zum Hauptinhalt
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verlangt von der EU ein weiteres Entgegenkommen bei der Zollunion.

© via REUTERS

Flüchtlingspolitik und Zypern-Streit: Für die EU ist Erdogan Partner und Rivale zugleich

Die EU will die Syrien-Flüchtlinge in der Türkei mit weiteren drei Milliarden Euro unterstützen - doch jetzt droht neuer Ärger zwischen beiden Seiten.

Die Zahl der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer in die EU gelangen wollen, steigt wieder. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) nahm die Zahl der Flüchtlinge in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um 58 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu. Vor allem auf der zentralen Mittelmeerroute zwischen Libyen und Italien starteten Migranten die lebensgefährliche Überfahrt. Aber auch die östliche Route könnte angesichts zahlreicher Flüchtlinge aus Afghanistan demnächst wieder stärker in den Fokus kommen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Der Migrationsforscher Gerald Knaus sagte zwar am Mittwoch im Deutschlandfunk, es sei verfehlt, mit Blick auf Afghanistan, wo derzeit die radikalislamistischen Taliban auf dem Vormarsch sind, von einer großen Flüchtlingswelle zu sprechen. „Aber es könnte sehr bald dazu kommen, dass sehr viele Menschen Afghanistan verlassen müssen, und darauf sollte man sich vorbereiten“, fügte er hinzu. Knaus schlug vor, ähnlich wie bei den Bootsflüchtlingen aus Vietnam in den 1970er und 1980er Jahren eine internationale Aufnahme zu organisieren.

Einigung beim EU-Gipfel im Juni

In dieser Situation rückt das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei in den Blick. Die Türkei hat bislang 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Hinzu kommen derzeit mindestens 300 000 Geflüchtete aus Afghanistan. Im Jahr 2016 hatte die EU mit der Türkei die Zahlung der Summe von insgesamt sechs Milliarden Euro zur Unterstützung von Flüchtlingsprojekten vereinbart. Beim letzten EU-Gipfel im Juni einigten sich die Staats- und Regierungschefs dann darauf, dass Ankara weitere drei Milliarden Euro für Syrien-Flüchtlinge im Land aus dem EU-Haushalt erhalten soll. In den kommenden drei Jahren soll dabei jeweils eine Milliarde Euro fließen.

Gelder sollen auch ins Grenz-Management fließen

Nach den Worten einer Sprecherin der EU-Kommission sollen die Gelder wie bisher  auch in Zukunft dazu genutzt werden, die Bildung und Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge sicherzustellen. Die Mittel sollten aber zunehmend dafür verwendet werden, um den Flüchtlingen beim Aufbau einer Existenz zu helfen sowie die Überwachung der türkischen Grenzen zu unterstützen. Im Rahmen des Flüchtlingsdeals von 2016 hatte sich Ankara verpflichtet, die Flüchtlingsroute über das östliche Mittelmeer abzuschotten. Unter „Grenzmanagement“ lässt sich aber auch verstehen, dass Flüchtlinge davon abgehalten werden, überhaupt in die Türkei zu gelangen.

Trotz der absehbaren EU-Milliardenhilfen, für die in Brüssel noch die nötigen Gesetzgebungsvorschläge erarbeitet werden müssen, bleibt aber das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und der Türkei angespannt. Bereits unmittelbar nach dem EU-Gipfel vom Juni hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan über seinen Sprecher Ibrahim Kalin ausrichten lassen, dass die EU weiterhin ihre Versprechen – die Modernisierung der Zollunion und die Gewährung von Visafreiheit – nicht einhalte. Erdogan stellt sich auf den Standpunkt, dass die EU der Türkei im Gegenzug für die Kooperation bei der Flüchtlingspolitik in diesen Punkten entgegenkommen müsse.

Geisterstadt. Menschen spazieren am Strand von Varosha im Norden Zyperns.
Geisterstadt. Menschen spazieren am Strand von Varosha im Norden Zyperns.

© Harun Ucar/REUTERS

Inzwischen ist ein weiterer Konfliktpunkt zwischen beiden Seiten hinzugekommen. Erdogan hatte in der vergangenen Woche den türkisch besetzten Norden Zyperns besucht und dabei angekündigt, die Geisterstadt Varosha wieder zu öffnen. In der einstigen Touristenmetropole lebten bis zur Teilung der Insel im Jahr 1974 vor allem griechische Zyprer. Heute steht die Geisterstadt faktisch unter türkischer Hoheit. Unmittelbar nach der Ankündigung Erdogans zur Wiedereröffnung Varoshas gab es eindringliche Appelle aus Deutschland, Frankreich und den USA, dass sich die türkische Regierung an die UN-Resolutionen halten solle, welche eine Kontrolle des Ortes durch die Vereinten Nationen vorsehen. Auch der UN-Sicherheitsrat verurteilte Erdogans Pläne.

Sanktionen könnten beim Außenministertreffen zum Thema werden

Am Dienstag ging der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell noch einen Schritt weiter und erklärte, die EU werde „die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente und Optionen zur Verteidigung ihrer Interessen einsetzen“. Gleichzeitig verurteilte Borrell die  „einseitigen Schritte der Türkei“. Falls die Türkei nicht alle Handlungen rückgängig mache, die im Widerspruch zur Resolution des UN-Sicherheitsrates stünden, solle beim nächsten Treffen der EU-Außenministertreffen über mögliche Sanktionen gegen die Türkei beraten werden. Aus Ankara kam  prompt Widerspruch. Die Erklärung Borrells habe „weder Wert noch Gültigkeit“, teilte das türkische Außenministerium mit.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false