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Politik: Europa gewinnt

Bei den Wahlen in den Niederlanden siegen Liberale und Sozialdemokraten – die Rechtspopulisten um Geert Wilders sind dagegen die großen Verlierer.

Der Boden bebte. Wörtlich, weil das Publikum im extra errichteten Strandzelt im Den Haager Stadtteil Scheveningen außer Rand und Band geriet, als Wahlsieger Mark Rutte nach Mitternacht dort eintraf. 41 von 150 Parlamentssitzen, das ist das beste Ergebnis in der Geschichte der marktliberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) – und auch im übertragenen Sinne ein Erdrutsch. Zumal auch die zweitplatzierten Sozialdemokraten wie die VVD um neun Sitze auf nunmehr 40 stiegen. Der Rest des Spektrums, Sozialisten, Rechtspopulisten, Christdemokraten, die liberalen D66: degradiert zu Statisten.

Hinter dieser Umwälzung steht die große Frage dieser Zeit, die schon den Urnengang von 2010 dominierte: Wie findet das Land, wie findet Europa den Weg aus der Krise? Offenbar gelingt es nur VVD und PvdA, dazu glaubwürdige Strategien anzubieten. Austerität in Reinform (VVD) oder Sparen mit sozialem Augenmaß (PvdA) – auf diesen Gegensatz läuft der Diskurs in Den Haag, im ganzen Land hinaus. Die „Volkskrant“-Kolumnistin Nausicaa Marbe kommentierte in der Wahlnacht, das Ergebnis sei eine Entscheidung für die historischen Strömungen des Liberalismus und der Sozialdemokratie – und drücke damit ein Bedürfnis nach Sicherheit aus.

Insofern überrascht es wenig, wenn dieselbe Zeitung am Tag danach auf der Titelseite „Die Rückkehr der Mitte“ verkündet. Da spielt es keine Rolle, dass die Sozialdemokraten sich im Kontext der Krise deutlich sozialer und kämpferischer zeigen als in den letzten Jahren. Ebenso wenig fällt ins Gewicht, dass die VVD im Bereich Einwanderung und Law and Order einige Positionen vertritt, die inhaltlich den Rechtspopulisten nahekommen. Entscheidend ist, dass die „Ränder“ des Spektrums, dass Sozialisten und eben die Rechtspopulisten stagnieren oder deutliche Verluste erleiden. Und verglichen damit sind PvdA und VVD eben die Mitte.

Deutlich macht das Wahlergebnis vor allem eins: den Wunsch nach Stabilität. Diese erachten die Niederländer, unabhängig, ob orthodox oder gemäßigt gespart wird, als Grundvoraussetzung. Was nachvollziehbar ist nach fünf Parlamentswahlen in elf Jahren und dem Fiasko des ersten Kabinetts von Premier Mark Rutte, dem Geert Wilders im Frühjahr die Unterstützung entzog und damit für ein vorzeitiges Ende nach nur anderthalb Jahren sorgte. Der Wahlausgang von Mittwoch ist insofern auch eine Aufnahme des damals unsanft abgerissenen Fadens. Dass das Scheitern der Regierung gemeinhin Wilders angelastet wird, ist eine Ursache für den Einbruch der Populisten. Das Traumergebnis für Rutte weist wiederum aus, dass man ihn von jeder Mitschuld freispricht.

Zweifellos hat auch der Wilders’sche Diskurs von Immigration, Integration und Islam zumindest vorläufig seinen Zenit überschritten. Durch die andauernde Krise sind diese Themen nachhaltig in den Hintergrund geraten. Klar ist jedenfalls, dass die schroffen Töne derzeit keine Konjunktur haben. Das bekam letzten Endes auch Emile Roemer zu spüren, der Chef der Socialistische Partij (SP), der mit markiger Anti-Brüssel-Rhetorik im August an der Spitze der Umfragen thronte. Die internationalen Medien rochen schon den nächsten populistischen Hype – diesmal von links. Aufgeblasen wurde das Thema noch in Schlagzeilen und Titelbildern, doch bevor es sich festigen konnten, ließen ihm die niederländischen Wähler die Luft raus.

Nicht der unwichtigste Bestandteil dieser Tendenz ist das Thema Europa. Auch hier zeigt sich, dass die Niederländer sich den moderateren Kräften zuwenden. Das bizarre Geschrei gegen den „Brüsseler Superstaat“ und die plakative Gulden-Romantik des Euro-Gegners Wilders sind damit nicht kompatibel, ebenso wenig der Konfrontationskurs der SP. Dass die liberalen Democraten66 mit ihrem bescheidenen Anstieg von zehn auf zwölf Sitze der dritte Wahlsieger sind, passt da ins Bild. Europa bleibt also ein konstanter Fixpunkt am Den Haager Firmament – was nicht heißt, dass es keine neuen Akzente geben könnte. So wollen die Sozialdemokraten die Neuverschuldungskriterien flexibel interpretieren und dafür in Brüssel Unterstützung finden. Die VVD indes strebt ein effizienteres Europa für weniger Geld an.

Bevor sich die Protagonisten Brüssel zuwenden, stehen die internen Verhältnisse auf der Agenda. Unklar ist, ob die Wahlsieger ihre inhaltlichen Gegensätze so weit angleichen können, dass eine Elefantenhochzeit nicht im Rosenkrieg endet.

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