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Staatspräsident Gül hatte erst am Samstag den Ort des Überfalls in der Provinz Hakkari an der Grenze zum Irak besucht.

© dpa

Dreiländereck Türkei-Irak-Iran: Feuergefechte zwischen PKK und Türkei: Angriff auf die Verfassung

Die PKK tötet 24 türkische Soldaten. Der Angriff galt wohl auch den Verhandlungen über ein neues Grundgesetz für die Türkei.

Schüsse von schweren Maschinengewehren und Schnellfeuergewehren peitschen fast unablässig durch die Nacht, hin und wieder blitzt Leuchtspurmunition auf: Aufnahmen des türkischen Fernsehens vom Mittwoch ließen erahnen, wie heftig in der Nacht zuvor im Südosten des Landes gekämpft wurde. An mehreren Stellen der Provinz Hakkari im Dreiländereck Türkei-Irak-Iran griffen rund 100 Kämpfer der kurdischen PKK zeitgleich Posten der Armee an. Bei den Feuergefechten starben 24 türkische Soldaten. Am Morgen erwies sich bald, dass dies noch nicht das Ende sein würde: Türkische Elitetrupps verfolgten die abziehenden PKK-Leute in den Nordirak hinein, eine großflächige Intervention im Nordirak könnte folgen. Auch neuer Streit mit der EU kündigt sich an.

„Unser Schmerz ist groß“, sagte Staatspräsident Abdullah Gül, nachdem er die Nachricht vom Tod der Soldaten erhalten hatte. Der sonst stets um Ausgleich und Mäßigung bemühte Gül fügte hinzu, dass die Türkei zurückschlagen wird. „Die Vergeltung für diese Angriffe wird immens sein.“ Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bestätigte, dass erste türkische Soldaten die Grenze in den Irak überschritten hätten.

Selbst in der blutigen Geschichte des Kurdenkonfliktes seit 1984 ist die Angriffsserie von Hakkari außergewöhnlich. Nur selten in den vergangenen 27 Jahren hat die türkische Armee ähnlich große Verluste bei einem Einzelgefecht hinnehmen müssen. Türkische Militärexperten zeigten sich überrascht darüber, dass es der PKK gelungen war, ihre Kämpfer unbemerkt in Stellung zu bringen und zeitgleich losschlagen zu lassen.

Unter dem Schock der Ereignisse schaltete das politische Ankara auf eine Art Ausnahmezustand um. Erdogan und mehrere seiner Minister sagten Auslandsreisen ab, Generalstabschef Necdet Özel flog ins Kampfgebiet, die Regierung erstattete im Parlament Bericht über den Tod der Soldaten.

Nur einen Tag vor den Angriffen von Hakkari wurden acht weitere Menschen, darunter ein vierjähriges Kind, von einem PKK-Sprengsatz auf einer Landstraße getötet. Die Gewalt im türkischen Kurdengebiet ist so schlimm wie seit den 90er Jahren nicht mehr.

Die jüngsten Angriffe zielen auf einen wichtigen politischen Prozess: In Ankara begannen am Mittwoch die Beratungen über eine neue Verfassung, die unter anderem eine Lösung des Kurdenkonflikts bringen soll. Am Verhandlungstisch sitzt sowohl die legale Kurdenpartei BDP als auch die Nationalistenpartei MHP, die von weiteren Zugeständnissen in der Kurdenfrage nichts wissen will und für die jede Art von Anerkennung einer eigenen kurdischen Identität ein Verrat an der Republik darstellt.

Parlamentspräsident Cemil Cicek, der die Verfassungsgespräche leitet, sagte am Mittwoch, die Verhandlungen hätten im Schatten der Gewalt begonnen. Dennoch gebe es kein Zurück: Die Arbeit an der neuen Verfassung werde vorangetrieben wie geplant. Mit der Gewalt will die PKK in der Verfassungsfrage den Staat zu neuen Zugeständnissen zwingen.

Eintreten dürfte aber nun das Gegenteil. Ein türkischer Einmarsch nach Nordirak zur Zerstörung der PKK-Infrastruktur rückt näher. Erste Einheiten drangen schon am Mittwochmorgen ins Nachbarland vor, um die abziehenden PKK-Kämpfer zu verfolgen. Zuletzt hatte die Türkei vor drei Jahren mehrere Tausend Soldaten in den Nordirak geschickt, um PKK-Einrichtungen und Verbindungswege zu zerstören.

Genutzt hat es wenig. Die PKK räumte damals vor Ankunft der türkischen Truppen ihre wichtigsten Stellungen, kein einziger Anführer der Kurdenrebellen ging den Türken ins Netz. Wie sich spätestens bei dem Bombenanschlag von Ankara im September und jetzt bei den Angriffen von Hakkari erwies, kann von einer militärischen Schwächung der PKK durch den türkischen Irak-Einmarsch keine Rede sein.

Dennoch dürfte die Regierung Erdogan jetzt unter erheblichen innenpolitischen Druck geraten, die Armee erneut ins Nachbarland zu schicken. Der mittel- und langfristige Wert einer Intervention ist trotz aller Wut in Ankara sehr zweifelhaft. Selbst der über jeden Verdacht der Sympathie für die PKK erhabene Ex-General Armagan Kuloglu warnte im Fernsehen, eine grenzüberschreitende Militäraktion habe nur dann Sinn, wenn sie durch gewissenhafte Aufklärung vorbereitet würde und für die PKK überraschend käme. Derzeit sei weder das eine noch das andere der Fall. Wenn türkische Soldaten dennoch im Irak einmarschieren sollten, „dann treffen sie nur auf verlassene Verstecke“, sagte der Ex-General.

Beim Versuch der Türkei, die PKK mit militärischen wie nicht militärischen Mitteln zu fassen zu bekommen, gerät auch Europa immer mehr ins Visier Ankaras. EU-Minister Egemen Bagis beorderte am Mittwoch den EU-Botschafter Marc Pierini zu einem Gespräch in sein Ministerium. Die EU müsse entschiedener als bisher gegen die PKK vorgehen, forderte Bagis. Europa ist für die Geldbeschaffung und die Propaganda der PKK wichtig.

Erst vor wenigen Wochen hatte Erdogan deutschen Institutionen vorgeworfen, unter dem Deckmantel von Infrastrukturprojekten Gelder an die kurdischen Rebellen zu schleusen. Am Mittwoch bekräftigte er, die PKK werde „als Werkzeug“ von Mächten benutzt, die den Aufstieg der Türkei sabotieren wollten.

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