zum Hauptinhalt
 Flüchtlinge nach ihrer Ankunft auf der griechischen Insel Lesbos.

© Marios Lolos/XinHua/dpa

Flüchtlinge im Jahr 2020: Europa braucht ein Mammutprogramm

Gefordert ist eine "Allianz der Willigen". Um die Zufluchtsuchenden in der EU zu verteilen, braucht es einen funktionierenden Pakt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Die Bilder von 2015: Tausende und Abertausende Menschen, die aus der nahöstlichen Kriegsregion Syrien fliehen, um in Europa Schutz zu suchen, vor allem in Deutschland. Das darauf mit einem beispiellosen humanitären Akt reagiert, seine Grenzen offen lässt. Verfügt von einer Bundeskanzlerin Angela Merkel, damals noch CDU-Chefin, die christlich-soziale Werte dafür in Anspruch nimmt.

Und es kommen zugleich die Bilder wieder auf, die vom Kontrollverlust danach zeugen, weil nicht klar war, wer da alles kommt. Gefolgt wurde das von einem riesigen Streit in Europa über die Aufnahme von Zufluchtsuchenden und in Deutschland von einem Erstarken des rechten Randes.

So war das – und wird es wieder so?

Die Flüchtlingskrise kehrt zurück. Tausende und Abertausende, die an der griechischen Grenze von EU-Europa mit Wasserwerfern und Tränengas empfangen werden. Das zeigen die Bilder von Montag.

Tausende, die auf ihrem Weg von der Türkei nicht mehr aufgehalten werden.

Was tut Europa?

Und es trifft auf die Polarisierung, die inzwischen die Gesellschaft beherrscht. Im Netz wie in der Politik. Da sagen einige, es müsse ein Signal geben, dass es keinen Sinn hat, nach Deutschland zu kommen. Andere vertreten genau die entgegengesetzte Meinung und verweisen entsetzt auf den Einsatz von Tränengas, nicht zuletzt der Kinder wegen. Angesichts dieser Zuspitzung der Situation für die Flüchtlinge an der europäischen Grenze stellt sich nicht zuletzt diese Frage: Was tut Deutschland?

Die Frage richtet sich, wie 2015, an Merkel. Ausgerechnet im Herbst ihrer Kanzlerschaft. Aber nicht allein an sie, sondern an Europa als Ganzes.

Denn eine Alleinlösung in Deutschland ist nach den Erfahrungen von fünf Jahren nicht durchsetzbar. Nur Europa kann eine Verteilung der Zufluchtsuchenden beschließen; trotz der Jahre, in denen das nicht gelungen ist. Vielleicht jetzt, unter dem Druck der Verhältnisse?

Erdogan hat die Grenzen geöffnet

Da hat Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt schon recht: Es geht um eine „Allianz der Willigen“. Die endlich zu bewerkstelligen, ist Aufgabe der Deutschen, mit Europas starkem Mann, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Zumal die Türkei zur Gemeinschaftlichkeit zwingt. Präsident Recep Tayyip Erdogan, gewiss ein schwieriger Partner, hat die Grenzen geöffnet. Das ist nur zum Teil der Versuch, mehr Geld rauszuschlagen für eine Vereinbarung mit den EU-Europäern – es ist auch, weil die Türkei allmählich in die Knie geht. Sie braucht schlicht mehr Geld für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge.

Die Wirtschaft des Landes ist auch nach all den Auseinandersetzungen zwischen Erdogan und dem Westen nahezu am Boden. Das Land verarmt. Aber es wurden offiziell bereits mehr als 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, inoffiziell soll die Zahl sogar erheblich höher sein, fast sechs Millionen.

Der Flüchtlingspakt muss angepasst werden

Was darum jetzt zu schaffen wäre? Ein Mammutprogramm: Der Flüchtlingspakt mit der EU von 2016 sieht vor, dass die Türkei die Menschen aufhält. Den Pakt gilt es anzupassen, auch um die Kontrolle über die Ereignisse nicht zu verlieren.

Dann muss dringend im EU-Brennpunkt Griechenland koordiniert geholfen werden, wo die Zustände für Flüchtlinge grauenhaft sind.

Darüber hinaus muss Deutschland den Druck auf eine europäische Verteilung erhöhen, indem es sich bereit erklärt, ein klar beziffertes Kontingent aufzunehmen – nur das.

Und dann: Über Syrien muss es eine Flugverbotszone geben, damit Diktator Baschar al Assad seine Landsleute nicht länger bombardiert; und am besten eine Schutzzone für Flüchtende in Syrien. Über diese Herausforderung wäre mit Erdogan, mit Assad, seinem Schutzherrn Wladimir Putin und in der Nato zu verhandeln.

Wieder kommen Abertausende Flüchtlinge. Dieser Herausforderung muss so begegnet werden, dass sie von keiner Seite politisch zu instrumentalisieren ist.
Dafür muss Deutschland alles tun.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false