zum Hauptinhalt
Automatische Gesichtserkennung kann dem Verbraucher nützen, oder ihm schaden.

© REUTERS

FaceApp voll im Trend: Die Vor- und Nachteile der automatischen Gesichtserkennung

Per Gesichtserkennung lässt sich bezahlen, einchecken und in die Zukunft sehen. Sie dient auch zur Überwachung. Wer nutzt die Technik? Fragen und Antworten.

Von

Sie lässt die Internetwelt gerade ganz schön alt aussehen: FaceApp. Mit dem Smartphone-Programm können Nutzer austesten, wie sich das eigene Spiegelbild in 20, 30 oder 40 Jahren verändern wird.

Beim Blick in die sozialen Netzwerke wird deutlich, dass auch viele Prominente in der App ein neues Lieblingsspielzeug gefunden haben: Statt perfekt gestylt zeigen sie sich auf Instagram, Facebook und Co. mit Stirnfalten und grauen Haaren.

Ein regelrechter Wettbewerb ums schaurigste Zukunftsbild ist entstanden, bei dem auch schon der US-Sänger Sam Smith, Model Heidi Klum und Grünen-Politiker Cem Özdemir mitgemacht haben.

Doch Datenschützer warnen: Die App speichere massenweise Fotos und sensible Daten, die auch an Dritte gehen könnten.

Wie funktioniert FaceApp?

Wer künstlich altern will, muss über die Smartphone-App zunächst ein Porträtbild von sich hochladen. Die intelligente Software legt anschließend einen Filter über das Foto. Dabei fügt sie Falten hinzu, bearbeitet Haar- und Bartfarbe und lässt die Tränensäcke wachsen. Die Basisausstattung der App ist kostenlos nutzbar. Für weitere Funktionen wie einen Makeup-Filter müssen Nutzer aber zahlen – entweder einmalig 44 Euro oder 20 Euro im jährlichen Abo.

Wer steckt hinter dem Programm? Entwickelt hat die Bildmanipulation die russische Softwarefirma Wireless Lab aus Sankt Petersburg. Das Unternehmen arbeitet an mehreren Smartphone-Apps, schaffte mit FaceApp nun aber den Durchbruch. Dabei ist das Programm gar nicht neu. Schon seit zwei Jahren können es Nutzer herunterladen. Ihr Erfinder, Yaroslav Goncharov, ist Programmierer und arbeitete zuvor für Yandex, der bekanntesten Suchmaschine in Russland. Außerdem war er zeitweise für Microsoft als Entwickler tätig.

Welche Daten speichert FaceApp?

FaceApp bearbeitet die Fotos nicht direkt auf dem Smartphone des Nutzers. Stattdessen schickt die App die Porträtbilder zunächst in der Originalversion an einen fremden Server, um anschließend den Alterungsfilter darüberzulegen. Hinzu kommt: Nutzer müssen der App den Zugriff auf die gesamte Fotobibliothek gewähren. Datenschützer sehen darin eine große Gefahr. „Hier übergeben Sie ein Foto von sich oder anderen, das biometrisch auswertbar ist, Ihnen also zugeordnet werden kann, an eine nicht bekannte Person“, sagte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) dem Südwestrundfunk. Daneben speichert FaceApp auch die Benutzerdaten, den Standort und die IP-Adresse. Dadurch lassen sich Personen zweifelsfrei identifizieren.

Was passiert mit den Daten?

Mit dem Download erklären sich Nutzer einverstanden, dass FaceApp alle Daten unbefristet und unwiderruflich nutzen darf – und zwar auch zu kommerziellen Zwecken. Dafür räumt sich FaceApp das Recht ein, einige Informationen auch an Partner weiterzugeben. Unklar scheint auch, in welche Hände die Daten langfristig gelangen könnten. Bei einem Verkauf der App könnten die Daten vollständig an den neuen Besitzer übergehen. Der Fraktionschef der Demokraten im US-Senat, Chuck Schumer, forderte sogar das FBI auf, die App genauer unter die Lupe zu nehmen. Die von Russland aus betriebene App könne wegen ihres Umgangs mit persönlichen Daten ein nationales Sicherheitsrisiko sowie eine Gefahr für Millionen US-Bürger darstellen, schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter. FaceApp-Erfinder Goncharov wehrt sich gegen die Vorwürfe. Die Fotos bearbeite sein Unternehmen nicht auf russischen Computern, sondern auf den Servern von Amazon und Google in den USA, heißt es in einer Stellungnahme. Zudem würden nur die Fotos genutzt, die ein Nutzer bewusst zur Bearbeitung ausgewählt hat. Und auch an Dritte gebe man die Daten nicht weiter.

Wo kommt Gesichtserkennung sonst zum Einsatz?

Die Technologie hat große Fortschritte gemacht und sich in den vergangenen Jahren stark verbreitet. Viele neue Smartphones bieten beispielsweise inzwischen Gesichtserkennung als Alternative zu Fingerabdruck oder PIN, um das Gerät zu entsperren. Laut Herstellern wie Apple werden die Daten dabei verschlüsselt und nur auf dem Gerät selbst gespeichert. Facebook hat seit fast zehn Jahren eine Funktion, die automatisch Personen auf Fotos identifiziert und markiert. In Europa war sie 2012 nach Protesten abgeschaltet worden, seit dem vergangenen Jahr wird die Gesichtserkennung wieder angeboten. Im Zuge der Anpassung von Einstellungen für die Datenschutzgrundverordnung mussten Nutzer auch angeben, ob sie die Funktion nutzen möchten oder nicht.

Welche Datenbanken mit Porträts gibt es noch?

Facebook soll eine Sammlung von zehn Millionen Profilbildern nutzen, um seine Algorithmen zu trainieren. Google eine Datenbank von acht Millionen Porträts. Neben den großen Technologiefirmen verfügen auch Sicherheitsbehörden über biometrische Datenbanken. So baut Interpol eine Datenbank auf, die bereits mindestens 120 000 Lichtbilder enthält. Behörden verschiedener Länder, darunter auch das BKA kooperieren dabei in der „Facial Recognition Working Group“. Eine der größten Sammlungen hat Microsoft dagegen kürzlich vom Netz genommen. 10 000 000 Bilder von etwa 100 000 Personen enthielt die Datenbank „MS Celeb“, mit der KI-Systeme zur Gesichtserkennung trainiert wurden. Da das allerdings auch chinesische Unternehmen wie Sensetime und Megvii genutzt haben, wurde sie im April abgeschaltet.

Wie kann Missbrauch vorgebeugt werden?

Microsofts Chefjustiziar Brad Smith warnte im Dezember vor den Gefahren der Gesichtserkennungs-Technologie und forderte strengere Gesetze. „Wir müssen sicherstellen, dass das Jahr 2024 nicht aussieht wie eine Seite aus George Orwells Buch 1984“, warnte Smith. Google erklärte, man wolle seine Gesichtserkennungssoftware solange nicht kommerziell anbieten, bis politische Fragen geklärt seien. San Francisco hat als erste Stadt in den USA im Frühjahr die Nutzung von Gesichtserkennung durch Behörden untersagt. Der Einsatz „bedrohe unsere Möglichkeit, frei von ständiger Beobachtung durch die Regierung zu leben“, heißt es in dem Beschluss.

Wo beobachtet intelligente Software in Deutschland die Menschen?

Etwa am Bahnhof Berlin-Südkreuz. Dort ist vor wenigen Wochen die intelligente Videoüberwachung in die zweite Pilotphase gestartet. Eine Software soll gefährliche Situationen automatisch erkennen – etwa, wenn jemand am Boden liegt oder es zu einer plötzlichen Menschenansammlung kommt. Dazu sind auf dem Bahnhofsgelände rund 80 Kameras installiert. Anders als beim ersten Test im vergangenen Jahr kommt dieses Mal keine Gesichtserkennung zum Einsatz. Datenschützer hatten damals scharf kritisiert, dass die Software der Bundespolizei automatisch Personen identifiziere und abgleiche. Dennoch könnte ein solches System bald Schule machen. Hinsichtlich einer breiten Einführung sei man zuversichtlich, erklärte das zuständige Bundesinnenministerium zum Abschluss des Tests. Die Fehlerquote lag bei durchschnittlich unter 0,1 Prozent. Einen aus tausend Fahrgästen hat die Software also mit einer anderen Person verwechselt.

In China ist die Gesichtserkennung im Alltag schon Normalität und soll Sicherheit bringen. Was bringt sie noch?

Im Zuge der fortschreitenden Entwicklung der Künstlichen Intelligenz in China ist es vor allem die Technologie der Gesichtserkennung, die eine immer größer werdende Rolle spielt und den Alltag der Menschen grundlegend beeinträchtigen wird. Vor über zehn Jahren schon wurde die Technologie 2008 erstmals kurz nach den Olympischen Spielen in China getestet. Seit 2015 ist Gesichtserkennung hier landesweit auf unterschiedlichsten Feldern im Einsatz. In immer mehr Supermärkten in China kann basierend auf AliPay und WeChat Pay per Gesichtserkennung bezahlt werden. Zudem soll bei Verwaltungsangelegenheiten und Bankgeschäften oder im Bereich medizinischer Behandlung die Technologie bisher lange Wartezeiten ersparen und wird daher immer üblicher. In der Stadt Jinan in der Provinz Shandong können Fahrgäste etwa nicht mehr nur mit Tickets oder ihren Smartphones Zugang zu U-Bahnen bekommen, sondern seit dem 1. April auch durch Gesichtsscan. Möglich ist dies durch die App „Jinan Metro“, mit der pro Minute 33 Personen die Eingangstore der U-Bahn durchschreiten können. In Schanghai wird die entsprechende Papierzuteilung auf öffentlichen Toiletten durch ein Lächeln in einen Kameraautomaten ausgelöst. Auch die Sicherheitsbehörden in China nutzen immer häufiger Gesichtserkennungstechnologie im Kampf gegen illegale Aktivitäten. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua wurden allein in Jinan 120 Gesichtsscanner installiert, um Fußgänger oder Fahrer zu erfassen, die bei Rot über die Ampel gehen. Daraufhin sei die Zahl der Verkehrssünder stark gefallen. Das chinesische Start-up Megvii Technology rühmt sich damit, durch seine Gesichtserkennungstechnologie Betrugsfälle zu reduzieren, den Verkehrsablauf zu optimieren und eine Steigerung der Arbeitseffizienz zu erreichen.

Welche Firmen stehen hinter den Entwicklungen in China?

Gerade die chinesischen Internetriesen wie Alibaba und Tencent setzen sich verstärkt für eine kommerzielle Nutzung von Gesichtserkennung ein. Schon 2017 wurde die „Bezahlung per Gesicht“ vom MIT Technology Review zu einer der weltweit zehn bahnbrechenden Technologien erklärt. Das weltweite Marktforschungsunternehmen Allied Market Research sagt voraus, dass der Markt für Gesichtserkennungstechnologie bis 2022 auf rund zehn Milliarden US-Dollar anwachsen wird. Megvii Technology und auch das Start-up SenseTime gelten als die leistungsstärksten Gesichtserkennungssysteme der Welt. Megvii wird von der Alibaba Group unterstützt und ist bekannt für seine Open-Source- Gesichtserkennungsplattform namens Face++, mit der derzeit mehr als 300 000 Entwickler ihre eigenen Gesichtserkennungsprogramme erstellen. Gerade mal 2011 gegründet von drei Studenten der Elite-Universität Tsinghua wird es mit zwei Milliarden US-Dollar bewertet. Megvii sammelte vor kurzem 750 Millionen US-Dollar bei Investoren ein und noch in diesem Jahr will das Unternehmen an die Börse. SenseTime soll 4,5 Milliarden US- Dollar wert sein und hat gerade eine Vereinbarung zum Bau des ersten AI-Parks in Malaysia unterzeichnet – ein Projekt im Wert von einer Milliarde US-Dollar.

Wie kontrolliert die Regierung in Peking ihre Bürger mit der Technik?

Chinas Regierung will die Daten für ein sogenanntes Sozialkredit-System nutzen. Dabei sollen Daten über die Menschen gesammelt und in einem persönlichen Punkte-Konto können Bürger und Unternehmen durch vorbildliches Verhalten Pluspunkte erhalten und für schlechtes Benehmen Minuspunkte bekommen. Schon im kommenden Jahr soll dieses System in ganz China greifen. Aktuell dürfen laut Zahlen der staatlichen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) mehr als fünf Millionen Menschen nicht mehr mit dem Zug fahren. Mehr als 25 Millionen durften zuletzt keine Flugtickets mehr erwerben. Sie haben sich nicht gut benommen und ihre Daten und Identitäten sind in dieser Blackbox der chinesischen Regierung erfasst – möglicherweise für immer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false