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Dominic Cummings verlässt Downing Street mit einem Paket, in dem er seine Sachen eingepackt hat.

© REUTERS

Exit eines Scharfmachers: Was der Rücktritt von Cummings für Großbritannien bedeutet

Boris Johnsons umstrittener Chefberater Dominic Cummings hat aufgegeben. Regierung und konservative Partei sind erleichtert. Und nicht nur sie.

Noch einmal dominierte er die Schlagzeilen, prangte sein Bild auf den Titelseiten vieler Londoner Zeitungen. Diesmal aber handelten die seitenlangen Berichte der britischen Medien nicht von Dominic Cummings’ Machtfülle als engstem Berater des Premierministers Boris Johnsons.

Analysiert wurde vielmehr der bevorstehende Auszug des gleichermaßen bewunderten wie verhassten Mannes aus der Downing Street. Gemeinsam mit der Kündigung des bisherigen Kommunikationsdirektors Lee Cain signalisiert dies eine Neuorientierung der seit Monaten glücklos agierenden konservativen Regierung.

Aber wohin? Macht die Beseitigung des Duos fanatischer Antieuropäer einen Brexit-Deal leichter? Folgt dem Kehraus in der Downing Street eine Umbildung des als schwach empfundenen Kabinetts? Solche Fragen schwirren, einstweilen unbeantwortet, durch das Regierungsviertel Whitehall.

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Jedenfalls komme Cummings’ Abgang keinen Moment zu früh, seufzten viele Mitglieder der Tory-Fraktion, in der es zuletzt vernehmlich rumort hatte. Nicht nur stand aus der Sicht altgedienter Abgeordneter der mächtige Berater allzu häufig in der Zeitung; für ihren Geschmack hatte sich auch die Verachtung des 48-Jährigen für gewählte Mandatsträger und parteipolitisch neutrale Berufsbeamte allzu sehr auf die gesamte Regierung übertragen.

Kein Premierminister könne es sich leisten, „wenn ein einzelner Berater zur Dauerstory wird“, sagte der mächtige Ausschussvorsitzende Bernard Jenkin der BBC. „Niemand ist unverzichtbar.“

Dabei schien es noch im Mai so, als würde genau dies auf Cummings zutreffen. Damals wurde bekannt, dass Johnsons Chefberater zu Beginn des Corona-Lockdowns Ende März gegen alle Instruktionen der Regierung verstoßen hatte.

"Ich habe nichts falsch gemacht"

Nicht nur ging er trotz Covid-19-Symptomen einen Tag lang ins Büro; anschließend fuhr er mit Frau und vierjährigem Sohn mehr als 400 Kilometer aus London zum Anwesen seiner Eltern im nordenglischen Durham. „Ich habe nichts falsch gemacht“, lautete der Kernsatz des studierten Historikers mit Abschluss an der Universität Oxford auf einer bizarren Pressekonferenz im Garten von Downing Street.

Dass Johnson ihn mit diesem offenkundigen Regelverstoß davonkommen ließ, verursachte einen eklatanten Stimmungswechsel in der Bevölkerung. Hatten die Briten bis dahin die Regierung im Kampf gegen Sars-CoV-2 beinahe vorbehaltlos unterstützt, stürzten nun Sympathie- und Umfragewerte in den Keller. Mittlerweile liegt die Labour-Opposition unter Keir Starmer regelmäßig vor den Konservativen, den Premier stufen die Briten mehrheitlich als inkompetent und unzuverlässig ein.

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Offenbar hat Cummings das Schicksal vieler Politikstrategen erfahren, die erfolgreiche Kampagnen anhand simpler Slogans zu führen gewohnt sind, sich aber für zielorientiertes, kompromissbereites Regierungshandeln als ungeeignet erweisen.

Hat jetzt etwas freiere Hand bei den Brexit-Verhandlungen: Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien.
Hat jetzt etwas freiere Hand bei den Brexit-Verhandlungen: Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien.

© AFP

Und welch ein Ruf eilte dem gern in abgerissenen Sweatshirts und schlecht sitzenden Jeans herumlaufenden Mann voraus! Mit beinharten Kampagnen machte er sich in EU-feindlichen Kreisen einen Namen, gab „die Unterminierung der Glaubwürdigkeit der BBC“ als strategisches Ziel aus und amtierte für die Vote-Leave-Kampagne im Brexitreferendum 2016 als Chefstratege. „Take back control“ – die Kontrolle zurückgewinnen –, jener ebenso simple wie einprägsame Slogan ging auf ihn zurück.

Ein Fernsehfilm über den Erfolg der EU-Gegner, in dem Cummings von Benedict Cumberbatch („Sherlock Holmes“) dargestellt wird, trägt den Titel „Brexit – the uncivil war“, ein Wortspiel mit dem englischen Ausdruck für Bürgerkrieg. Tatsächlich betrachtet Cummings seine politischen Kampagnen als Vernichtungsfeldzüge.

Er sammelte Feinde - auch unter Konservativen

Quer durch die Brexit-Lager und Parteien – Letztere hält der Historiker für ebenso überflüssig wie Beamte – sammelte Johnsons Chefideologe Feinde. Der frühere Premier David Cameron, in dessen Regierungszeit (2010-16) Cummings als Stabschef des heutigen Kabinettsbüroministers Michael Gove arbeitete, bezeichnete ihn als „Karriere-Psychopathen“.

Sein Abgang gebe der Regierung die Chance zu einem anderen Ton und besseren Umgangsformen, mahnt Ausschusschef Jenkin: „In Zukunft sollten Respekt, Integrität und Vertrauen eine zentrale Rolle spielen.“

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So ähnlich scheinen es auch Allegra Stratton, die neuerdings als Regierungssprecherin amtiert, und Johnsons Verlobte Carrie Symonds zu sehen. Dass der Premier Stratton anheuerte, Cummings’ Vertrautem Cain aber die Position als Stabschef verweigerte, signalisierte dem Duo das Ende ihres bisher übermächtigen Einflusses.

Vor allem Symonds, so hört man, ärgert sich seit Langem über die Macho-Allüren der „verrückten Mullahs“, so ihr Spitzname für Cain, Cummings und die anderen beinahe religiös anmutenden Fanatiker der Brexit-Kampagne, die sich in der Downing Street versammelt hatten.

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