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Fake oder Fakt? Für viele Befragte schwer zu erkennen.

© imago images/blickwinkel

„Nur mit dem Internet aufgewachsen zu sein, reicht nicht“: Fast die Hälfte hat niedrige digitale Nachrichtenkompetenz

Desinformation erkennen, Quellen richtig einschätzen: Laut einer Studie hapert es an der digitalen Nachrichtenkompetenz - nicht nur bei Älteren.

Zu Anfang der Pandemie machte eine Falschinformation die Runde. Auf Whatsapp wurde eine Sprachnachricht verbreitet, in der eine Frau behauptete, Ibuprofen würde schwere Corona-Krankheitsverläufe auslösen. „Eigentlich hätte man dann den Absender fragen müssen: Woher hast du das? Oder das erstmal googeln. Aber viele leiteten die Falschinformation einfach weiter“, sagt Anna-Katharina Meßmer.

Sie ist Projektleiterin beim Thinktank „Stiftung Neue Verantwortung“ und hat mit ihren Kollegen gerade eine Studie zu Informations- und Nachrichtenkompetenz durchgeführt. Sie wollte wissen: Wie gut sind Menschen darin, Information, Meinung, Werbung und Desinformation zu unterscheiden? Wie gut gelingt es ihnen, die Seriosität von Quellen im Netz einzuschätzen? Das Ergebnis: Nur ein Fünftel erzielte hohe Kompetenzwerte. Mit 46 Prozent liegen die meisten Befragten im Bereich der (sehr) geringen digitalen Nachrichten- und Informationskompetenz.

„Gerade in der Coronakrise rächt es sich, dass in Bezug auf digitale Medien lange nur auf Bedienkompetenz gesetzt wurde und nicht auf Nachrichtenkompetenz“, sagt Meßmer. „Die Verbreitung von Falschinformationen erschwert die Pandemiebekämpfung.“ Doch auch ansonsten sind die Studienergebnisse zum Teil besorgniserregend.

Hinweise zu Desinformation bringen oft wenig

Die Befragten wurden bei dem Test etwa mit Screenshots von verschiedenen Internetportalen konfrontiert und mussten einordnen, ob es sich dabei um Werbung, Meinung, Information oder Desinformation handelt. Die Unterschiede wurden zum Teil nur schwer erkannt. Besser waren die Befragten darin, die Vertrauenswürdigkeit einer Quelle einzuschätzen. Zum Beispiel erkannten 65 % der Befragten, dass der Geschäftsführer eines Flugreisenportals als Autor eines Beitrags zum Thema Fliegen keine neutrale Quelle ist. Nur die Hälfte der Befragten konnten aber auch den konkreten Interessenskonflikt benennen.

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Bei einem Video des Senders „RT Deutsch“ wurde den Befragten unter dem Video auch der Wikipedia-Hinweis angezeigt: „RT wird ganz oder teilweise von der Regierung Russlands finanziert“. 59 Prozent erkannten richtig, dass „RT Deutsch“ keine neutrale Quelle ist. Aber bei der Anschlussfrage nach dem Warum nannte nur ein Viertel den potentiellen politischen Einfluss als Grund oder verwies dezidiert auf den Wikipedia-Hinweis.

Auch bei anderen Beispielen zeigte sich, dass es kaum wirksam ist, wenn Social-Media-Plattformen solche Hinweise einblenden oder bestimmte Postings als „Desinformation“ labeln. So werde das Faktencheck-Label von Facebook oft entweder nicht aktiv wahrgenommen oder es könne nicht richtig interpretiert werden.

Ein Whatsapp-Video ungesehen weiterleiten?

Die Studienteilnehmer bekamen zudem einen Screenshot von einem per Whatsapp versendeten Video zu sehen. Der fiktive Absender behauptet dazu, Polizisten hätten sich einer Corona-Demo angeschlossen. Die Frage an die Studienteilnehmer: „Ohne das Video nochmal selbst anzuklicken, würden Sie die Nachricht an Bekannte weiterleiten?“ Sieben Prozent antworteten mit Ja. Bei Menschen, die häufig Nachrichten in den sozialen Medien posten oder teilen, waren es 16 Prozent.

Die Studie förderte ein großes Misstrauen gegenüber den Medien zu Tage. 24 Prozent glauben, dass die Bevölkerung in Deutschland von den Medien systematisch belogen wird, weitere 30 Prozent sagten „teils/teils“. Nur die Hälfte der Befragten wusste zudem, dass Nachrichten über einen Bundesminister ohne die Genehmigung des Ministeriums veröffentlicht werden dürfen. Und 22 Prozent glaubten, dass Bundestagsabgeordnete in Deutschland entscheiden dürfen, was der Rundfunk sendet. Weitere 24 Prozent gaben „weiß nicht“ an.  

AfD-Anhänger schnitten unterdurchschnittlich ab

Ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie ist, dass das Vertrauen in Demokratie und Medien und die Fähigkeit, auch andere Meinungen zu tolerieren, eng zusammenhängt mit der Nachrichtenkompetenz. „Wir können aber nicht sagen, was Henne und was Ei ist“, sagt Studienautorin Meßmer. „Fällt es jemandem, der wenig Vertrauen in das das System hat, schwerer, eine Desinformation zu erkennen? Oder ist er schlecht darin, vertrauenswürdige Nachrichten zu erkennen und hat deshalb wenig Vertrauen in das System?“

Im Vergleich der Parteipräferenzen lagen die AfD-Anhänger beim Vergleich der Informations- und Nachrichtenkompetenz auf dem letzten Platz. Woran das allerdings liegt, können die Studienautoren nicht sagen. Meßmer glaubt, es könne „mit einem geringeren Vertrauen in das System und einem höheren Misstrauen gegen Medien zusammenhängen.“

Digital Natives sind nicht automatisch kompetent

Gerade bei Jüngeren spielt die Bildung auch eine große Rolle. Meßmer beobachtet eine beunruhigende Polarisierung in der Altersgruppe der unter 40-Jährigen. „Die schneidet zwar insgesamt besser ab als Ältere. Aber innerhalb dieser Altersgruppe gibt es massive Unterschiede entlang der Bildungsabschlüsse.“ Meßmer glaubt, digitale Bildung finde an Haupt- und Gesamtschulen viel zu wenig statt. „Nur mit dem Internet aufgewachsen zu sein, bedeutet eben nicht, sich gleichzeitig kompetent darin zurechtzufinden.“ 

Auch sehe man gerade bei Jüngeren mit niedrigen Bildungsabschlüssen geringe Vertrauenswerte in Demokratie und Medien. „Das sind offensichtlich Menschen, die sich von Politik und Medien nicht ausreichend vertreten fühlen“, sagt Meßmer.

„Das Ergebnis der Studie ist nicht: Die Leute sind dumm“

Insgesamt ist ihr aber wichtig zu betonen: „Das Ergebnis der Studie ist nicht: Die Leute sind dumm. Die Studie zeigt vor allem, wie kompliziert die Medienumgebungen geworden sind.“ Wenn beispielsweise ein Freund auf Facebook einen Artikel eines Internetportals poste und dieser mit einem Faktencheck von correctiv.org versehen sei – dann muss man bei einem Posting gleich vier Quellen bewerten.“ Auch sei deutlich zu erkennen, dass viele Menschen sich richtig verhalten wollen. „Aber die Plattformen motivieren dazu, Dinge einfach weiterzuleiten – auch ohne sie überprüft oder überhaupt gelesen zu haben.“

Meßmer glaubt, dass neben digitaler (Erwachsenen-)-Bildung auch ein klareres Design bei den Social-Media-Plattformen helfen kann. „Dass die Kennzeichnung als Desinformation nicht wirkt, sollte zu denken geben. Vielleicht könnte es helfen, da eine einheitlichere und auffälligere Kennzeichnung zu machen, damit es den Leuten schneller ins Auge fällt.“

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