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EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen empfiehlt den Kandidatenstatus für die Ukraine.

© Kenzo Tribouillard/ AFP

EU-Kandidatenstatus für Ukraine empfohlen: Brüssel und Moskau liefern sich ein symbolisches Wettrüsten

Mit dem Kandidatenstatus für Kiew würde die EU zeigen, dass sie sich von Putin nicht beeindrucken lässt. Aber auch der Kremlchef sendet Signale. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Unterschiedlicher hätten die beiden Auftritte nicht sein können. Während EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag in Brüssel die Tür für die Ukraine weit aufmachte, sprach Kremlchef Wladimir Putin in St. Petersburg. Von der Leyen lud die Ukraine ein, beim „Friedensprojekt“ der EU mitzumachen. Putin zog beim Internationalen Wirtschaftsforum über „bürokratische Eliten“ in Brüssel her und warf dem Westen vor, am gegenwärtigen Inflationsschock selbst schuld zu sein – ein Schock, den Putins Krieg in der Ukraine zweifellos mitverursacht hat.

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Während die ukrainischen Truppen im Osten des Landes angesichts des russischen Vorrückens immer stärker in Bedrängnis geraten, sind die Brüsseler Entwicklungen sowohl für Kiew als auch für Moskau von großer Bedeutung. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hofft auf den Kandidatenstatus der EU als ein starkes Symbol der Unterstützung der Europäer für sein Land. Präsident Putin fürchtet genau diese Perspektive für Kiew – er hasst die Ukraine schon lange dafür, dass sie sich Richtung EU orientiert.

Vor diesem Szenario wäre es erst recht ein nicht zu unterschätzender Schritt, wenn die EU-Staaten Ende kommender Woche bei ihrem Gipfel der Ukraine den Kandidatenstatus verleihen würden. Es war richtig, dass sich Kanzler Olaf Scholz, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, der italienische Ministerpräsident Mario Draghi und Rumäniens Präsident Klaus Iohannis bei ihrem Besuch in Kiew deutlich für den Start des ukrainischen Beitrittsprozesses ausgesprochen haben. Falls alle 27 EU-Mitgliedstaaten beim Gipfel zustimmen würden, wäre das für die Ukraine der Beginn einer Reise, in deren Verlauf sie die Korruption ausmerzen, den Einfluss von Oligarchen zurückdrängen und ein funktionierendes Justizsystem aufbauen muss.

Gerade wegen dieser Missstände ist die Verleihung des Kandidatenstatus für die Ukraine keineswegs beschlossene Sache. Bedenken gegen ein überstürztes Verfahren gibt es – trotz der Initiative des EU-Quartetts in Kiew – unter anderem in Wien, Lissabon und Den Haag. Dort wird befürchtet, dass der Start des Beitrittsprozesses einen Automatismus zur EU-Vollmitgliedschaft der Ukraine in Gang setzen könnte.

Kampf gegen Korruption als Bedingung

Derartige Kritik hat von der Leyen am Freitag zu entkräften versucht. Ihre Behörde empfiehlt den Mitgliedstaaten zwar, der Ukraine den viel diskutierten Status zu verleihen. Allerdings kann Kiew nach den Vorgaben der EU-Kommission nur dann weitere Schritte Richtung EU machen, wenn die Regierung neben dem Kampf gegen Korruption und Oligarchenherrschaft auch verstärkt gegen Geldwäsche vorgeht, die Unabhängigkeit von Medien sicherstellt und Minderheitenschutz garantiert.

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Jene in der EU, die der Verleihung des Kandidatenstatus an die Ukraine zurückhaltend gegenüberstehen, haben allerdings insofern recht, als erst Russlands Krieg die geopolitische Notwendigkeit dafür geschaffen hat. Die Ukraine würde heute wohl kaum die beiden EU-Aspiranten Bosnien-Herzegowina und Kosovo überholen, wenn das Land nicht durch Putin von einem Krieg überzogen worden wäre.

So gesehen wäre es natürlich auch eine europäische Machtdemonstration mit hoher Symbolwirkung, wenn die Ukraine den Kandidatenstatus bekäme. Die Europäer würden Putin damit zeigen, dass sie sich von seinem Angriffskrieg nicht beeindrucken lassen.

Xi Jinping als Kronzeuge Putins

Aber der machte am Freitag schon mal vorsorglich klar, dass er sich umgekehrt auch nicht beeindrucken lässt. Auch er hat seine Truppen am Abgrund zwischen West und Ost – zumindest virtuell – verstärkt und ließ den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al Sissi, dessen Land von russischen Getreidelieferungen abhängig ist, und Chinas Staatschef Xi Jinping, der Russlands Wirtschaft wieder stabilisieren soll, zuschalten.

Wer wirtschaftlich den längeren Atem hat – auch dies ist eine Frage, die abseits des Militärischen über den Ausgang des Kriegs mitentscheiden wird.

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