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Ein Babybauch ist für viele ein unerfüllter Wunsch.

© Felix Heyder/dpa

FDP-Vorstoß zu Leihmutterschaft: Aus Sitte sollte kein Dogma werden

Die Liberalen möchten Frauen ermöglichen, für andere Kinder auszutragen. Das ließe sich regeln – anders als die Vorbehalte, die dagegen bestehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Gelegentlich kommen Momente, in denen sich Deutschland in seinen sozialen Zusammenhängen schlagartig zu modernisieren scheint. Als das Parlament die „Ehe für alle“ beschloss, die den Bund von Mann und Frau in die Geschlechtervielfalt entließ, war das so ein Moment. Ähnlich wie letztes Jahr, als das Bundesverfassungsgericht den Anspruch auf einen menschenwürdigen, im Zweifel medizinisch unterstützten Suizid zum Grundrecht erhob. Zwei Praktiken mit Tabu-Charakter, ehedem als anstößig empfunden, waren und sind einer Neubewertung zu unterziehen.

Das darf Fortschritt genannt werden. Nichts gegen gesunden Konservatismus, doch es wird schräg, wenn Sitte zum Dogma erhoben wird. Was sittlich ist, verändert sich. Und so dürfte es, irgendwann, auch dem Tabu-Thema Leihmutterschaft ergehen, für das sich, ziemlich isoliert, zum wiederholten Mal die FDP starkmacht. Die Fraktion will die „altruistische“ Leihmutterschaft erlaubt wissen, die uneigennützige also, bei der sich eine Frau ohne Geld zum Gebären anbietet. Damit dies auch für Christenmenschen anschlussfähig ist, nennt die FDP das Leihmutterschaft „aus Nächstenliebe“ und akzentuiert ihren Vorschlag mit einer bekannten altliberalen Erfolgsformel: Selbstbestimmung.

Kinderlose lassen sich im Ausland helfen

Da ist einige Rhetorik im Spiel, aber auch eine schlichte Tatsache: Die gesellschaftliche Realität ist an den Gesetzen vorübergezogen. Kinderlose lassen sich im Ausland helfen und die Elternschaft in Deutschland anerkennen, mit Segen der Justiz und durchaus im Sinne des Kindeswohls. Rechtlich spricht nichts dagegen, dergleichen auch im Inland zu regeln, entsprechend einer Verfassung, die menschliche Freiheit und Würde in den Mittelpunkt stellt. Über ethische Fragen kann man da lange Diskurse führen; fest steht jedoch, dass die vielen Nationen, die Leihmutterschaft legalisiert haben, einer universalen Moral im Großen und Ganzen genügen.

Es bleibt also Sache der Politik. Unter den Bedingungen der Fortpflanzungsmedizin kann ein Kind mehrere Mütter und die verschiedensten Väter haben. Das lässt sich alles regeln. Was sich nicht so einfach regeln lässt, sind die Vorbehalte, die gegen solche Projekte bestehen. Sie speisen sich aus religiöser Tradition, gesellschaftlichen Konventionen und nicht zuletzt einem auch in aufgeklärten Milieus weithin konsentierten Mutterbild, das der gebärenden Frau eine fast heilige Unberührbarkeit zuspricht.

Veränderungen gibt es nicht plötzlich, sie brauchen Vorlauf; das geschieht oft, wie bei Sterbehilfe und der „Ehe für alle“, wenig bemerkt vor den Gerichten. So auch hier. Gibt es ein Recht auf Fortpflanzung? Und wenn ja, was muss dafür getan werden? Irgendwann wird es Antworten geben müssen. Dann ist der Moment gekommen.

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