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Ausbruch von Nationalstolz: In Flaggen gehüllt begehen Ukrainer ihren Nationalfeiertag und trauern um die Opfer des Kriegs, hier auf einem Friedhof in Lemberg (Lviv).

© YURIY DYACHYSHYN/AFP

31 Jahre Unabhängigkeit, sechs Monate Krieg: Feiern und Trauern in Blau und Gelb

Trotz des Sterbens und Leidens begehen die Ukrainer stolz ihren Nationalfeiertag. Und quer durch Europa solidarisieren sich Menschen mit ihnen. Eine Analyse.

Wie fühlt sich ein Mensch, der seinen 31. Geburtstag feiern möchte, aber seit einem halben Jahr ums Überleben kämpft wegen eines bösartigen Tumors? In diesem Spannungsfeld bewegten sich am Mittwoch die Gefühle der 44 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer.

Auch in Berlin, Europa und im übrigen Ausland bekundeten viele Menschen ihre Sympathien. Und ihr Mitgefühl mit der Ukraine, zum Teil mit originellen Aktionen.

Am 24. August 1991 hatte die damalige Sowjetrepublik ihre Unabhängigkeit von der UdSSR erklärt – nach dem gescheiterten Putsch in Moskau gegen die Liberalisierungspolitik Michail Gorbatschows. Vor sechs Monaten, am 24. Februar 2022 griff der russische Präsident Wladimir Putin die Ukraine an, um ihr die Souveränität wieder zu nehmen.

Putin spricht ihr eine eigene Identität ab. Er nennt sie eine erfundene Nation. Den Interessen ihrer Bürger sei am besten gedient, wenn Russland sie regiert.

Die Menschen feiern trotz Warnung vor Angriffen

Die Regierung in Kiew hatte gewarnt, dass Putin seinen Herrschaftsanspruch mit verstärkten Angriffen am Unabhängigkeitstag unterstreichen werde. Die Menschen sollten besser in ihren Wohnungen bleiben, um rasch in Schutzräumen Zuflucht suchen zu können.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis90/Die Grünen) mit Ukrainerinnen in Ulm.

© Stefan Puchner/dpa

Dennoch kamen Bürger vielerorts zum Feiern zusammen. Viele hatten sich in blau- gelbe Nationalfahnen gehüllt. Andere trugen die traditionelle Volkstracht aus blumenbesticktem weißem Stoff. Frauen und Mädchen hatten ihr Haar zu Kränzen geflochten. Hauseingänge waren mit Blumengirlanden farbenfroh geschmückt.

Die Szenen wirkten wie der lebende Beweis, dass Putin mit dem Angriff eine Gegenbewegung zu seinem Ziel staatlicher Zusammengehörigkeit geschaffen und sie mit jedem Kriegstag stärker gemacht hat. Vor der Annexion der Krim 2014 und dem hybriden Krieg in Siedlungsgebieten der russischen Minderheit in der Ostukraine hatte es keine mächtige Nationalbewegung in der Ukraine gegeben. Heute definiert die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft ihre Identität in Abgrenzung, ja: Gegnerschaft zu Russland.

Mehr zum Ukraine-Krieg und den Akws bei Tagesspiegel Plus:

Auch im Ausland zeigte das „Doppeljubiläum“ aus 31 Jahren Unabhängigkeit und sechs Monaten Krieg, dass die Ukraine inzwischen einen eigenständigen Platz in den Herzen und auf den politischen Weltkarten erobert hat. Früher stand das Land im Schatten Russlands. Moskau schien ein Monopol für die Deutung der Völker und Staaten zu haben, die einst der Sowjetunion angehörten – samt dem historischen Gedenken.

Kerzenkette in Berlin vom Brandenburger Tor zur Botschaft

In Berlin zeigten die unterschiedlichsten Gruppen ihre Solidarität mit der Ukraine - und damit ein Zeichen gegen Putins Hoffnung, er könne Europa spalten. Eine Freiheitsparade zog vom Breitscheidtplatz zum Brandenburger Tor. Radler und Skater demonstrierten auf dem Tempelhofer Feld. Gläubige beteten für den Frieden in der Gedächtniskirche.

Musiker gratulierten mit einem Geburtstagskonzert, darunter Angehörige des Diplomatischen Corps. Künstler präsentierten in Kreuzberg eine Vernissage „Friedlicher Himmel für die Ukraine“. Eine Kerzenkette reichte vom Pariser Platz zur Botschaft der Ukraine.

Das Manneken Pis in Brüssel in ukrainischer Tracht.

© Kenzo TRIBOUILLARD/AFP

Ähnliche Solidaritätsaktionen gab es kreuz und quer durch Europa. In Brüssel, dem politischen Zentrum der EU, begann der Tag mit einem Gottesdienst für die Ukraine in der Kathedrale. Abends strahlten die Fassaden der EU-Gebäude in den ukrainischen Farben.

Auch die Grande Place war in ein Lichtermeer aus Blau und Gelb getaucht. Die Touristenattraktion Manneken Pis trug an diesem Tag ukrainische Volkstracht – was freilich schwer zu fotografieren war, da der Blick auf die relativ kleine Brunnenfigur meist durch Demonstranten mit großen blau-gelben Fahnen versperrt war.

In Prag das Victory-Zeichen - wie beim Sturz des Kommunismus

In der tschechischen Hauptstadt Prag fand eine neue Skulptur auf einer Grünfläche im Sichtbereich der Russischen Botschaft besondere Aufmerksamkeit. Sie zeigt eine Hand, deren Fingernägel in Blau und Gelb lackiert sind. Mittel- und Zeigefinger sind zu einem V gespreizt, dem „Victory“-Zeichen.

Neue Skulptur nahe der Russischen Botschaft in Prag: Eine Hand mit Victory-Zeichen und Fingernägeln in den ukrainischen Farben.

© David W Cerny/REUTERS

In der Zeit zwischen 1989 und 1991, als die kommunistischen Regime in Osteuropa nach und nach stürzten und das sowjetische Imperialreich auseinanderbrach, war das V als Symbol des Sieges über Diktaturen international populär. In Litauens Hauptstadt Vilnius feierten die Menschen die Unabhängigkeit der Ukraine mit einer Rave- Nacht, bei der DJs aus Kiew auflegten.

Papst Franziskus prangerte bei der Generalaudienz in Rom den „Wahnsinn des Kriegs“ an. Er gedachte der Leiden „des geliebten ukrainischen Volks“.

Biden und Scholz erhöhen die Militärhilfe

US-Präsident Joe Biden kündigte weitere Militärhilfen im Wert von drei Milliarden Dollar an, damit die Ukraine sich auf Dauer verteidigen könne. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte bereits am Dienstag Waffenlieferungen im Wert von 500 Millionen Euro zugesagt und bekräftigte am Mittwoch, Deutschland stehe „fest an der Seite der bedrohten Ukraine, heute und so lange, wie die Ukraine unsere Unterstützung braucht“.

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