es – so etwa lautet das Motto der dreitägigen Tour, bei der Giffey bis Freitag 1300 Kilometer zurücklegen will und durch die Straßen von Städten geht, in denen jedes Haus und jede Pflasterstraße saniert und schmuck wirkt und viele sich trotzdem abgehängt fühlen und wütend sind auf „die da oben“. Verständnis dafür, dass die Wende für viele in Ostdeutschland einen Bruch in der eigenen Biografie bedeutete, bringt die Berliner Politikerin mit – ihre beiden Eltern waren zeitweise arbeitslos. Beim Meckern stehen bleiben, passt aber auch nicht zu ihrem zupackenden, optimistischen Ansatz: „Ich bin überhaupt nicht der Typ, der immer die Jammer-Ossi-Tour macht, find‘ ich furchtbar“

Niemand pöbelt gegen die Politikerin aus der Hauptstadt

Drei Dinge hält sie für wichtig: „Dankbarkeit, für die friedliche Revolution, bei der kein Schuss gefallen ist“, Stolz auf das, was die Menschen in den neuen Ländern aufgebaut habe, und schließlich das Erzählen von Geschichten, die Zuversicht ausstrahlen. Ein ähnliches Rezept empfiehlt sie auch, wenn sie danach gefragt wird, wie die laut Umfragen massiv erstarkte AfD zurückgedrängt werden soll. Die ist etwa in Riesa, wo Giffey nach den zwei Liedern der Kindergartengruppe mit engagierten Bürgern diskutiert, bei der Europawahl auf 30 Prozent gekommen und damit hat die SPD (acht Prozent) weit hinter sich gelassen. Doch AfD-Wähler scheinen nicht eingeladen zum Dialog – zumindest murrt oder pöbelt niemand gegen die Politikerin aus der Hauptstadt.

Man müsse dafür sorgen, dass die Menschen im Osten sich „gleichberechtigt fühlen bei der politischen Teilhabe, aber auch bei der Teilhabe am Wohlstand des Landes“, sagt die Ministerin in die Mikrofone – und ist schnell bei der Frage der Grundrente, die die SPD in den Monaten vor den Ost-Landtagswahlen zur zentralen Streitfrage mit der Union aufgebaut hat. „Das ist etwas, das Menschen frustriert, wenn sie 350 oder 500 Euro für ihre ganze Lebensleistung bekommen, das kann ich auch verstehen“, meint sie. Das sei „ein ganz großes Thema bei den Menschen, die hier die Wendezeit erlebt haben, die auch Verlusterfahrungen gemacht haben“. Ihre Schlussfolgerung: „Wenn das nicht gesichert ist, wenden sich Menschen ab von denjenigen, die politisch handeln und gestalten.“

Franziska Giffey auf Sommertour
Franziska Giffey auf Sommertour

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Und weil ihr Thema Zuversicht ist, besucht Giffey in Finsterwalde das Ladengeschäft einer Rückkehrerinitiative („Comeback Elbe-Elster“), die Interessenten Tipps zur Job- oder Wohnungssuche gibt.  „Wir haben hier tolle Leute kennengelernt, dass sind Menschen, die wollen etwas machen, etwas reißen für ihre Region. Das sind Menschen, die waren in der Welt unterwegs und kommen mit diesen Erfahrungen wieder zurück und sagen: Wir gestalten jetzt hier vor Ort“, sagt sie nachher: „Das ist die Chance für die Entwicklung einer ganzen Region.“

Mit oder ohne Doktorhut – in der Berliner SPD hätten sie viele gerne statt Michael Müller als Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhaus-Wahl 2021. Für den Fall, dass ihr der Titel aberkannt wird, hätte sie mit der Aufgabe des Ministeramtes schon gebüßt, argumentieren manche, sie könnte die Wahl zum Plebiszit machen nach dem Motto: Ihr wisst, dass ich etwas für die Menschen tue, – ist euch das wichtiger oder ein akademischer Titel? Und auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hält sehr große Stücke auf sie und ihre Fähigkeit, Menschen zu binden, würde sie angeblich gerne holen, wenn er die SPD-Regierung am 1. September denn verteidigen kann. Die Chancen dafür sind laut jüngsten Umfragen besser geworden.

Giffey selbst sagt zu solchen Planspielen öffentlich und auch im Hintergrund natürlich gar nichts. Sie sagt nur, sie sei ein „durch und durch politischer Mensch“. Und: „Ich bin ja nicht weg, ich bin ja noch da.“ Es klingt, als habe sie noch einiges vor.

In einer früheren Fassung hieß es, es spreche nicht viel dafür, dass Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) seine Regierung verteidigen könne bei der Landtagswahl. Laut der jüngsten Umfrage von Infratest dimap hat die SPD vier Prozentpunkte aufgeholt und liegt nun gleichauf mit der AfD (jeweils 22 Prozent). Deshalb heißt es nun im neuen Text: Die Chancen zur Verteidigung der SPD-Regierung sind "besser geworden".

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